Hamburg. Ein fröhlich-entspanntes Publikum führt sich 57 kulturelle Orte zu Gemüte – ganz ohne Drängeln. Besucher kommen schnell ins Gespräch.

Es gibt Momente in dieser Stadt, da fühlt es sich gar nicht an, als wäre man in Hamburg. Die Stadt, die sich gern dezent und hanseatisch gibt. Sie kann auch kosmopolitisch, laut und trubelig. So wie Madrid oder Paris etwa. Die 19. Lange Nacht der Museen am Sonnabendabend war so ein Moment. Bei endlich, endlich frühsommerlichen Temperaturen strömten die Besucher gegen 18 Uhr aus den Bahnhöfen auf den Deichtorplatz, die Stimmung: fröhlich-entspannt. Kein Drängeln an den Bushaltestellen oder an den Museumsgarderoben. Unter die Hamburger hatten sich viele Touristen gemischt; selten hatte man das Wort "Deichtorhallen" so schön auf Englisch gehört.

Insgesamt 28.000 Besucher machten sich auf, die 57 Kunst- und Kulturorte aufzusuchen, was den veranstaltetenden Museumsdienst sehr zufrieden stimmte und einmal ehr zeigte, dass Kunst als Happening funktioniert.

Großes Extraprogramm für Familien

In den zwölf Shuttle-Buslinien, die das gesamte Stadtgebiet umspannten, kam man allein schon wegen der Enge schnell ins Gespräch. „Was kann man im Bucerius Kunst Forum erleben?“ oder „Waren Sie schon mal im Astronomiepark Hamburger Sternwarte?“. „Und was ist denn bloß das Museum für Hamurgische Geschichtchen?“ – ein Druckfehler?!

An dieser Stelle ein großes Lob und Dankeschön an die Mitreisenden, die den Kurzen in der Langen Nacht stets einen Sitzplatz im Bus anboten, notfalls auch mal auf dem Schoß.

Familien mit Kindern und Jugendlichen war ein extra großes Stück am musealen Programmbuffet aus 918 Veranstaltungen reserviert worden: vom Basteln mit Baumrinde im Archäologischen Museum über die „Störtebeker-Tour“ im Speicherstadtmuseum bis zur Expedition ins Wattenmeer im Zoologischen Museum (dem Ort mit der schönsten Licht-Installation zu später Stunde übrigens!).

Glücksgefühle in der blauen Stunde

Die einzige Herausforderung bestand darin, all das zu schaffen, was man sich zuvor auf den virtuellen Stundenplan gesetzt hatte. So gingen gleich der Trommel-Workshop im Wälderhaus und das Spielen mit Magformers im electrum über die Bütt, weil die dorthin fahrende Buslinie 306 erst um 18.06 Uhr vom Deichtorplatz startete – leider zu spät.

First Stop also Wasserkunst Elbinsel Kaltehofe: wo die Jugendfeuerwehr Rothenburgsort-Veddel Rettungsübungen und Fettexplosionen vorführte und die Kids bei einer Fühlstation ihre Sinne schulen und das Erfühlte – Sand, Steine, Blätter und „etwas, das piekst“ – gleich zu einer Kaltehofe-Collage verarbeiten konnten.

Nach dieser Naturidylle bescherte die Busfahrt zur blauen Stunde, die laut App um 21.17 Uhr begann, weitere Glücksgefühle: Fernsehturm, Michel, Elbphilharmonie und Tanzende Türme in nebliges Violett getaucht. Klick, Cut und Szenenwechsel: lautes Schiffstuten, Blaskapelle und Klettern am Kran in 50 Metern Höhe – am Hafenmuseum ging die Post ab. Bei Fischbrötchen, Kaltgetränken und einer Dokumentation über die Arbeit im Hafen in den 50er-Schuppen ging die lange Nacht für die Kurzen dann doch irgendwann zu Ende. Da startete die Party vor und in den Deichtorhallen nochmal so richtig durch. Die Hallen hatten genau das richtige Programm für eine rauschende Nacht: Im Haus der Photopgraphie wurde die glamouröse Foto-Schau „Generation Wealth“ der amerikanischen Fotografin Lauren Greenfield durch Spontan-Performances der Schule für Schauspiel durchbrochen. Mittig gönnte sich ein Schüler im roten Tütü eine Champagner-Sause; mal hysterisch lachend, mal todtraurig saugte er weißes Pulver durch die Nase ein, rasierte sich die Beine oder lackierte amüsierten Damen die Fingernägel. Ein Schaupsiel-Pärchen jagte sich durch die Gänge und schrie immer wieder „Wo ist mein Geld?“.

Kunsthalle als schöner Party-Kontrast

Im Haus für aktuelle Kunst zog „Hyper. A Journey Into Sound And Music“ die Massen magisch an, versprach die von Ex-„Spex“-Chef Max Dax kuratierte Ausstellung doch einen spannenderen Musik-Mix als die DJ-Show draußen. Der Radiosender HH Zwei bot doch allzu Gewohntes; lediglich Madonnas „Material Girl“ konnte man als Kongruenz zu beiden Schauen werten.

Ein schöner Kontrast zu dieser Partylocation war die Hamburger Kunsthalle, die Nachtschwärmer mit der Linie 303 ansteuern konnten. Fast meditativ die Atmosphäre in der Galerie der Gegenwart: Die meisten Besucher ließen sich rücklings auf das erste quadratische Lederpolster sinken, um durch das beleuchtete Glasdach in den nächtlichen Himmel zu gucken und einmal durchzuatmen. Im Spielzimmer von Olafur Eliasson verloren sich japanische Touristen beim Basteln mit Metallstäben. Und wer die drei Stockwerke in die Ausstellung „Wieder und wider“ erklommen hatte, konnte ganz in Ruhe die Werke von Georg Baselitz, Sigmar Polke, Neo Rauch, den Steingarten von Richard Long oder die Schreibmaschinen-Installation „Chor der Heuschrecken“ von Rebecca Horn auf sich wirken lassen. „Das Tollste, was ich an diesem Abend gesehen habe“, sagte eine Besucherin.

Da war es fünf vor 12. Doch nur für eine Hochschwangere, die sich durch den Museumsshop treiben ließ. Ballinstadt oder St.Pauli-Museum? Und um 2 Uhr auf jeden Fall noch zur After-Show-Party ins Museum für Hamburgische Geschichte. Für die vielen neugierigen, schaulustigen, erlebnishungrigen Hamburger und Hamburg-Besucher war die Lange Nacht da noch lange nicht zu Ende.