Hamburg. Mit „Botter bi de Fisch“ von Janne Mommsen feiert das niederdeutsche Theater am Sonntag bereits die dritte Uraufführung der Saison.

. Bei Michael Lang steht die Tür zwar nicht immer offen – Termine, Termine – der Eingang zum Büro des Intendanten des Ohnsorg-Theaters ist jedoch aus Glas. Und manchmal kommen aus dem Chefzimmer unverhofft auch außerhalb des Hauses bekannte Künstler. So schaute etwa der Satiriker Hans Scheibner in diesem Frühjahr vorbei. Der Hamburger Kabarett-Altmeister ist vor allem dank seiner Lästerlyrik und seiner „Wer nimmt Oma?“-Programme bekannt, schreibt zuweilen aber Theaterstücke. Vor einigen Jahren etwa die Krimikomödie „Die Geiselnahme“ für die Hamburger Kammerspiele und das Harburger Theater.

Und Autoren, durchaus jüngere als den 82-jährigen Scheibner, sucht das Ohnsorg mehr denn je.,Die Frage ist nur, wie. und wo. Der seit knapp zwei Jahren amtierende Lang und der seit vorigen August für Stückauswahl und -umsetzung mitverantwortliche Oberspielleiter Murat Yeginer stehen dabei vor der Aufgabe, den Spagat zwischen Nostalgie und Aktualität zu meistern – mit „Volkstheater am Puls der Zeit!“, wie es Lang gern zusammenfasst. Und das immer noch überwiegend auf Plattdeutsch, wenn auch mit mehr hochdeutschen Anteilen als früher. Außer Ohnsorg-Klassikern Übersetzungen europäischer Komödien und Romanadaptionen braucht es mehr neue Stücke.

Augenfällig ist; Nach der Theaterfassung von Siegfried Lenz’ Roman „De Mann in’n Stroom“ und Sönke Andresens „De verdüvelte Glückskeks“ steht an diesem Sonntag mit „Botter bi de Fisch“ von Janne Mommsen bereits die dritte Uraufführung dieser Spielzeit auf dem Plan im Großen Haus. Wie es dazu kommt?

Janne Mommsen, bekannt dank seiner Föhr-Romane

Mal ist es Zufall, mehr und mehr aber schlägt der teilerneuerte „Dampfer“ Ohnsorg Wellen. Der Wahlhamburger und gebürtige Kieler Janne Mommsen, dank Föhr-Romanen wie „Die Bücherinsel“, „Friesensommer“ oder „Omas Erdbeerparadies“ bekannt geworden, hatte sein neues Theaterstück geschrieben, nachdem er als Jurymitglied für die Privattheatertage von seinen Reisen durchs ganze Bundesgebiet zurückgekehrt war. „Dort hatte ich 25 Stücke hintereinander gesehen und war sehr inspiriert, endlich mal wieder selber eines zu schreiben. Ohne Auftrag, einfach so, aus Lust“, erzählt Mommsen, bürgerlich Volkmar Nebe. Unter jenem Namen hatte der Autor vor gut einem Jahrzehnt zwei Stücke für das Altonaer Theater verfasst, „Allein unter Spielplatzmüttern“ und „Das Wunder von Bern“. Im Vorjahr dann hatte sein Verlag Rowohlt, der jetzige direkte Ohnsorg-Nachbar am Heidi-Kabel-Platz, das neue Textbuch unter dem Titel „Singles à la Carte“ veröffentlicht. Mommsen: „Das Ohnsorg hat als Erstes angebissen.“

Eine Autorenfassung auf Hochdeutsch tut’s auch

Das zeigt Zweierlei: Es müssen auch für Uraufführungen auf der niederdeutschen Bühne keine Auftragsarbeiten sein, und eine Autorenfassung auf Hochdeutsch tut es auch, in diesem Fall hat es die freiberuflichen Schauspielerin und Dramaturgin Kerstin Stölting aus Neumünster ins Plattdeutsche übersetzt, „Botter bi de Fisch“ also. Yeginer und er hätten es auch ausgewählt, so Lang, weil es „ein junges Stück“ sei. Fünf Singles treffen sich – vermittelt via Partner-Agentur – zu einem gemeinsamen Abendessen. Eine Komödie in Zeiten des Dating-Wahns. „Nicht nur vordergründig ein sehr aktuelles Thema, denn im Hintergrund stehen Gefühle, Lebensentwürfe und Träume“, so Lang

„Es geht um Geschichten mitten aus dem heutigen Leben, die uns berühren und bewegen können, und um die Frage, wie Heimat, regionale Identität, Menschen und ,Typen’ sowie die Unverwechselbarkeit des Nordens zeitgemäß, lustvoll, unerschrocken und humorvoll neu entdeckt werden können“, sagt Michael Lang. „Heimat ist heute vielfältig, vielschichtig, vielfarbig“, meint der Theatermacher.

Den Erfolg „Plattdüütsch för Anfängers“ sendet der NDR

Dass das Ohnsorg wieder mehr originär norddeutsche Storys auf die Bühne bringen will und Autoren suche, „die speziell für die norddeutsche Seele“ Theaterstücke schreiben könne, habe sich herumgesprochen, meint Intendant Lang. Fast täglich erreichen das Theater Textbücher oder Stückvorschläge von Verlagen und Autoren, das Ohnsorg sei immer eine „gute Adresse“. Lang: „Wir sichten die Bücher auch dahingehend, wie die Rollen zu unserem festen künstlerischen Ensemble und unserem Pool an Gästen passen. Und natürlich vor allem, ob das Stück eine Aussicht auf Erfolg hat beim Publikum. Beim Stammpublikum wie bei den nachwachsenden Generationen.“

Bei „Plattdüütsch för Anfängers“, ebenfalls vom Hamburger „Glückskeks“-Autor Sönke Andresen geschrieben, war das bereits im Vorjahr der Fall. Die Integrations-Komödie mit Tiefgang und einigen hochdeutschen Wortpassagen hatte nach der Uraufführung im Januar 2018 eine Auslastung von 80 Prozent und war damit das am besten ausgelastete Abonnementsstück der vergangenen Ohnsorg-Spielzeit. .Auf Gastspielreise im Norden sahen „Plattdüütsch för Anfängers“ noch mal 6000 Zuschauer, das Stück soll noch diesem Jahr im NDR-Fernsehen gesendet werden.

Ein Wettbewerb – „perspektivisch durchaus vorstellbar“

Im Ohnsorg und auf der Bühne jedoch wartet reichlich Arbeit in Sachen Autorensuche, vor allem auf die Ohnsorg-Dramaturgie: Exposés, Arbeitsproben, Bücher und Geschichten lesen, Themen sichten und entwickeln. Lang wird ebenfalls weitere zahlreiche Gespräche führen „Auch ein Wettbewerb ist perspektivisch durchaus vorstellbar“, sagt Lang. Er denkt an eine Weiterentwicklung des plattdeutschen Schreibwettbewerbs „Vertell doch mal“, zu dem das Ohnsorg alljährlich mit dem NDR und Radio Bremen aufruft.

.Andresen und Mommsen, da sind sich beide einig, fühlen sich bereits jetzt als Autoren am Ohnsorg gut aufgehoben. „Hier weht ein frischer Wind“, sagt Mommsen, den „wunderbare Kindheitserinnerungen“ mit dem Haus verbinden, beim Fernsehgucken von Heidi Kabel und Co. im hellblauen Frotteebademantel mit der Oma am Sonnabend nach dem Baden. Erst viel später habe er im Ohnsorg literarische Klassiker live und op Platt auf der Bühne gesehen, „Mutter Courage“ oder „Tod eines Handlungsreisende“ etwa. „Ich war jedes Mal sehr berührt: Durch das Platt kamen mir die Figuren viel näher.“

Vorbilder seien für ihn alle guten Theaterstücke, die er sehe und von denen er lerne. „Der Wandel im Ohnsorg-Spielplan ist äußerst spannend und spricht sich langsam herum.“ Es gebe noch mehr Freiheiten als früher, etwas fürs Ohnsorg zu schreiben, meint Mommsen. Auch ältere Zuschauer hatten ihm bei seinen Theaterbesuchen versichert, dass sie die Stücke neugierig machen – Motto: „Kannst ja nich jümmmers dat selbe moken.“

Der Ohnsorg-Plan: eine Reihe von Hausautoren

Für die übernächste Spielzeit haben schon Gespräche über die Bühnenfassung seines Romans „Die Insel tanzt“ begonnen, so Mommsen. „Ich finde gut und wichtig, wenn das Ohnsorg Stückaufträge an regionale Autoren vergibt“, meint Kollege Andresen, „das bindet ein bestimmtes Publikum an das Haus und ist identitätsstiftend.“

Lang mag konkrete Pläne mit den beiden zwar nicht bestätigen („Wir sind sowohl mit Sönke Andresen als auch mit Janne Mommsen über weitere Stückideen im engen Austausch“), er möchte sich noch mit weiteren Autoren und Autorinnen beschäftigen. Und Lang formuliert ein großes Ziel: „Unser Plan ist, eines Tages eine Reihe von Hausautoren zu haben, die speziell für das Ohnsorg-Theater geeignete Stücke schreiben können. Am besten auf Zuruf – wobei das eher illusorisch ist, denn die Entwicklung eines fertigen Stückes dauert in der Regel mindestens ein Jahr“, erläutert er.

Im Oktober hat ein Stück der „Stromberg“-Autoren Uraufführung

Keine „Extrawurst“ also? Die gleichnamige schräge Komödie, bei der sich Mitglieder eines Tennisclubs über die Anschaffung eines Zweitgrills für den einzigen Moslem streiten, ist in der kommenden Spielzeit als zweites Stück am 6. Oktober wiederum eine Uraufführung:. Geschrieben haben das Stück über Political Correctness die Kölner Comedy-Starautoren Dietmar Jacobs („Freaks“, „Der Pantoffel-Panther“) und Moritz Netenjakob („Macho Man“, Milchschaumschläger“), beide für die Serie „Stromberg“ mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet – wie in diesem Frühjahr übrigens auch Sönke Andresen für seine ARD-Konsum-Groteske „Familie Lotzmann auf den Barrikaden“.

Und Hans Scheibner? Den kennt Lang schon viele Jahre, noch aus seiner Zeit in der Komödie Winterhude. „Er hat sehr witzige und skurrile kleine Geschichten geschrieben, die er in lesenswerte Bücher gepackt hat“, sagt Lang. Eventuell könne man daran anknüpfen. Auch Scheibner, der gebürtige Hamburger, hat das Ohnsorg neu entdeckt. Aber er kann ja am Heidi-Kabel-Platz auch noch solo spielen und/oder aus seinen zahlreichen Büchern lesen.