Hamburg. Schmaler Grat zwischen Witz und Schrecken: Die plattdeutsche Fassung des Kinoerfolgs „Adams Äpfel“ wird am Ohnsorg-Theater bejubelt.
Nazis sind Pfeifen. Also jedenfalls: Pfeifer. Noch bevor sich am Ohnsorg-Theater der Vorhang zur Premiere öffnet, kann man den Auftritt der Schauspieler Philipp Weggler, Peter Christoph Grünberg und Gunnar Titzmann auch in dieser Hinsicht als spöttischen Prolog verstehen. Zwitschernd und tschilpend schlendern sie im eindeutigen Springerstiefel-Outfit auf die Seitenbühne – und sind dort in Murat Yeginers Inszenierung „Adam sien Appeln“, einer plattdeutschen Theaterfassung des dänischen Kinoerfolgs „Adams Äpfel“, fortan das heimliche Zentrum des Abends. Geräuschemacher haben am Ohnsorg schon manchmal eine bestimmende Rolle gespielt, besonders eindrücklich zelebrierte das Peter Kaempfe in „De Seewulf“. In „Adam sien Appeln“ nun wird das Pult am (rechten!) Bühnenrand zur wesentlichen Schaltzentrale.
Die drei Herren unter der Leitung von Peter Christoph Grünberg bereiten den eigentlichen Protagonisten den Raum. Oder vielmehr: die Räume, denn die Kulissen bestehen in der Ausstattung von Pascale Arndtz im Wesentlichen aus ein paar verschiebbaren weißen Bühnenelementen, die mal als Autositz, mal als Krankenhausbett, mal (in Kreuzform sortiert) als Kirche dienen. So einfach, so toll.
Animierte Illustrationen auf der rückwärtigen Leinwand (Laurenz Lin Sill), ein Apfelbaum und vor allem der hand- und mundgemachte Sound ergänzen das zunächst idyllische Gesamtbild, in das sich Provinzpastor Ivan Feldstedt ein neues schwarzes Schäfchen eingeladen hat. Adam, einen gewaltbereiten Rechtsradikalen, auch wenn der Kirchenmann da noch Zweifel hat: „Büst du würklich ‘n Neonazi? Dor kümmt ‘n gor nich op, wenn ‘n di so ankieken deit!“ Naja, außer dass einem halt direkt der Führer-Gedenkscheitel, die Bomberjacke und das großflächig tätowierte Hakenkreuz ins Auge springen. „I just called to say I love you...“ säuselt dazu liebevoll die Faschisten-Boyband. Die Filmvorlage des Dänen Anders Thomas Jensen ist von 2005 – ach, die guten alten Zeiten, in denen man Neonazis noch an Äußerlichkeiten erkennen konnte.
Nichts und niemand kann diesen Hiob aus seiner absurd freundlichen Ruhe reißen
Erkki Hopf spielt den Pastor als unerschütterlichen Gutmenschen, nichts und niemand kann diesen Hiob aus seiner absurd freundlichen Ruhe reißen. Eine skurrile kleine Gemeinde hat er um sich versammelt: Neben Neuzugang Adam (Anton Pleva), der sich Hitler an die Wand pinnt und mit dem als vorläufiges Lebensziel das Backen eines Apfelkuchens vereinbart wird, ist da der um sich ballernde Tankstellenräuber Khalid (Orhan „verfluch misch nochma“ Müstak), die schwangere Alkoholikerin Sarah (Rabea Lübbe) und ein ehemaliger KZ-Aufseher (Frank Grupe). Ivans Sohn Christoffer sitzt stumm und bewegungsunfähig im Rollstuhl, seine Frau „hett sik ümbröcht“. Umstände, die der realitätsabgewandte Pastor komplett ausblendet. Ausgerechnet der klauende Triebtäter Gunnar (Stefan Leonard in schlimmer Ballonseide) bescheinigt dem Pastor „ok ’n beten ut de Spoor“ zu sein.
Dass der Zuschauer die groteske Konstellation vorrangig durch die Augen des Neonazis wahrzunehmen scheint, ist noch lange nicht der Gipfel der gezielten Geschmacklosigkeit. Immer wieder bleibt dem komödiengewohnten Publikum ob der brutal ausgehebelten Political Correctness das Lachen im Halse stecken. Schon im Kino-Original experimentierte Anders Thomas Jensen mit den Genre-Grenzen und unterlief geschickt Erwartungshaltungen. Und auch in der plattdeutschen Neuübersetzung von Hartmut Cyriacks und Peter Nissen ist „Adam sien Appeln“ durchaus eine Herausforderung.
Sehr schmal ist der Grat zwischen Witz und Schrecken
Murat Yeginer und seinem durch die Bank hervorragenden Ensemble gelingt es jedoch bewundernswert, auf dem teils sehr schmalen Grat zwischen Witz und Schrecken zu balancieren und dabei lustvoll mit den Möglichkeiten des Theaters zu spielen. Die Schauspieler überzeichnen ihre Figuren mit Wonne – und verraten sie dennoch an keiner Stelle.
Eine Erweckungsgeschichte im eigentlichen Sinn, in dem die Bösen schließlich restlos geläutert sind, erzählt dieser Abend nicht, auch wenn das Ende am Ohnsorg womöglich etwas rührender gerät als im Film. Immerhin, ein Apfelküchlein wird gebacken (und das Rezept als Ohnsorg-Postkarte verteilt). Und die Nazis, sie singen Stevie Wonder.