Hamburg. Mit einer fulminanten Ausstellung zur Kunst des 19. Jahrhunderts entdeckt die Kunsthalle alte Stärke neu und feiert Jubiläum.

Es wird jubiliert in der Hamburger Kunsthalle. Jetzt schon, rund vier Monate vor dem geschichtsträchtigen 150. Geburtstag. Zusammen mit dem Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg, die in diesem Jahr ihren 100. begeht, wird die „Hamburger Schule“ zelebriert, das 19. Jahrhundert neu entdeckt.

Bei Hamburger Schule dürften die meisten am ehesten an eine Musikrichtung denken, die Ende der 1980er-Jahre mit Bands wie Blumfeld und Tocotronic aufkam und sich zwischen Diskurs-Pop und Rock bewegte. In der Kunstszene war der Begriff bislang unbekannt. Und auch die Kunsthalle, die nun in ihrer aktuellen Sonderausstellung darauf Bezug nimmt, versieht den Titel – intern zumindest – mit einem Fragezeichen.

„Wie bildeten sich aufstrebende junge Künstler aus, wer förderte sie, und wie verliefen deren Viten“, formuliert Kurator Markus Bertsch das zentrale Thema. Was damals im Gegensatz zu anderen großen Städten fehlte, war eine Kunstakademie, an der Talente geschmiedet werden konnten. Um technische Fertigkeiten zu erlernen und zu perfektionieren, wurden Akademien in Kopenhagen, Dresden, München und Düsseldorf aufgesucht, Studienreisen nach Skandinavien und Italien unternommen.

Einige Werke waren Jahrzehnte lang nicht ausgestellt

Die Ausstellung zeigt, wie die Künstler sich von Land und Leuten inspirieren ließen und diese Erfahrungen zurück in ihre Heimat brachten, um alsbald hier auf Motivsuche zu gehen: am Hafen, im Fischerdorf Blankenese sowie auf dem Kirchhof von St. Johannis.

Zunächst klassizistisch und romantisch malend, später realistisch-wirklichkeitsnah und schließlich, im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, dem Naturalismus und Impressionismus folgend.

Zusammen mit seiner Studienfreundin Iris Wenderholm, mittlerweile Professorin am Kunstgeschichtlichen Institut, spannt Bertsch mit über 160 Werken einen weiten Bogen und deckt nahezu jeden Winkel des Werner-Otto-Saals ab, bis zum Kino und den schmalen Kabinettgängen.

Der Kurator stieg ganz tief hinab ins Depot, um nicht die immer gleichen und so offensichtlichen Protagonisten dieser Zeit zu zeigen (Thomas Herbst, Jacob Gensler und Christian Morgenstern sind natürlich dabei, dem großen Inspirationsgeber Philipp Otto Runge ist ein ganzes Kabinett gewidmet). Es werden aber eben auch zahlreiche Persönlichkeiten ans Licht geholt, „die zu Unrecht in Vergessenheit geraten sind“, so Bertsch, und deren Werke zum Teil Jahrzehnte lang nicht öffentlich ausgestellt wurden.

Der Hamburger Künstlerverein gründete sich 1832

Thematisch beginnt die Ausstellung mit dem Kapitel „Der Blick in den Spiegel“: Wie um sich selbst zu vergewissern und ein Selbstverständnis zu entwickeln, malten Künstler wie Victor Emil Janssen und Carl Julius Milde sich selbst an der Staffelei oder auch gegenseitig. („Erwin Speckter in seiner Münchner Wohnung“, 1825). Julius Oldach verewigte seinen Stammbaum ganz selbstbewusst in „Die Familie des Bäckermeisters“ (1928).

„Modern und mutig“ findet Bertsch das Gemälde des Malers Friedrich Carl Gröger, „Selbstbildnis mit der Pflegetochter Lina Gröger und dem Maler Heinrich Jacob Aldenrath“, das schon um 1804 eine Regenbogenfamilie zeigt. Günther Gensler bildete 1858 die „Mitglieder des Hamburger Künstlervereins“ beim gemeinsamen Diskutieren ab. Der Verein, der sich 1832 gegründet hatte, trug maßgeblich zur Verankerung der Kreativen und eines musealen Interesses in der Hamburger Stadtgesellschaft bei. 1850 wurde in den Börsenarkaden schließlich die erste öffentliche Gemäldegalerie in Hamburg eröffnet.

Maler waren fasziniert vom Fischerdorf Blankenese

Die „Hamburger Schule“ offenbart nicht nur verborgene Talente, sondern auch den oftmals liebevollen Blick der Maler auf ihre Heimat. So gerät man ins Schwärmen mit Georg Haeselich, der 1837 den „Garten von Johannes Amsinck an der Binnenalster“ und ein Jahr später den „Elbstrand“ malte, ist verblüfft, wie realitätsnah Valentin Ruths um 1870 eine „Felspartie im Walde“ schuf; von Ascan Lutteroth stammt eine der wohl schönsten Darstellungen des Spazierwegs an der „Fontenay“ (1892).

Immer wieder zeigten sich die „Hamburger Schüler“ fasziniert vom Fischerdorf Blankenese, mit seinen Stränden und Schiffen, aber auch vom einfachen Leben und Arbeiten der dortigen Bewohner, so etwa Jacob Gensler („Am Elbstrand bei verdeckter Sonne“, 1840).

Wieder andere vermissten den Anschluss an progressive künstlerische Entwicklungen in Hamburg und brachen daher „Auf zu anderen Ufern“, darunter Bruno Piglhein, der mit seinem beeindruckenden Werk „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ (um 1890) in der Ausstellung vertreten ist. Von Ferdinand Brütt, den Markus Bertsch in der Nähe von Max Liebermann sieht, ist „Eine Aufsichtsratssitzung“ (1900) zu sehen. Und zuletzt zeigt Otto Eckmann mit seinem wunderbaren „Frühling“-Bild (um 1902), was die Stadt ohne Kunstakademie imstande war hervorzubringen.