Hamburg. Die Chefin des Schauspielhauses spricht über ihre Hamburg-Pläne, Altersarmut und erzählt, warum sie keine Theaterkritiken liest.

Ob Karin Beier diesen Text lesen wird? Die Chancen stehen nicht gut, weil die Intendantin des Deutschen Schauspielhauses ungern Texte liest, in denen es um sie und ihre Arbeit geht, Kritiken schon gar nicht.

„Ich bin eine Mimose, es würde mich treffen, wenn da etwas Böses stünde“, sagt sie in unserem Podcast „Entscheider treffen Haider“, und dieser Satz ist typisch für das gesamte Gespräch: Wer Karin Beier einmal außerhalb der Bühne erleben will, hat hier dazu die seltene Gelegenheit – denn normalerweise ist Hamburgs gefeierte Intendantin jenseits des Theaters kaum zu hören oder zu sehen.

Karin Beier – Leben für Theater und Familie

„Ich gehe sehr ausgewählt zu gesellschaftlichen Ereignissen“, sagt sie, und dass es dafür mehrere Gründe gebe: „Der erste Grund ist, dass ich als inszenierende Intendantin ja sehr viel von mir in meinen Arbeiten preisgebe. Das ist meine Art und Weise, mich der Stadt vorzustellen.“ Der zweite Grund sei ihre Tochter, und der dritte, dass sie eben sowohl als Intendantin als auch als Regisseurin arbeite. Soll heißen: „Ich habe kaum ein Leben außerhalb von Theater und Familie.“

Was wiederum nicht heißt, dass Karin Beier davon nicht wunderbar und voller Leidenschaft erzählen könnte. Zum Beispiel von der Sache mit den Kritikern, die sie im Normalfall ja meist feiern, nicht selten sogar euphorisch. „Euphorisch reicht nicht“, sagt die Regisseurin lachend, „wir sind halt alle maßlos narzisstisch am Theater.“

Wenn nach zehn guten Kritiken in der elften ein hässlicher Satz vorkäme, dann „bleibt nur der hängen“. Deshalb lese sie keine Kritiken. Und überhaupt: „Ein Kritiker geht nicht unschuldig ins Theater, es gibt eine Haltung zu dem Regisseur, zu den Schauspielern…“

"Wenn ich meine Arbeit erklären muss, mache ich etwas falsch"

Ob sie sich denn manchmal trifft mit diesen Kritikern, so wie das Politiker machen, wenn sie sich mit Korrespondenten zu Hintergrundgesprächen verabreden? „Machen Politiker das?“ Ja. „Bin ich Politiker?“ Nein. Also: „Wenn ich meine Arbeit auf der Bühne erklären muss, mache ich was falsch. Der Abend muss für sich wirken.“ Punkt.

Und meistens wirkt er, gerade wenn die Intendantin Beier die Regisseurin Beier beauftragt. Das sie beides ist, sei ein großer Vorteil: „Wenn ich irgendeine spleenige Idee habe und die unbedingt umsetzen will, dann mache ich das. Ich habe einige Arbeiten umgesetzt, bei denen mir andere Intendanten einen Vogel gezeigt hätten.“

Noch ein Plus: Schauspieler hätten mehr Respekt vor einer Regisseurin, die gleichzeitig Intendantin ist. „Das soll jetzt nicht heißen, dass sie mich mit Samthandschuhen anfassen und wir keinen Streit haben. Aber die Schauspieler behandeln mich doch anders, als wenn ich eine freie Regisseurin wäre.“

Für Kreativität braucht Beier ein Gegenüber

Wobei es so gut wie nie laut zugehe auf den Proben, „so bin ich nicht“. Überhaupt ist der kreative Prozess bei Karin Beier oft ein unaufgeregter. Da kann es sein, dass sie, wie bei den Vorbereitungen zu „Die Unterwerfung“, zwei Wochen lang mit dem einzigen Darsteller Edgar Selge an einem Schreibtisch sitzt, und den Text durcharbeitet.

Um kreativ zu sein, brauchen sie immer jemanden, der ihr gegenüber sitzt, „ich brauche den Dialog“. Theater sei sowieso ein einziges, riesiges Teamwork: „Ich zumindest habe nicht die Hybris zu sagen, dass mein Kopf allein so viele gute Ideen produzieren kann wie 20 andere Köpfe“.

Und doch ist sie der Kopf des Deutschen Schauspielhauses, war es schon, als sie zur Spielzeit 2013/14 von Köln nach Hamburg kam – und Erwartungen weckte, an denen andere Intendanten, schon gar Inszenierende, gescheitert wären. Karin Beier nicht: Kultursenator Carsten Brosda hat ihren Vertrag vor zwei Jahren nicht nur bis 2021 verlängert, sie hat eine Option auf mindestens zwei weitere Jahre, also bis 2023.

Dann wäre sie zehn Jahre beim Schauspielhaus. Will sie das? „Früher blieb man nie länger an einem Theater als sieben Jahre, aber das hat sich geändert“, sagt sie. Und, dass in diesem Sommer die Entscheidung anstünde, ob sie die Option zieht – oder nicht.

„Vor zwei Wochen habe ich gesagt: Ich bleibe hier, bis ich einen Rollator habe. Und gestern habe ich mir gedacht: Ich kann kaum abwarten, bis ich gehe.“ Wie das halt so sei, wenn man sich über etwas ärgert. Nichts ernstes, über die endgültige Entscheidung will sie in Ruhe nachdenken, ist ja noch Zeit.

Zuschauerresonanz spricht für Beiers Verlängerung

Was auf jeden Fall dafür spricht, dass Karin Beier in Hamburg bleibt, ist die Resonanz der Zuschauer auf ihrer Arbeit: Die Auslastung des Schauspielhauses ist in ihrer Zeit gestiegen, was die Intendantin natürlich freut. Noch wichtiger: „Die Leute kommen seit 2015 vor allem wegen der Inhalte, das ist der Traum eines jeden Theatermachers.“

2015, das war das Jahr der Flüchtlingskrise, ein einschneidendes Jahr: „Die Menschen waren davor definitiv unpolitischer. Seit 2015 hat sich alles politisiert, das ist nicht zu übersehen.“ Inzwischen müsse man aufpassen, gerade im Theater, dass man angesichts zunehmend hysterisch geführter Debatten es mit der politischen Korrektheit nicht übertreibe: „Ich merke auch, dass wir dazu neigen, uns selbst zu zensieren. Mir gefällt nicht, wenn man im vorauseilenden Gehorsam gewisse Dinge unterlässt, das darf nicht passieren. Die Diskussionen sollen nicht die Theatermacher führen, sondern das Publikum.“

"Meine gesetzliche Rente wird dreistellig sein"

Auf die Frage, ob Geld eine Rolle bei einer Vertragsverlängerung spielt, sagt Karin Beier: Nein. Sie sagt aber auch, dass Geld mit zunehmenden Alter eine größere Bedeutung für sie gewinne: „Die Rente, die mich erwartet, ist dreistellig, weil ich ja sehr lange als freischaffende Künstlerin gearbeitet habe.“ Darüber mache sie sich heute mehr Gedanken, als sie das in jungen Jahren getan habe. Trotz eines aktuellen Gehalts von rund 200.000 Euro im Jahr.

Zuhause hätte Karin Beier übrigens auch jemanden, mit dem sie viel und lange über Theater, gerade über das eigene, diskutieren könnte. Ehemann Michael Wittenborn ist nicht nur Schauspieler, sondern Mitglied des Schauspielhaus-Ensembles.

Karin Beiers Ehemann arbeitet in ihrem Team

Seine Frau ist also sein Chef: „Ich kenne es gar nicht anders, wir arbeiten viel zusammen“, sagt sie. Trotzdem würde zu Hause so gut wie nie über das Theater geredet, wobei: das behaupten alle Ehepartner, die in derselben Branche arbeiten.

Bei ihnen stimme es aber, so Beier, und dass ihr Michael etliche ihrer Inszenierungen, zum Beispiel „Die Unterwerfung“, genauso wenig gesehen habe wie sie viele seiner Filme. „Und ich finde das auch gar nicht schlimm. Besser, er geht nicht rein, als dass er irgendetwas Kritisches sagt…“