Hamburg. Die gefragte Regisseurin Katie Mitchell inszeniert in Hamburg gleich an zwei großen Staatsbühnen. Ein Gespräch über ihre Arbeitsweise.

Die britische Regisseurin Katie Mitchell ist ein international gefragter Star, sowohl am Theater als auch in der Oper. In Hamburg inszeniert sie in dieser Saison gleich an zwei großen Staatsbühnen: Nach der Premiere von „Bluets“ im Malersaal des Schauspielhauses vor wenigen Wochen, kommt an diesem Sonntag die Oper „Lessons in Love and Violence“ von George Benjamin an der Staatsoper heraus. Die Uraufführung der Koproduktion mit einem Libretto von Martin Crimp ging bereits im Mai 2018 in London über die Bühne. Ein Gespräch über Arbeitsweisen und Ziele in unterschiedlichen Kunstformen.

Hamburger Abendblatt: Viele Theaterregisseurinnen und -Regisseure zieht es an die Oper. Ist das der Ritterschlag?

Katie Mitchell: Oh nein, natürlich nicht. Das höchste Ziel ist brillantes Theater. Das kann natürlich in der Oper und im Theater stattfinden. Das Ziel ist immer eine dynamische Live-Performance mit starken Ideen und einem Grad an formellem Experiment. Ich habe über 70 Stücke inszeniert und 30 Opern. Ich mag die Vielfalt zwischen Theater und Oper, Lesungs-Installation und Tschechow. Der Wechsel stimuliert mich, hält mich frisch.

Worin unterscheiden sich die Betriebe?

Mitchell: Im Theater habe ich 100 Prozent der Aufmerksamkeit der Schauspieler verfügbar, an der Oper manchmal 40 Prozent, manchmal auch nur 20 Prozent der Sängerinnen und Sänger, weil die mentale und physische Disziplin zu singen viel Raum einnimmt. Auch das Tempo ist unterschiedlich. Im Theater gibt es Alltagssprache, in der Oper ist sie verlangsamt. Das Orchester gibt den Klang vor, das begrenzt die Möglichkeiten auf der Bühne. Als Regisseurin ist man an der Oper nicht der wichtigste Mensch, sondern der Dirigent. Der Komponist entscheidet über die emotionale Dynamik der Szenen, das schmälert den Raum für eigene Entscheidungen. Aber ich mag die Oper. Ich mag die Musik. Ich mag die Sänger.

Sind Schauspieler eigentlich einfacher im Umgang als Sänger und Musiker? Was sind die jeweiligen Besonderheiten und Befindlichkeiten?

Mitchell: Es sind alles hochprofessionelle Künstler mit Stärken und Schwächen. Als Nichtmusikerin respektiere ich ihre Lesart als Sänger. Als Nichttheatermenschen sprechen sie manchmal viel über Psychologie und Figuren. Der Respekt kann manchmal eine Einbahnstraße sein. Jeder glaubt, er kann über Gefühle und Charaktere sprechen, aber wenn es um eine komplizierte Partitur geht, ist klar, dass sich da nur ganz spezialisierte Menschen auskennen. Oper funktioniert nur wenn es ein Einverständnis gibt, dass jeder die Hälfte der Arbeit beisteuert. Es gibt natürlich Eitelkeit, Neid und Angst.

Holt sich Schauspielhausintendantin Karin Beier, die in der nächsten Saison zum ersten Mal an der Staatsoper in Hamburg inszeniert, Ratschläge bei Ihnen?

Mitchell: Oh nein, sicher nicht. Sie ist eine Meisterin, die schon viel Erfahrung im Musiktheater hat. Außerdem ist sie meine ­Chefin.

Gerade haben Sie im Malersaal des Deutschen Schauspielhauses mit „Bluets“ kleine essayistische Miniaturen inszeniert. Was hat Sie an diesem Text von Maggie Nelson gereizt?

Mitchell: Ich bin an Texten interessiert, die auf meine Wahrnehmung der Welt als einer eher chaotischen Erfahrung eingehen. Außerdem ist Maggie Nelson eine der wichtigsten weiblichen und feministischen Stimmen in den USA.

Der Text hatte auf der Bühne im Vergleich zu anderen Arbeiten eher den Charakter einer inszenierten Lesung als einer Theaterperformance.

Mitchell: Das kommt darauf an, was man darunter versteht. Ich würde es als Theaterperformance betrachten. Ich glaube, beim Begriff Theater hat das Publikum unbewusste Annahmen, was das sein soll. Wir bieten etwas an, das eventuell nicht mit dieser Erwartung übereinstimmt. Es gibt eben keine Charaktere oder Figuren.

Texte des Dramatikers Martin Crimp haben Sie schon vielfach am Theater uraufgeführt. Nun auch in der Oper „Lessons in Love and Violence“. Was reizt Sie immer wieder an seinen eher pessimistischen Sichtweisen?

Mitchell: Martin und ich arbeiten seit 20 Jahren zusammen. Diese Oper ehrt diese Zusammenarbeit und sein Interesse, sehr dunkle Momente des Zusammenlebens zu untersuchen. Der Text ist sehr offen, sehr stark, sehr finster. Die Komposition ist außergewöhnlich. Eigentlich eine Anti-Oper. Alle Szenen werden von Kindern gerahmt, durch ihre Augen gesehen. Dadurch lernen sie und handeln entsprechend, wenn sie an die Macht kommen.

Was erzählt das über unsere heutige Welt?

Mitchell: Wenn wir unverantwortlich und mit Gewalt handeln, wirkt das auf die nächste Generation. Es geht darum, wie unser Vermächtnis aussehen soll. Die Handlung erzählt von einem Machtmissbrauch und einer Liebe und wie es wäre, die Macht nicht zu missbrauchen. Mich erinnert die Geschichte an Politiker wie Donald Trump. Er denkt nicht an sein Land, wenn er sagt der Klimawandel sei eine Lüge.

Sie betreuen die Inszenierung nicht persönlich vor Ort. Wie genau kennt Ihr Assistent Dan Ayling Ihr Konzept?

Mitchell: Ich kann nicht alle sieben Tourdaten persönlich übernehmen. Ich richte immer nur das Original ein. Dan Ayling und ich arbeiten sehr eng und an vielen Details, um sicherzustellen, dass alle Menschen an allen Orten genau dasselbe sehen.