Hamburg. Kultursenator Carsten Brosda und Literaturhaus-Chef Rainer Moritz duellieren sich erneut. Hier schreiben sie über ihre Song-Favoriten.
Bei der Erstauflage im vergangenen Jahr herrschte im Literaturhaus eine enorm heitere Atmosphäre. Was im DJ-Battle der leidenschaftlichen Musikfans Carsten Brosda, Kultursenator der Freien und Hansestadt Hamburg, und Rainer Moritz, Leiter des Hamburger Literaturhauses, nicht am Schlager-Sujet allein lag, das Letzterer so vehement vertritt. Sondern auch an der Schlagfertigkeit Brosdas, der überdies die Seichtheit mit Tiefe konterte: Er mag amerikanische Songwriter-Musik à la Kris Kristofferson, Johnny Cash, Bruce Springsteen und Emmylou Harris. Rainer Moritz mag Drafi Deutscher und Bernd Clüver. Tja.
Die Dramaturgie des Abends wollte es, sehr zu Recht, dass den Wortgefechten und kundigen Songerklärungen die Kunst folgte: Etliche der besprochenen Lieder wurden dem bestens unterhaltenen Publikum vorgespielt. Mal lauschte es andächtig, mal sang es beseelt mit und das dann fast immer auf Deutsch. Man kennt halt seine Schlager.
Aufgrund des großen Erfolges heißt es nun am Schwanenwik das zweite Mal „Country meets Schlager“. Diesmal gibt es eine thematische Engführung, nämlich: „Alkohol und andere Laster“. Im Abendblatt schreiben die Duellanten an dieser Stelle über jeweils einen ihrer Lieblingssongs, den sie am Abend auflegen werden.
Carsten Brosda:
„Friends In Low Places“
Im heißen Sommer 1991 gab es in Texas kein Entrinnen. Dieser Song war überall. Und für den Sänger regnete es Preise. Dabei handelt es sich keinesfalls um große Liedkunst, auch nicht um ein Beispiel jener kleinen Form, die im Country oft zur Meisterschaft gebracht wird, in der auf wenigen Zeilen ganze Panoramen verdichtet werden. Mit viel Wohlwollen hat man es mit einer sozialrealistischen Studie zu tun, der es gelingt, schreckliche Umstände zu beschreiben und damit gute Laune zu verbreiten: Der Sänger als Underdog, der die hochgestochene Party seiner Ex heimsucht, herumpöbelt und sich in die Arme von Bier und Whiskey flüchtet. Dazu grölt eine räudige Menge den Refrain, sie klingt, als sei sie einer aus dem Ruder gelaufenen College-Party entnommen worden. Irgendwo meint man zu hören, wie eine Bierdose am Mikro geöffnet wird. Alles um zu verdeutlichen, dass die besungenen „Friends In Low Places“ authentisch sind.
Ich hörte das Lied zum ersten Mal aus dem Mund meines damals sieben Jahre alten Gastbruders, der den Refrain bei jeder Gelegenheit sang. Und gerade aus dem Mund eines Grundschülers hatten es die Zeilen in sich: „’Cause I’ve got friends in low places/Where the whiskey drowns/And the beer chases my blues away/And I’ll be okay ...“
Der Sänger dieses Song gewordenen Klischee-Infernos, das es regelmäßig in die Top Ten der „100 Greatest Songs of Country Music“ schafft – und auch auf Platz eins eines Rankings der „40 Greatest Drinking Songs: Morning After“ – war aber natürlich kein kleiner Junge, sondern Garth Brooks, damals auf dem Weg, der größte Star des Country zu werden. Ein „real deal“, wie mir mein Gastvater bewundernd versicherte, als er mich mit zum Konzert schleppte, bei dem dieser „real deal“ zum letzten Refrain des Songs seine Akustikgitarre auf der Bühne zerschmetterte. Ich war nicht überzeugt, aber ich fing an im texanischen Country zu graben - und stieß dabei auf Sänger wie Townes Van Zandt oder Guy Clark. Sie sollten meine wahren „friends in low places“ werden …
Rainer Moritz:
„Verliebt in den Lehrer“
Daran erinnern sich die meisten, an die Sternstunde des „Tatorts“ aus dem Jahre 1977. „Reifeprüfung“ hieß das bewegende Stück, bei dem Wolfgang Petersen Regie führte und Klaus Schwarzkopf den Ermittler gab. Die Folge spielt bei uns im Norden und erzählt von den unseligen Konsequenzen (Totschlag, Haft etc.), die sich ergeben, wenn sich eine blutjunge Schülerin (gespielt von Nastassja Kinski) und ein vielfach überforderter, zudem verheirateter Lehrer (gespielt von Christian Quadflieg) auf Intimitäten einlassen.
Das Thema war so en vogue, dass es auch am deutschen Schlager, an Christian Anders nicht vorüberging. Der hatte seine größte Zeit (mit dem Zug, der nach nirgendwo fuhr) schon hinter sich, als er das herrlich quietschende „Verliebt in den Lehrer“ aufnahm. Die vom Lehrkörper in Bann gezogene Schülerin steigert zwar ihre schulischen Leistungen („Eine Eins in Rechnen, eine Zwei in Latein“), doch selbst in sozialliberaler Zeit war diese Leidenschaft moralisch nicht akzeptabel.
Um die Schule zu einer Höhle des Lasters zu machen, musste man seinerzeit nicht heimlich Zigaretten auf dem Klo rauchen oder Alkohol (Apfelkorn vermutlich) zu sich zu nehmen. Liebe unter Abhängigen genügte. Ich selber hätte mich nie mit Lehrerinnen eingelassen.
Am besten gefällt mir an diesem Schlager, dass die entflammte Schülerin auf den Namen „Mary-Lorraine“ hört – was damals weder in Recklinghausen noch in Erfurt üblich war. Ich freue mich darauf, über solche philologischen Fragen mit Senator Brosda sprechen zu dürfen. Und darüber, was aus Christian Anders geworden ist: ein langhaariger Guru in Kalifornien, ein sich nackt an die JVA Aschaffenburg Kettender, der sich so für seinen Bruder, einen SPD-Politiker übrigens, einsetzen wollte, und ein Autor, der dicke Bücher über Darwin und Aids schreibt und jedes Jahr auf der Leipziger Messe einen Stand hat. Womit die Brücke zur Hochkultur geschlagen wäre. Ja, auch Schlagersänger haben interessante Biografien.
„Countryzeit, Schlagerzeit“
Di 12.2., 19.30, Literaturhaus, Schwanenwik 38. Die Veranstaltung ist ausverkauft.