Hamburg. Ausverkauft, na klar: Der 72 Jahre alte und glänzend aufgelegte holländische Musiker nahm die Elbphilharmonie im Sturm.
Das Setting ist eindrucksvoll. Xylofon, Schlagwerk und Perkussion, Harfe, Piano, Gitarren, Kontrabass, E-Bass und diverse Violinen warten im Großen Saal der Elbphilharmonie auf ihren Einsatz. Dann schlendert er herein, leuchtend rotes Hemd, schwarze Hose, den silbrigen Haarkranz wie einen Heiligenschein tragend. Der nimmermüde Herman van Veen fühlt sich auch noch mit 72 Jahren auf der Bühne sichtlich wohl. Für die Aussicht, sein Elbphilharmonie-Debüt geben zu dürfen, unterbricht er sogar eine laufende Holland-Tournee und fährt das ganz große Besteck auf.
Womit könnte man ein Hamburger Konzert am besten eröffnen? Mit einem Lied über den Regen natürlich. „Und wenn es nicht regnet, fängt es an zu regnen“, singt van Veen in einem Lied, das eigentlich ironisch „Amsterdam“ gewidmet ist und in dem eine andere Liedzeile lautet „Tauben scheißen Rembrandt weiß“. Der Holländer, bürgerlich Hermannus Jantinus van Veen, Jahrgang 1945, gibt noch immer überzeugend den Barden, den Bänkelsänger - aber auch den Clown.
Freigeist mit Sprachwitz
Den Freigeist mit Sprachwitz, der offenherzig über Gefühle spricht und Haltung anmahnt. Dabei nimmt Herman van Veen kein Blatt vor den Mund. Vor seiner Partitur stehend, erzählt er fröhlich Anekdote um Anekdote, die meisten heiter, manche auch melancholisch. Die „sexy Pläne“ seines Vaters bei seiner Mutter will man im Detail gar nicht so genau wissen. Van Veen erzählt sie trotzdem. Und die Lacher sind meist auf seiner Seite.
Dass seine Songs, die er hier meist auf Deutsch, manchmal auch mehrsprachig singt, wie moderne Weltmusik arrangiert klingen, liegt an den famosen Musikern und den raffinierten Jazz-Arrangements. Die vier Frauen und drei Männer könnten alle seine Kinder oder Enkel sein. Jeder von ihnen bekommt einen glanzvollen Kurzauftritt. Die langjährige Gitarristin Edith Leerkes darf sogar ein berührendes spanischsprachiges Lied als Solo singen. Der blutjunge Schlagzeuger Yordi Petit begeistert mit pointierten Rhythmen. Die alle mehrfach begabten Musiker wechseln munter Instrumente und Besetzungen. Im Nu entwickelt sich das inklusive Pause auf fast drei Stunden gedehnte Konzert zum heiter-besinnlichen Kamingespräch mit Folkmusik.
Launige Begebenheiten
Van Veen singt von launigen Begebenheiten, aber auch von eigenen Ängsten und vom Zustand der Welt. Die meisten Lieder stammen vom aktuellen deutschsprachigen Album „Fallen oder Springen“. Ein Themenalbum, das die Reise des Lebens einmal nachzeichnet. Hemmungslos wildert van Veen für seine Lieder in seiner Familien-Biografie. Alle müssen ran. Seine Mutter, „eine kleine, dicke lustige Frau“, die Großeltern, auch die eigenen Kinder. Wenn er etwa in „Mein Herr“ Farbe bekennend die Liebe seiner Tochter zu einer Frau besingt, wissend, dass eine solche Liebe in einigen Ländern den sicheren Tod bedeutet.
Der Liedermacher ist im Winter seines Lebens angekommen, und er spricht mehrfach an diesem Abend davon, dass er morgens im Spiegel seinen eigenen Vater sieht, doch noch immer tobt das Rock-‘n’-Roll-Tier in dem Chansonnier. Und so schlüpft er mehrfach aus seinen Schuhen und tanzt und springt wie ein junger Hansdampf über das frisch gebohnerte Parkett. Oder überlässt seinem Fuß die Akkorde auf dem Piano.Eigenkompositionen garniert er mit Schlagern wie „Que sera, sera (Whatever Will Be, Will Be“) oder dem lasziven „Bésame Mucho“. Aber auch Little Richards „Tutti Frutti“ kommt samt kesser Sohle des Sängers zu Gehör. Ebenso wie das Rocco-Granata-Cover „Marina“. 140 Tonträger hat Herman van Veen in seiner langen Karriere herausgebracht, dazu 60 Bücher; und Maler ist er ja nebenbei auch noch.
Kein bisschen müde
Er singt über die, die „Anders anders“ sind. Sagt „Ich lieb dich noch“, offenbart in „Die Väter“ deren Nöte, schwärmt von „Anne“ und lässt neben zwei Violinistinnen seine eigene Geige in „Hier unten am Deich“ aufs Schönste tanzen. „Wenn du es sagst“ handelt augenzwinkernd von einem verdutzten Josef im Angesicht der unbefleckten Empfängnis Marias. Minuten später spricht er von Kriegsgefahr und dem „blonden Mann“. Den Leitsatz „Man soll auf die Pauke hauen!“ nimmt er wörtlich.
Familie meint bei van Veen immer auch die Konzertfamilie. Und natürlich gedenkt er in einer Zugabe seinem verstorbenen Weggefährten über 52 Jahre: Erik van der Wulff, kongenialer Komponist und Pianist. Als eine der vielen Zugaben singt der Meister schließlich Leonard Cohens „Suzanne“. Längst tobt und steht da das Publikum im Saal. Hermann van Veen wirkt aufrichtig bewegt. Er gelobt in zwei bis drei Jahren wiederzukommen. Und hüpft von der Bühne. Kein bisschen müde.