Hamburg. Das Konzert des Holländers in der Laeiszhalle wird zu einer Hommage an seinen verstorbenen Pianisten.
Noch bevor der erste Akkord erklingt, taucht ein Scheinwerfer den schwarzen Flügel in diffuses Licht. Doch als Herman van Veen mit seiner Musikantenschar auf die Bühne der Laeiszhalle schreitet, bleibt der Klavierschemel verwaist. Hier war über 50 Jahre der Stammplatz von Erik van der Wurff, ein kleiner, gebeugter Mann mit schütterem Haar. „Ich bin der Sänger von Erik“, sagte Herman van Veen gern; 1962 hatten sich die beiden im Konservatorium in Utrecht kennengelernt.
Im September 2014 verlor van der Wurff im Alter von 69 Jahren seinen Kampf gegen die Leukämie – und van Veen seinen engsten Weggefährten. „Ich realisierte stärker als je zuvor, dass die Welt bei einem solchen Kummer nicht stillsteht. Und dass sie gnadenlos und glücklich weitermacht“, sagt van Veen.
Der Treff der Generationen wirkt wie ein Jungbrunnen
Auch van Veen entschied sich für das Weitermachen, ohne Erik. Und für eine radikale Zäsur. Van Veen verpflichtete keinen neuen Pianisten, wohlwissend, dass niemand seinen Freund wirklich ersetzen könnte. In der Laeiszhalle setzt er sich nur ab und an selbst an den Flügel, den Keyboardpart übernimmt der junge Schlagzeuger im Nebenjob. Er könnte wie andere Bandmitglieder van Veens Enkelkind sein, gemeinsam mit seiner langjährigen Gitarristin Edith Leerkes engagierte van Veen hochbegabte Musiker für den Neustart nach der Van-der-Wurff-Ära.
Genau dies war van Veens wohl beste Idee seiner Karriere.
Das Zusammenspiel der Generationen wirkt wie ein Jungbrunnen für den inzwischen auch schon 71-Jährigen. Neidvoll wuschelt van Veen durch die Lockenpracht seines Klarinettisten, liefert sich dann ein Geigenbogen-Fechtduell mit seiner Violinistin. Da ist er wieder, der ewige Clown, der sich beim Abschied das obligatorische Rosenblatt auf die Nase klebt. Van Veen tanzt Rock ’n’ Roll zu Little Richards Klassiker „Tutti Frutti“, knöpft sich lasziv das rote Oberhemd auf, um Rocco Granatas „Marina“ zu schmachten. Van Veen gestattet seinen Kollegen sogar, seinen Klassiker „Warum bin ich so fröhlich“ zu verballhornen. Vor allem aber riskiert van Veen mehr denn je abrupte Stimmungswechsel.
Der Holländer hat diese Achterbahnfahrten mit den Emotionen seiner Fans schon immer geliebt. Doch im aktuellen Programm sind die Schnitte so hart wie in einem richtig guten Krimi. Eben noch watschelt er als Ente Kwak aus der preisgekrönten Zeichentrickserie Alfred Jodocus Kwak über die Bühne, das Publikum kriegt sich kaum noch ein. Doch Sekunden später rührt der Komödiant wieder zu Tränen, etwa mit seinem Lied über die Trauer eines Scheidungskindes, das sich so sehr nach seiner Mama sehnt. Stolz erzählt van Veen über die Hochzeit seiner Tochter Anne, singt noch einmal das Lied („Die andren Babys sah ich nicht. Ich sah nur dein Gesicht“), das er vor 30 Jahren für sie geschrieben hat. „Sie ist jetzt verheiratet mit einer Frau“, sagt van Veen dann strahlend. Das Publikum freut sich mit dem glücklichen Brautvater – und muss nur eine Minute später hören, wie van Veen homophobe Regime anklagt: „Wo wohnt der Gott, der findet, dass meine Tochter nur Männer lieben darf?“ Das Kinderlied im aktuellen Programm widmet van Veen den jungen Opfern von Gewalt: „Für die, die missbraucht, ertrunken oder chancenlos in den Asphalt gefahren wurden.“
Das Thema Tod ist ohnehin an diesem Abend sehr präsent. Mit viel Sentiment erinnert van Veen an seine Eltern. Er spricht über seinen Vater, wie gern er noch einmal seine Stimme hören würde. Über seine Mutter, die ihn tröstete, wenn er unglücklich verliebt war. Und natürlich über seinen Freund Erik.
Er denkt noch lange nicht an Abschied
Es sind Momente, in denen das Konzert in einen Trauergottesdienst abgleiten könnte. Doch davor bewahrt van Veen sein komödiantisches Talent. Mitunter kokettiert er mit seinem Alter, schlurft tattrig über die Bühne, klagt dann: „Wenn ich morgens vor dem Spiegel stehe, denke ich, ich rasiere meinen Vater.“ Natürlich alles nur Show. Denn Sekunden später steppt, trommelt und tanzt er, als ginge es um den Sieg in einer Castingshow. Und dann, man mag kaum glauben, dass van Veens erster Auftritt in Hamburg über 42 Jahre zurückliegt. Am 27. Mai 1974 gastierte er mit van der Wurff im Schauspielhaus. Elf Tage zuvor hatte der Bundestag Helmut Schmidt zum fünften Kanzler der Bundesrepublik gewählt.
Und auch mit 71 denkt van Veen noch lange nicht an Abschied, warum auch , wenn ihn seine Fans so feiern wie in Hamburg. Regelmäßig lasse er sich von einem Kardiologen durchchecken, da seine Eltern beide an Herzproblemen gestorben seien. Und der sage immer: „Herman, du darfst nicht aufhören. Das ist viel zu riskant.“
Und so kündigt van Veen beim Abschied gleich seinen nächsten Besuch in der Hansestadt an: „Wenn Sie vorsichtig nach Hause fahren und ansonsten gesund bleiben, sehen wir uns in zweieinhalb Jahren wieder.“ Wer nicht so lange warten mag: Es gibt noch Karten für das dritte Konzert am heutigen Sonnabend.
Herman van Veen (Sonnabend, 20 Uhr, Laeiszhalle, Johannes-Brahms-Platz),
Restkarten für 51,40; 64,40; 58,90; 68,90 Euro, Karten erhältlich an den Vorverkaufs-
stellen und an der Abendkasse.