Hamburg. Für die Hamburger Musiklandschaft ist der Raum Chance, Herausforderung und Problem zugleich. Das beginnt schon mit der Bühnenposition.
Vielleicht riecht der Große Saal der Elbphilharmonie ja auch noch speziell. Zuzutrauen wäre es den beiden Architekten, und es wäre für sie auch nicht das erste Mal. Für eine Werkschau 2004 in Rotterdam hatten Jacques Herzog und Pierre de Meuron einen Duft kreiert und in Flakons abgefüllt. Den Geruch von Rotterdam. Etwas Rheinwasser-Aroma, dazu angeblich Patschuli, Hasch, Mandarine, Alge, Fell und: eine Prise Hund, als olfaktorische Erinnerung an einen speziellen Ort.
Für ein „Eau de Elbphilharmonie“, beim Eröffnungskonzert am 11. Januar dezent in die Lüftungsanlage geträufelt, wäre dann bestimmt das muffige Aroma alter Kakaobohnen dabei, als Hommage an die Lagerhaus-Vergangenheit vom Kaispeicher A, Fischbrötchen, das Rostig-Metallische einer Container-Kiste und der alkoholisierte Mief einer glücklich verschwitzten Kiez-Kaschemme.
Hat Hamburg sich in etwas Einzigartiges verwandelt?
Doch jetzt und heute, am vertraglich festgelegten lang erwarteten und verbissen erarbeiteten Tag der Übergabe, ist viel wichtiger, was der jetzt vollendete Große Saal der Elbphilharmonie schon für die wachsen sollende Kulturstadt Hamburg geleistet hat, obwohl er noch gar nichts geleistet hat. Heute erhält ihn die Stadt von Hochtief, worauf sie viel länger als erwartet wartete (und viel mehr als gedacht bezahlte).
Erst in einigen Wochen werden hier die ersten Gewöhnungsproben des NDR Elbphilharmonie Orchesters stattfinden. NDR-Chefdirigent Thomas Hengelbrock wartet darauf, die Essenz seines Orchesters in diesem Saal neu zu justieren. Und es ist kaum übertrieben, wenn man behauptet, dass von diesen 23.000 Kubikmetern ein großer Teil der Zukunft Hamburgs geprägt werden wird. Hier entscheidet sich, ob die Stadt sich für insgesamt mehr als 860 Millionen Euro in etwas weltweit Einzigartiges verwandelt haben wird. Oder ob man sehr, sehr teure Regionalliga-Ware bekommen hat, um kulturell mehr oder weniger so weiterzumachen wie bisher, nur in einer flotteren Kulisse.
Die Elbphi geht in Sachen Akustik neue Wege
Für die Hamburger Musiklandschaft jedenfalls ist dieser Raum Chance, Herausforderung und Problem zugleich. Das beginnt schon mit der Bühnenposition: Mittig, viel niedriger als in der hierarchisch gebauten Laeiszhalle. Das Geschehen auf der Bühne, die Menschen auf der Bühne, sie werden von allen Seiten zu sehen sein, weil sie in alle Richtungen gehört werden sollen. Die traditionelle Frontalunterricht-Distanz wird es hier nicht geben. Die Akustik ebenfalls nicht. Der Dirigent ist dort weniger klassischer Maestro, vielmehr einer von vielen. Der Dünkel, den manche Pult-Autoritäten so lieben, wird es hier schwerer haben als andernorts.
Auch das Publikum kann sich auf einen langen, aber hochspannenden Lernprozess einstellen, bei dem neu zu entdecken sein wird, was Musik ist und was sie sein kann. In der Laeiszhalle wusste man als Stammgast, wie was wo klingt. Wo die guten Plätze sind, wo die ganz guten und wo die, die man vermeiden sollte. Im Herzen der Elbphilharmonie ist alles neu, die Blickwinkel, die Raumerlebnisse, die Klangvariationen. Man wird wohl auch hören, ob die Stühle halten, was versprochen wurde. Dass es nämlich dank der Stoffbespannung für den Raumklang fast egal sei, ob dort jemand säße oder nicht. Andererseits: Leere Plätze werden sehr selten sein. Viele der Dauerkarten, die in den letzten Wochen wie warme Semmeln weggingen, waren auch Architektur-Abos.
Mahlers Achte ohne Platzangst
Zukünftig, falls die Elbphilharmonie-Akustik wie ersehnt ist, wird Repertoire spielbar sein, das in der Laeiszhalle nicht angemessen möglich war, weil die Bühne zu klein ist und der Saal zu knapp bemessen: Mahlers Achte ohne Platzangst? 2017 dreimal. Schönbergs „Gurre-Lieder“, noch üppiger besetzt, noch seltener? 2017 zweimal. Das muss die „Weiße Haut“, vom Akustiker Yasuhisa Toyota maßgeschneiderter Garant für Klanggüte, mitmachen können.
Der Einzug in einen neuen Saal als Stamm-Adresse wird insbesondere für das NDR-Orchester auch der Beginn einer neuen Klang-Tradition sein. Im Idealfall werden sich die Orchestermusiker auf der Bühne ebenso gut hören, wie sie von ihrem Publikum wahrgenommen werden. Falls das passiert, wird man ihrem Spiel anhören können, dass es so ist, weil die Kontrolle über Nuancen sehr viel bewusster passiert. Das überträgt sich als Lerneffekt aufs Publikum. Und am Ende, in wenigen Jahren, werden alle klüger sein.
Schon die Ouvertüre hat es in sich
Dass der Umgang mit der Kunstform Musik in der Laeiszhalle so gestrig daherkommt, ist ein Teil ihres Profils. Andererseits ist die Laeiszhalle so niedrigschwellig, wie themenfernere Politiker es ständig vom Kulturgut Klassik verlangen. Keine wuchtige Treppe wie beim Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt. Man kommt ebenerdig hinein, wie in die Berliner Philharmonie, deren Inneres mit seiner Weinberg-Form Modell stand für die Saalphilosophie im Herzen der Elbphilharmonie. Dort jedoch wird der Konzertbesuch ganz anders, viel theatralischer inszeniert. Schon die Ouvertüre hat es in sich, wenn man als Besucher mit einer gebogenen Rolltreppe Richtung Kunst bewegt wird. Und auch die Möglichkeit, vom Parkett durch alle Ränge in die oberste Saalschicht spazieren zu können, wird ein raumästhetisches Erlebnis sein. Erst recht, da man auf dem Weg zum Saal-Himmel an einigen Pfeifen der Klais-Orgel vorbeikommt.
Wo mit so viel Licht zu rechnen sein wird, kann es zwangsläufig auch zu Verschattungen kommen. Die Elbphilharmonie wird für viele die scharfe neue Braut im Designerfummel sein. Die Laeiszhalle, die gute alte Cousine im züchtigen Faltenrock, muss sich mächtig anstrengen, um da mitzuhalten. Generalintendant Christoph Lieben-Seutter wird im neuen Konzertsaal alles tun wollen, ohne deswegen Wichtiges im alten Saal lassen zu dürfen.
Noch ist die Musik nicht angekommen im Gr0ßen Saal, die Handbremse ist noch angezogen. Ein Raum wartet auf seine Bestimmung.
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