Hamburg. Beeindruckendes Programm: Weltstars wie Yo-Yo Ma, Bryn Terfel, Cecilia Bartoli geben sich in Hamburg die Klinke in die Hand.

Ein Programm, wie es auf diesem Planeten wohl nicht ein zweites Mal zu finden sei; ein Programm, wie es im 21. Jahrhundert sein müsse. Fast ein Jahrzehnt nach seinem Hamburger Amtsantritt und mehreren schmerzhaften Start-Verschiebungen war gestern für Generalintendant Christoph Lieben-Seutter endlich die Stunde der Wahrheit gekommen. Da dürfen es schon mal amtliche Superlative sein. Da bekanntlich an prominenteren Stellen des Gebäudes noch gebaut wird, präsentierte er das Programm seiner ersten Saison mit zwei Konzerthäusern im eisfachkühlen Parkhaus der Elbphilharmonie.

Das größte Geheimnis – was genau passiert in den beiden Eröffnungskonzerten am 11. und 12. Januar 2017? – wurde dabei allerdings nur im Kleingedruckten beantwortet, denn die Details will der NDR als Instanz des Residenzorchesters erst am Freitag enthüllen. Eine Auftragskomposition von Wolfgang Rihm mit Hamburg-Bezug wird es in einem Teil des Programms geben, „Triptychon und Spruch in memoriam Hans Henny Jahnn“, dirigiert von Chefdirigent Thomas Hengelbrock und mit Sieben-Sterne-Deluxe-Solisten: die Sopranistin Anja Harteros, der Countertenor Philippe Jaroussky, Tenor Jonas Kaufmann und sogar der Bassbariton Bryn Terfel, weltweit berüchtigt für seine Termin-Zurückhaltung, sind mit dabei. Illustrer geht es jedenfalls kaum. Und da Jahnn auch Orgelbauer war, kommt auch die frische Klais-Orgel im Großen Saal zum Einsatz, mit der frisch engagierten Residenzorganistin Iveta Apkalna. Der bestens gebuchte Rihm hat bereits geliefert, hieß es gestern. Diese Sorge wäre also vom Tisch.

Im Anschluss an den Auftakt soll es es drei Wochen Prominente und Ideen hageln, als gäbe es kein Morgen mehr, und als müssten nicht noch für viele weitere Jahre und Jahrzehnte Höhepunkte für den Spielbetrieb von Elbphilharmonie und Laeisz­halle gefunden werden. Und das ist lediglich der Auftakt für eine überpralle Saison.

Nach dem Beginn mit dem NDR zieht zunächst das Ensemble Resonanz in den Kleinen Saal ein, das vor etlichen Jahren schon mit „Kaispeicher entern!“-Konzerten als Pioniertruppe im Kaispeicher A auftrat, gefolgt von den Philharmonikern und Chefdirigent Kent Nagano im Großen Saal. Danach kommt das Chicago Symphony, als Anspielung auf eine von Hamburgs Partnerstädten, mit Riccardo Muti und gleich zweimal. Der Jazz-Pianist Brad Mehldau, solo. Das Arditti Quartet, nicht neu, aber immer toll. Den ersten klassischen Klavierabend gibt Mitsuko Uchida, die bis dahin hoffentlich bei der Flügel-Auswahl fürs Konzerthaus fündig geworden sein wird. Sie spielt unter anderem eine weitere Einweihungskomposition, diesmal von Jörg Widmann. Ein Abend mit den Einstürzenden Neubauten, mit Selbstironie der Langzeit-Planer garnierte Avantgarde. Die Wiener Philharmoniker, gleich zweimal, und einmal mit einem alten Bekannten, der sich in Hamburg viel zu rar gemacht hatte: Ex-Generalmusikdirektor Ingo Metzmacher. Über-Cellist Yo-Yo Ma kommt mit Bach und syrischer Musik.

Abschluss ist eine weitere gut ausgewählte Hamburgensie: Schönbergs Opernfragment „Moses und Aron“, 1954 hier immerhin konzertant uraufgeführt, mit Metzmacher als Gast beim NDR Elbphilharmonie Orchester, das seit gestern, seiner neuen Heimat wegen, diesen Namen trägt.

Doch auch abseits der ersten dicken Sensations-Glasur im Januar 2017 ist das Programmbuch nach den vielen Jahren des Wartens an vielen Stellen ein Quell der Vorfreude: Das gilt für die etablierten Abo-Reihen von NDR, Philharmonikern und Symphonikern und Pro Arte ebenso wie für die hauseigenen Ideen vom Team Lieben-Seutter, der an der Elbe fortsetzt, was schon an seiner vorherigen Wirkungsstätte im Wiener Konzerthaus organisch zum Angebot gehörte: Programminseln des Besonderen, Klein-Festivals als Saison-Sahnehäubchen (s. unten).

Besonders publikumswirksam dürften die fünf Konzerte von Gustavo „The Dude“ Dudamel werden, der unter der Devise „¡Viva Beethoven!“ alle neun Sinfonien des Wiener Klassikers mit dem Orquestra Sinfónica Simon Bolivar aufführt und damit ein jahrelang mehrfach vertagtes Versprechen einlöst, da nun der Saal dafür endlich betriebsbereit sein wird.

Eine besondere Aufgabe beim House­warming am Hafen kommt jedoch auf das NDR Elbphilharmonie Orchester zu. Dort wurde ein neues Konzertformat entwickelt, um neues und anderes Publikum in die beiden zu bespielenden Häuser zu locken: Die „Konzerte für Hamburg“ sind mit gut einer Stunde deutlich kürzer, kompakter und im guten Sinne des Wortes populärer gedacht. Ihre Anfangszeiten sind in den frühen Abend verschoben, die Appetithappen werden in zwei Zeitblöcken (31.1. – 19.2. / 21. – 25.6.) gebündelt. 60.000 Karten, mit Preisen, die bei sechs Euro beginnen. Eine Kleiderordnung gäbe es nicht und auch keine Pflicht, sich den verpönten Applaus zwischen den Sätzen einer Sinfonie verkneifen zu müssen. So viel also zum Thema Sendungsbewusstsein des Rundfunkorchesters, und ebenso zum chronischen Geunke, Karten in der Elbphilharmonie seien ohnehin erst ab Chefarzt-Gehalt mit Zulage erschwinglich.

Die neue Prestige-Adresse in der HafenCity ist nun also zum Greifen nah. Doch die immer noch mehr als gute, alte Laeiszhalle soll und wird weiterhin eine Hauptrolle im Konzept-Konzert der Musikstadt Hamburg spielen. Deswegen startet auch die reguläre erste Hälfte der Spielzeit 2016/17 weit über Durchschnitt, und sie geht auch so weiter, bis die Sommerpause kommt: Der Komponist Matthias Pintscher, gerade als Erster Gastdirigent vom Lu­cerne Festival Orchestra engagiert, wird bei nicht weniger als sieben Konzerten der nächsten Saison im Mittelpunkt stehen, in beiden Lieben-Seutter-Hallen und auf Kampnagel.

Die Liste der prominenten Gast­orchester, Dirigenten und Virtuosen ist beeindruckend: Riccardo Chailly, neu in Mailand, kommt mit dem Scala-Orchester, die Sächsische Staatskapelle mit ihrem Chef Christian Thielemann. Daniel Barenboim mit seiner Berliner Staatskapelle und seinem West-Eastern Divan Orchestra. Dass der wunderbare Mariss Jansons mit dem BR-Orchester aus München und Sir Simon Rattle mit seinen Berlinern ebenfalls neugierig auf die neue Immobilie sind, geht in dieser Ballung fast schon unter.

Cecilia Bartoli mit einer konzertanten „Cenerentola“, Ian Bostridge in Brittens „Curlew River“, Joyce DiDonato in Händels „Ariodante“. Liederabende mit Diana Damrau und Jonas Kaufmann. Klavierabende mit Daniil Trifonov, Pierre-Laurent Aimard, Murray Perahia oder Igor Levit. Eine sechsteilige Porträtkonzert-Reihe von und mit dem Komponisten und Klarinettisten Jörg Widmann. Ein Streichquartett-Zyklus für Gourmets mit den Belceas oder dem Hagen Quartett. Dazu – weil man es jetzt endlich kann, ohne Angst vor Hörstürzen haben zu müssen – extradicke Repertoire-Brocken wie Mahlers Achte und Schönbergs „Gurrelieder“, beide mit Philharmoniker-Chefdirigent Kent Nagano.

Besonders charmant und hoffentlich symptomatisch für die Beziehung zwischen Publikum und Konzerthaus ist das neue Kleinformat „Blind Date“ im Kleinen Saal der Elbphilharmonie, bei dem nur klar ist, wo es passiert, aber nicht, mit wem. Wenn Lieben-Seutters Programm hält, was die Papierform verspricht, beginnt in diesem Herbst eine neue Ära für das Hamburger Musikleben.

Alle Tickets für Konzerte in der Elbphilharmonie erhalten Sie auch bei uns! Hamburger Abendblatt-Geschäftsstelle Großer Burstah 18-32, 20457 Hamburg Öffnungszeiten: Mo - Fr 9 – 19 Uhr, Sonnabend 10 – 16 Uhr