Hamburg. Peter Schmidt über Stil, Kunst und Hamburg – und über einen prominenten Medienmacher, der dem Designer sehr unsympathisch daherkam.

Schwarze Hose, schwarzer Pullover, leuchtend weiße Sneaker. Keine Farbe, keine Schnörkel, nur diese Schuhe, die schon von Weitem strahlen wie ein Statement. Peter Schmidt ist Designer; würden Kinder statt Feuerwehrmännern oder Prinzessinnen Designer malen, käme wohl jemand wie er dabei heraus. Peter Schmidt, 78, der zierliche, asketisch wirkende Mann mit der Glatze und dem berühmt gewordenen Allerweltsnamen, ist einer der renommiertesten und bestgebuchten Gestalter des Landes. Parfümflakons wie der von Davidoffs Cool Water sind von ihm, er hat sich den Blockschriftzug der Marke Jil Sander ausgedacht, weltbekannte Mineralwasserflaschen entworfen, Bühnenbilder gebaut und erst jüngst einen neuen fränkischen Bocksbeutel erdacht. Er lächelt viel, spricht mit sanfter Stimme und warnt beim Gespräch im Restaurant Strauchs Falco in der HafenCity, das sein Lebensgefährte führt, vor seiner Bestellung: „Erschrecken Sie nicht!“ Dann isst er tatsächlich Labskaus während des Interviews. Mit Extra-Spiegelei. Sein iPhone liegt, das ist dann weniger überraschend, griff­bereit auf dem Tisch.

Hamburger Abendblatt: Muss man als ­Designer eigentlich Apple-Fan sein?

Peter Schmidt: Man kommt jedenfalls nicht drumherum, Nutzer zu sein. Und ich bin auch Bewunderer. Ich habe Spaß daran, bloß die Feinheiten bleiben mir fremd. Da sind aber tolle Sachen dabei, ich kann zum Beispiel jetzt, während wir sprechen, mein Haus in Spanien beobachten und schauen, ob dort die Sonne scheint und ob wir das Gespräch nicht lieber dort fortsetzen sollten (lacht). Allerdings gehöre ich zu den wenigen Menschen, die das Ding auch ausstellen können. Richtig aus. Es ist ja manchmal eine Zumutung.

Was ist gutes Design? Ist es Hülle? Oder Kern? Weil es das Produkt erst zu dem macht, was es sein soll?

Schmidt : Gutes Design ist etwas, das manchmal verloren geht: Angemessenheit.

Gibt es etwas, das so perfekt gestaltet ist, dass man es nicht verbessern kann?

Schmidt : Die Natur ist perfekt. Vollkommener als ein Grashalm geht es nicht. Er ist perfekt für die Aufgaben, die er erfüllen muss: sich im Wind wiegen, den Boden feucht halten, als Futter für die Tiere dienen. Phänomenal. Und angemessen. Die Dinge so zu beurteilen, haben wir leider verloren.

Warum?

Schmidt : Weil wir so größenwahnsinnig sind. Der Größenwahn steht vielem im Weg. Schauen Sie aus dem Fenster. Die Elbphilharmonie ist auch größenwahnsinnig. Herr Lieben-Seutter, der Intendant und ein wirklich feiner Mensch, hört das natürlich nicht gern.

Aber wenn es Größenwahn in der Kunst nicht mehr gäbe – wo wäre dann die Kunst?

Schmidt : Der Höhepunkt der Literatur ist für mich ein persisches Gedicht: so rein und so schön. Oder wenn wir von den ganz Großen sprechen: Hieronymus Bosch. Er ist angemessen in dem, was er darstellen will. Oder die Sixtinische Kapelle: auch nicht größenwahnsinnig, weil Michelangelo kleine Frechheiten eingebaut hat, die das Ganze brechen.

Fehlen Ihnen bei der Elbphilharmonie diese Brüche?

Schmidt : Ich freue mich ja auf das Konzerthaus. Aber wir haben im Leben die Aufgabe, die Dinge zu überwinden, und das geht eben nicht, wenn man größenwahnsinnig denkt. Und manchmal braucht man den Größenwahn dann eben doch. Wahn, Wahn, überall Wahn! Nehmen Sie Venedig: Die ganze Stadt ist größenwahnsinnig.

Der Wahn kann also der Kunst, der Schönheit durchaus dienen?

Schmidt : Ja.

Und die Elbphilharmonie könnte eine ­gelungene Sache sein, obwohl Sie sie ­größenwahnsinnig finden?

Schmidt : Nehmen Sie mal die Freiheitsstatue. Die ist gespenstisch hässlich! Aber sie ist richtig so, an dem Ort, an dem sie steht, und wofür sie steht. Oder der Christus in Rio, ein riesiger Kitsch-Christus ist das. Der aber eine ungeheure Symbolkraft besitzt. Die halbe katholische Kirche besteht ja aus Kitsch, aber das ist manchmal einfach notwendig, um verständlich zu sein. Je mehr Menschen ich etwas vermitteln möchte, desto mehr Übertreibungen brauche ich.

Wie ist es also hier? Der Ort, die Imposanz – ist das in sich stimmig und angemessen?

Schmidt : Subjektiv gefällt mir die Architektur der Elbphilharmonie nicht so. Die ruhige Linie finde ich persönlich interessanter, gerade in unserer Zeit, die alles spektakulär haben möchte und jeden Tag neue Schrecken vermittelt. Dem würde ich lieber mit Ruhe begegnen. Aber, wer weiß, ich habe mich auch schon oft geirrt!

Sie haben in einem Interview kürzlich erklärt, dass Sie zwar in Hamburg wohnen, aber nicht hier leben. Sie haben das mit der fehlenden Kunstsinnigkeit der Hamburger begründet. So schlimm?

Schmidt : Ich habe das gesagt, ja. Aber ich muss es differenzieren. Ich habe immer mal wieder überlegt, die Stadt zu verlassen, da Hamburg keine große Designvergangenheit hat. Da ist es besser, man fängt in London an. Etwas in Paris oder in Mailand aufzubauen wäre für mich wahrscheinlich auch einfacher oder jedenfalls anders gewesen.

Immerhin vergleichen Sie Hamburg ­gerade nur mit internationalen Metro­polen. Innerhalb Deutschlands hätte es ja auch andere Großstädte gegeben, in die Sie aus Ihrem Geburtsort Bayreuth hätten gehen können. Wären die keine Alternative gewesen?

Schmidt : (lacht) Nein! Nein!! Das wäre ja überhaupt nicht möglich gewesen! München nicht, Berlin nicht. Wenn Sie so fragen, ist Hamburg eigentlich die ideale Stadt. Sie erlaubt sehr viel, und sie ist sehr vielseitig interpretierbar. Man kann sich hier viel vorstellen. Zum Beispiel eben auch, dass hier jemand Parfümflakons herstellt.

Womit Sie berühmt wurden.

Schmidt : Estée Lauder wollte trotzdem mit allen Mitteln erreichen, dass wir nach New York gehen. Da gab es dramatische Begegnungen! Er war Mitte der 80er-Jahre zweimal mit seinem Jet hier, um mich einzufangen.

Und Sie haben gesagt: „Nein danke, ich bleibe lieber in Hamburg“?

Schmidt : Ich hatte ja schon Mitarbeiter, da konnte ich doch nicht einfach gehen. Und ich hatte damals gerade den Zugang zum Schleswig-Holstein Musik Festival gefunden. Ich habe viele Sänger kennengelernt, in Berlin habe ich ein Bühnenbild für Isabella Vértes-Schütter gestaltet. Und ich hatte die Gelegenheit, in Bayreuth, meiner Heimatstadt, Opern auszustatten. Schon in ganz frühen Jahren hatte ich mir das immer gewünscht. Die Oper hat mich immer fasziniert.

Kann man sagen, die Liebe zum Theater und zur Oper hat Sie in Deutschland gehalten?

Schmidt : Ja. Auch. Und ich hatte den unbedingten Wunsch, neue Dinge zu machen. Ich hatte anfangs Zigarettenpackungen gestaltet, viele, viele Zigarettenpackungen. Ich bin übrigens Nichtraucher. Und irgendwann hatte ich so viele entworfen, dass ich gesagt habe: Das geht nicht mehr! Ich habe alle Farben durch! Mir fällt nichts Neues mehr ein. Wann kommt der Designergott und sagt: Mach was anderes?! Dann hat mich Jil Sander gebeten, ihr einen Schriftzug zu entwerfen. Wir waren und sind befreundet, so fing es an. Dann kamen die Flakons – wir sind weltweit Marktführer für Flakondesign – und ich habe begonnen, Bücher zu machen und mit André Heller zu arbeiten. Es kamen immer neue Dinge dazu, sie ergaben sich einfach. Und damals saßen hier in Hamburg viele Opernsänger im Vier Jahreszeiten und haben über ihre Rollen gesprochen. Das ist heute leider nicht mehr so. Ich bin ja so ein Gesangsirrer, wissen Sie. Aus Bayreuth halt, kein Wunder.

Sie genießen die Gesellschaft anderer Künstler.

Schmidt : Ich habe das große Glück, viele Dirigenten zu kennen, mit manchen bin ich wirklich sehr befreundet, Kent Nagano, Christoph Eschenbach. Die mussten einen großen Umweg machen, um mich in Hamburg zu besuchen. Na, für Kent Nagano ist es ja jetzt kein Umweg mehr. Ich will ja auch gar nicht den alten Vorwurf aufwärmen, dass die Hamburger einst Brahms weggeschickt haben. Aber ach! Mendelssohn, diesem wunderbaren Komponisten, hat man überhaupt nicht nachgetrauert! Es ist irgendwie kein kultureller roter Faden hier.

Was verstehen Sie unter dem Begriff „hanseatisch“?

Schmidt : Wir brauchen ja Begriffe, nach denen wir uns richten und sehnen können. Die Idee um diesen Begriff ist etwas Phänomenales. Wenn ich mir zum Beispiel Jil Sander anschaue, mit ihrer großen Karriere, hat das gewiss mit dem hanseatischen Geist zu tun. Diese Einfachheit, trotzdem die höchste Qualität, dieser Stil. Da hat Hamburg schon eine Basis vorgegeben.

Hamburg hat keine Kunstsinnigkeit, hat aber Stil?

Schmidt : Ja!

Erfüllt die Stadt in ihrer Art und ihrem Selbstverständnis damit das, was Sie vorhin als gutes Design beschrieben haben: Angemessenheit?

Schmidt : Ja, ich finde schon. Wobei ich immer eine Sehnsucht nach Internationalität verspüre. Trotz des Hafens und des internationalen Handels. Den Flughafen nach Helmut Schmidt zu benennen macht ihn nur provinzieller. Vielleicht schenkt die Elbphilharmonie der Kultur eine Internationalität. In Bayreuth hat durch ein Musikgebäude eine ganze Gegend gewonnen. Selbst in Sydney mit diesem eigenartigen Gebäude hat das funktioniert. Man muss ihr Zeit geben.

Sie haben mal gesagt, die wichtigste ­Fähigkeit des Menschen sei, etwas schön zu finden. Ich würde sagen: Die wichtigste Fähigkeit des Menschen ist Empathie. Oder ist das womöglich das Gleiche?

Schmidt : Es schließt aneinander an. Es deckt sich nicht, aber es ist doch das Gleiche.

Wie sehr beschäftigen Sie sich mit tagesaktueller Politik? Wenn man so sehr nach dem Klaren, dem Reinen, dem Schönen sucht wie Sie, stört die Realität dann manchmal?

Schmidt : Ich sage es mal in großer Offenheit: Das alles schwächt mich sehr. Ich ziehe mich oft zurück und bin froh, dass ich schon so alt bin. Ich bin totaler Pazifist.

Und doch haben Sie vor Jahren das Logo der Bundeswehr überarbeitet.

Schmidt : Das schließt sich für mich nicht aus. Ich habe denen damals gesagt, dass ich Pazifist bin, aber ihnen etwas Sinnvolles gestalten kann. Das fanden die gut. Für jeden würde ich nicht arbeiten.

Das Militär und die Tabakindustrie ­haben Sie immerhin schon durch ...

Schmidt : (lacht) Ja! Als ich die Zigarettenpackungen gemacht habe, war ich tatsächlich froh, einen ersten Job bekommen zu haben. Dann hat mich der „Stern“ abgeworben. Aber dort habe ich mich nicht wohlgefühlt.

Warum nicht?

Schmidt : Henri Nannen war mir sehr unsympathisch. Ich habe unendlich viel gelernt, aber diese Macherstimmung war mir zu ... robust. Dann bin ich zum Glück wieder abgeworben worden und zu Schwarzkopff gegangen. Dort saß ich gegenüber von einem ausgesprochen netten jungen Designer. Er hieß Jan Rasmus Mahler – der Sohn von Heidi Kabel. Und schon war ich mitten im Hamburger Nest! (lacht) Wenn ich gesagt habe, ich habe in Hamburg nur gewohnt und nicht gelebt, ist das natürlich falsch und wahnsinnig ungerecht. Ich habe so viele Freunde, ich lebe nicht allein hier. Ich habe seit vielen Jahren einen inspirierenden künstlerischen Austausch mit John Neumeier, ich schätze viele feine, kluge Hamburger sehr. Meine Sammlung japanischer und chinesischer Kunst steht im Museum für Kunst und Gewerbe. Ich würde meine Kunst nicht einer Stadt schenken, zu der ich kein großes Zutrauen habe.

Ihr Vater war Gärtner, wer hat Ihnen die Liebe zur Kunst eigentlich nahegebracht?

Schmidt : Mein Vater hat mich die Liebe zur Natur gelehrt. Und ein Bewusstsein für Gestaltung. Aber ich hatte außerdem eine Tante, die Anfang der 50er-Jahre in Bayreuth im Chor gesungen und mir eine Erlaubnis besorgt hat, mir eine Generalprobe anzusehen. Da war ich vielleicht 13 oder 14 Jahre alt, meine Eltern hatten schon begriffen, dass ich anders und etwas merkwürdig war. Die Saalordner wollten mich partout nicht hereinlassen, weil es eine geschlossene Generalprobe war. Ich war aber sehr entschlossen, ich hatte schließlich die Zusage meiner Tante!, und ich habe so sehr protestiert, dass die mich zu Wieland und Wolfgang Wagner ins Büro brachten. „Geh, lass den Buam doch rein!“, knurrte Wolfgang Wagner. Und da saß ich dann, allein in der „Götterdämmerung“. Das war ein prägendes Erlebnis.