Hamburg . Stefan Pucher zeigt Becketts „Warten auf Godot“ im Thalia Theater mit tollen Darstellern und abstrakten Verweisen auf Flucht und Krieg.

Godot kommt nicht. Das ist hinlänglich bekannt. Doch noch immer schaut die Theaterwelt den beiden traurigen Clowns Wladimir und Estragon fasziniert dabei zu, wie sie zwei spiegelbildliche Einakter lang auf ihn warten und sich die Zeit mit Albernheiten und Weltbetrachtungen vertreiben. Regisseur Stefan Pucher ist es jetzt am Thalia Theater gelungen, Samuel Becketts Klassiker des Absurden, „Warten auf Godot“, mit Leichtigkeit, Wortvertrauen und famosen Darstellern virtuos aufzupolieren.

Ihre Welt ist ein Berg aus Euro­paletten (Bühne Stéphane Laimé), die in ihrem provisorischen Charakter ebenso Assoziationen an Obdachlosenbehausungen wie an Flüchtlingscamps wecken. Von einem Baum ist erst einmal weit und breit nichts zu sehen. Dafür turnt das tragikomische Duo behände auf den Paletten herum. Wladimir und Estragon, gespielt von Jens Harzer und Jörg Pohl, sind sehr heutige Gestrandete irgendwo zwischen Prolls in ausgeleierten Jogginghosen, wattierten Jacken und Sneakers und Straßenjungs auf der Flucht.

Sie nennen sich liebevoll „Didi“ und „Gogo“, huldigen ihrer Männerfreundschaft mit rührender Zärtlichkeit und schaffen es tatsächlich mit einer gewissen Nonchalance, den ausgeleierten Sätzen so etwas wie neue Bedeutung einzuhauchen. Man kann ihnen förmlich dabei zusehen, wie sie die pointierten, so bitter wie komischen Sätze durch ihre Körper jagen, umwandeln und neu zum Klingen bringen. Jörg Pohl glänzt als immer müder Es­tragon, dem die Füße schmerzen und der ständig den Bezug zu Ort, Zeit und Aufgabe verliert. Auf der anderen Seite der erstaunlich selbstironische Jens Harzer als die Welt durch eine Denkerbrille betrachtender, fürsorglich zynischer Wladimir. „Nur keine Nachlässigkeit in den kleinen Dingen“, ruft er. Und so hängen sie in ihrer Textschleife fest wie in einer Platte mit Sprung.

Bandengefährten in einem Western könnten sie auch sein. Irgendeiner wartet ja immer. Allabendlich laufen sie an gleicher Stelle auf. Weg können sie nicht. Sie warten ja auf Godot. Und während sie das tun, zeigt ein grobkörniges Schwarz-Weiß-Video von Meika Dresenkamp sie als Brüder im Geiste in einem abbruchreifen Bauernhaus oder an einem mythisch verwunschenen Sandstrand. Jörg Pohl, der auch mal queere Bewegungen imitiert, schmachtet Ray Davies’ 60er-Jahre-Hymne „I go to sleep“ aufs Dramatischste. In diesem mit Pop aufgeladenen, gleichzeitig tiefenscharfen Zusammenspiel von Text, Ton und Video transportiert Pucher glaubhaft Sehnsucht und Poesie seiner Figuren.

Viel geschieht ja nicht. Da gerät der Besuch des brutalen Menschenschinders Pozzo zur Sensation. Oliver Mallison gibt ihn mit Langhaarmatte, Ledersakko und öligem Zuhältercharme. Schwadronierend und fabulierend („Denk, Du Sau!“) betritt er die Euro­paletten. Im Schlepptau hat er seinen Diener Lucky in schwarzer Kutte und mit Sack überm Kopf, ein bitterer Verweis auf das US-Foltergefängnis Abu Ghuraib im Irak. Nicht erst an dieser Stelle wird das seltsam zeit- und ortlose Stück, das seit jeher als Parabel auf die existenzielle Unbehaustheit des Menschen gelesen wurde, überraschend konkret. Mirco Kreibich wuchtet Koffer, Kassettenrekorder und Mi­krofon über den Palettenberg und bewahrt auch schweigend noch seine eindrucksvolle physische Präsenz. Zu klickernden Techno-Rhythmen wird er auf Aufforderung erst elektrisiert „tanzen“, dann „denken“ und seinen legendären Unsinnsmonolog absondern.

Die Verweise, die Pucher zum gegenwärtigen Flüchtlingsdrama zieht, wirken niemals plump oder gewollt, sie bleiben wohltuend abstrakt. Sie sind außerdem nach neuen, plausiblen Erkenntnissen des Franzosen Valentin Temkine eingeschrieben in das Stück. Beckett hat es wohl tatsächlich verfasst mit zwei Juden vor Augen, die auf einen Schleuser warten, der sie aus dem besetzten Frankreich herausbringen soll.

Godot, der seinen Besuch von aufgeweckten Kinderdarstellern täglich verschieben lässt, könnte also ein Schleuser sein. Im Sinne des Stückes wäre er damit ebenso ein Retter, wie der erhoffte göttliche Sinnstifter. Wenn Harzer als Wladimir sagt: „Das verliert allmählich jeden Sinn“, spürt man die existenzielle wie die konkrete Verzweiflung angesichts einer um Menschlichkeit ringenden Welt.

Nach der Pause durchleben Wladimir und Estragon die radikalere Spiegelung des erstes Aktes und kämpfen mit ihren Erinnerungen. War die Möhre weiß oder gelb? Das Gedächtnis spielt vor allem dem verpeilten Estragon Streiche. Soll man sich aufhängen oder trennen? In der Leere wiegt alles und nichts gleich viel. Doch schon das Benennen der Lücke schreit nach Sinn.

Zu den Techno-HipHop-Klängen von einem Plattenspieler rappt Jens Harzer tonlos das von Beckett schon beschriebene Kinderlied über einen Hund in einer Küche und kreuzt das Ganze mit dem prolligen Internet-Hit „Is mir egal“. Das Absurde, so lehrt dieser Abend, ist in der Realität doch noch steigerungsfähig.

„Warten auf Godot“ weitere Vorstellungen 5.3., 20.00, 6.3., 17.00, 18.3., 20.00, 21.4., 20.00, 30.4., 20.00, Thalia Theater, Alstertor, Karten 7,50 bis 38,- unter T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de