Hamburg. Es zeigt sich die Wirkmächtigkeit eines radikal dokumentarischen und damit „authentischen“ Theaters. Die Szenerie ist wirkungsvoll.

Beklemmung schon vor dem Einlass ins Thalia Gaußstraße: Per Flugzettel erfährt der Lessingtage-Besucher, dass von den angekündigten 17 arabischen „Antigones“ nur neun anreisen konnten. Familien- und Passprobleme werden als Gründe genannt. Der junge Autor Mohammad al-Attar hat die „Antigone of Shatila“ gemeinsam mit dem Regisseur Omar Abusaada entwickelt. Aus der umkämpften syrischen Hauptstadt Damaskus stammend, erzählen die beiden auf der Folie der Antigone des Sophokles von der Flucht der Frauen in den Libanon, wo sie sich im Flüchtlingscamp Shatila ­behaupten müssen. „Ich bin wie Antigone“, heißt es immer wieder.

Die Szenerie ist so schlicht wie wirkungsvoll: Eine junge Frau sitzt an einem Tisch, erzählt von den Proben, trinkt Tee, raucht. Ihre allesamt Kopftuch tragenden Mitakteurinnen, die einzeln oder zu zweit an Mikrofone treten, während sie eigentlich im Sitzen, im Stehen oder am Boden liegend eine Leiche darstellen, schildern fast nüchtern die Grausamkeiten des Krieges. Zerbombte Häuser, verschollene oder gefallene Brüder. Die Grenze zwischen Realität und Theaterfiktion stürzt ­unweigerlich ein, wenn eine Mutter erzählt, dass sie in einem Jahr gleich zwei Söhne verloren hat und nicht weiß, wo sie begraben liegen. Hier zeigt sich die Wirkmächtigkeit dieses radikal dokumentarischen und damit „authentischen“ Theaters. Immer wieder finden die Spielerinnen zum antiken Text ­zurück. Denn auch Antigone wollte ihren Bruder ordentlich bestatten, was König Kreon verbot. Ihre Willensstärke bezahlte sie am Ende mit dem Leben.

Es ist tief berührend, zu sehen, wie die Frauen aus der Theaterarbeit ­heraus um eine persönliche Zukunftsvision ringen. Der Ausgang des Syrien-Konfliktes ist bekanntermaßen ungewiss, die Schicksale sind erdrückend zahllos. Immerhin: Die Theatermacher entlassen das Publikum mit dem Hauch einer Utopie und dem Satz „Der unbeugsamste Teil ist mit dem Leben verbunden, nicht mit dem Tod.“

„Um alles in der Welt – Lessingtage 2016“ bis 7.2., Thalia Theater und Thalia Gaußstraße, Karten
T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de