Hamburg. Das Stück ist zurück: Am Altonaer Theater weckt eine – deutlich bescheidenere – Inszenierung Erinnerungen.
Die legendären Hamburger Theaterinszenierungen der Ära Flimm und Baumbauer haben es Axel Schneider in dieser Spielzeit anscheinend angetan: An den Hamburger Kammerspielen ließ der mehrfache Intendant die „Sekretärinnen“ auferstehen und bewies, dass sie an Frische und Schwung auch nach 20 Jahren nichts eingebüßt haben. Am Sonntag nun durften all jene Zuschauer, die schon vor einem Vierteljahrhundert (oft mehrfach!) ins Thalia gepilgert waren, um der kongenialen Zusammenarbeit von Tom Waits, Robert Wilson, William S. Burroughs und einem grandiosen Thalia-Ensemble zu huldigen, auch am Altonaer Theater in Erinnerungen schwelgen. Erinnerungen an das, was der „Spiegel“ damals „die ,Cats‘-Version für Intellektuelle und Snobs“ nannte: „The Black Rider – The Casting of the Magic Bullets“.
Auch 25 Jahre später reichen schon die ersten Takte der jahrmarktigen Vaudeville-Waits-Klänge aus, um die Zuschauer einzufangen, wobei man die totale Überwältigung, wie damals am Thalia, in dieser Produktion des Münchner Metropoltheaters natürlich nicht erwarten darf. Dennoch: Nach frecher Eingangsmoderation von Christian Baumann, der als grell weiß-rot geschminkter Conferencier im Rollstuhl äußerst präsent daherkommt und dem der Regisseur Jochen Schölch im Verlauf der Inszenierung weitgehend freie Fahrt in Sachen Publikumsinteraktion, Situationskomik, Slapstick und Kalauerei gewährt, überzeugt zunächst der starke Ensemble-Auftakt.
Dass es textlich im Anschluss bisweilen etwas hölzern zugeht (etwa bei Ernst Matthias Friedrich als Förster), lässt sich verschmerzen durch einen Regie-Kniff, der dieser Inszenierung eine ganz eigene, fast bescheidene Poesie verleiht. Schölch verzichtet auf ein Bühnenbild und überlässt – wie passend für den Monat November – Regenschirmen diese Funktion. Was sich aus diesem einfachen Requisit so alles herstellen lässt, wird hier fantasievoll vorgeführt: Die Griffe formen Herzen, wenn der schießunfähige Jüngling Wilhelm der Förstertochter Käthchen seine Liebe erklärt. Die Schirmspitzen werden, halb eingeklappt, zum Tannenwald, in dem Wilhelm sich – wir erinnern den „Freischütz“ – für ein paar magische Kugeln mit dem Teufel einlässt. Die Schirme flattern wie Vögel, werden – ein starkes Bild! – zu bedrohlichen Todesengel-Schwingen, sind als Knirpse am Gürtel des Nebenbuhlers Colt-Ersatz und in der zarten, kleinen Papierversion sogar ein zärtliches Vergissmeinnicht-Blümchen.
Ein bisschen verrückt und überdreht ist die ganze Angelegenheit natürlich – aber genau diese Qualität sollte der „Black Rider“ unbedingt haben, das Stück ist schließlich Schießbudentheater im allerfeinsten Sinne. Musikalisch sorgt die fünfköpfige Devil’s Rubato Band live für den richtigen Schwung. Stimmlich sind – bis auf Bettina Ullrich, die als Jägersweib und Mutter des Käthchens da leider noch Luft nach oben lässt – alle Darsteller voll auf der Höhe. Besonders eindrücklich aber bleiben die frische Tina Haas als Käthchen, der schon erwähnte Christian Baumann in seinem feinen Zusammenspiel mit „Schoßhündchen“ Andreas Thiele sowie vor allem Philipp Moschitz als Wilhelm. Moschitz gibt einen ungelenken Grübchen-Jüngling mit Seitenscheitel und im Bankberater-Outfit, er ist hinreißend in seiner leidenschaftlichen Kükenhaftigkeit.
Die vielleicht schwierigste Partie – bedenkt man die schwer zu toppende Performance, die Dominique Horwitz der Hamburger Theatergeschichte mit seinen in der Uraufführung rot leuchtenden Segelohren hinterließ – ist wohl die Rolle des Stelzfuß. Am Altonaer Theater allerdings wird rasch deutlich: Viola von der Burg meistert sie grandios. Sie verleiht dem Abend die Portion cooler Groteske, die er braucht; Ihr Umgang mit Sprache, Stimme und Körperlichkeit ist so manieriert wie famos.
Es ist gewissermaßen wie im echten Leben: Am Ende liefert der Teufel noch immer die beste Show.
Black Rider, Altonaer Theater, Museumstr. 17
(S Altona), bis 28. November Karten von 17,- bis 40,- unter Tel. 39 90 58 70