Hamburg. Michael Bogdanov hat „Garp und wie er die Welt sah“ am Altonaer Theater unterhaltsam und mit leichter Hand inszeniert.

Einen 700-Seiten-Roman für eine zweieinhalbstündige Theaterfassung zu kürzen, ist eine Herkulesaufgabe. Axel Schneider, Intendant des Altonaer Theaters, hat sich diese Aufgabe für die aktuelle Premiere von „Garp und wie er die Welt sah“ gestellt. Mit diesem Roman feierte der US-Schriftsteller John Irving 1978 seinen Durchbruch, die Geschichte um den bei seiner alleinerziehenden Mutter aufwachsende T.S. Garp hat sich mehr als vier Millionen Mal verkauft und ist zum Kultbuch geworden.

Irvings Vorlage ist eine ausufernde Erzählung voller verschiedenartiger Themen, mit vielen Nebenfiguren, und sie erzählt von Literatur in der Literatur, denn Garp ist Schriftsteller. Seine Kurzgeschichten und Romankapitel nehmen in Irvings Werk breiten Raum ein. Eigentlich ist „Garp“ kaum aufführbar, doch Schneider hat eine Version erstellt, die spielbar und unterhaltsam ist, auch wenn er die Dichte der Vorlage nicht erreichen kann. Viele Themen werden gar nicht oder nur oberflächlich behandelt, aber der unvoreingenommene Theaterbesucher kann an der Inszenierung von Michael Bogdanov Spaß haben. Er hat „Garp“ mit leichter Hand und einem tollen Ensemble auf die Bühne gebracht.

Garp (Benjamin-Lew Klon) wird während des Zweiten Weltkrieges geboren, nachdem seine Mutter Jenny (Isabell Fischer) sich einen Samenspender besorgt hat. Es ist ein Soldat mit einer schweren Hirnverletzung und einer Dauererektion. In seiner Agonie bringt er nur das Wort „Garp“ heraus, ihm verdankt Garp seinen Namen. Schon diese Begattungsszene, in der Jenny mit geraffter Krankenschwestertracht den steil aufragenden Penis besteigt, ist grell und komisch gleichermaßen. Im Verlauf des Abends gibt es eine Reihe weiterer grotesker Szenen, die sich fast alle um Sex drehen. Garp hat Affären, seine Frau Helen (Antje Otterson) ebenso, seine Mutter Jenny ist ein Freigeist und die erste Feministin Amerikas, die sich einen Teufel ­darum schert, was die Leute über sie reden.

Von dem oft konstatierten sexuellen Puritanismus in den USA ist bei Irving nichts zu spüren. Es scheint, als lebten seine Figuren in einem Schlaraffenland sexueller Freizügigkeit, in der Partnertausch, Blow-Jobs von Babysitterinnen und Promiskuität selbstverständlich sind. Auch Garps familiäre Katastrophe ist letztlich eine Folge unkontrollierter Sexualität: Helen und ihr Liebhaber Michael Milton (Björn Ahrens) haben Oralsex, als Garp ungebremst in Miltons Wagen hineinrast. Sein Sohn Walt stirbt bei dem Auffahrunfall, der andere Sohn Duncan verliert ein Auge, und Helen beißt Milton den Penis ab. Die Schauspieler schildern das Unglück detailliert im Plauderton und ohne dramatische Überspitzung. Mitleid entsteht nicht, dafür ist Garps Welt zu grotesk und zu unwirklich.

Mit Benjamin-Lew Klon hat Bogdanov einen Protagonisten, der die schwierige Rolle des Garp mit Bravour ausfüllt. Klon ist Schuljunge, Verführer, Hausmann, Schriftsteller und Erzähler. Eine Psychologisierung der Figur legt Klon nicht an, stattdessen springt er in jede der geforderten Rollen hinein und schlüpft genauso schnell wieder aus ihnen heraus. Antje Otterson als seine Frau Helen darf ihrer Figur etwas mehr Kontur geben, gegen Garp/Klon wirkt sie geradezu erwachsen. Auch die anderen Akteure des zehnköpfigen Ensembles spielen ihre vielen verschiedenen Rollen ausnahmslos gut.

Regisseur Bogdanov interessiert in seiner Inszenierung vor allem die Macht des Eros und seine Bedeutung für die Figuren. Garp ist extrem triebgesteuert, für Helen ist Sexualität ein Mittel, das sie bewusst einsetzt. Der Feminismus von Jenny entspringt nicht einer gesellschaftskritischen Einsicht, sondern ihrem Individualismus. Sie möchte allein leben, sich unterschiedliche Liebhaber nehmen und in dieses freie Leben Arbeit und Kind integrieren. Den Gegensatz von Ehefrau oder Hure hebt sie mit ihrer persönlichen Entscheidung auf. Im Roman spielen auch sexuelle Gewalt, Transsexualität und unkontrollierter Waffenbesitz eine Rolle, doch das wird in dieser Inszenierung nicht ausgelotet.

Dem Premierenpublikum schien es nicht zu fehlen, es erlebte einen durchaus komischen Theaterabend und spendete den Schauspielern und dem Regieteam am Ende langen Beifall.

Weitere Vorstellungen ab 16.9., T. 39 90 58 70