Hamburg. Die Neuinszenierung des legendären Tippsicals „Sekretärinnen“ überzeugt an den Hamburger Kammerspielen.

Es muss sie wohl gegeben haben, jene Zeiten, als die Krönung einer Sekretärinnen-Karriere die Hochzeit mit dem Chef war. Glaubt man dem Programmheft der Hamburger Kammerspiele und dem darin abgedruckten Leitfaden von 1969, stellten sich Bürokräfte damals vor allem Fragen des Erscheinungsbilds: Sind Taschentuch und Handschuhe „proper“? Sitzen die Strümpfe? Blitzt kein Unterkleid „vorwitzig“ hervor? Die Zeiten haben sich geändert, im Sekretärinnen-Kosmos heißt das (historisch leicht verkürzt): Nach 1969 kam 1995 und sorgte mit einer legendären Schauspielhaus-Inszenierung dafür, dass, wer gelegentlich ins Theater geht, bei ­„Sekretärinnen“ nicht zuerst an ­„Senior Executive Office Management“ denkt, sondern an Franz Wittenbrink.

Der hat dem Genre „Revue“ zu einer neuen Kategorie verholfen, eben dem „Wittenbrink-Liederabend“ und da ist das ­„Tippsical“ eine Klasse für sich. Dass die Regisseurin Ulrike Arnold es wagt, das Stück in Hamburg noch einmal auf die Bühne zu bringen, ist mutig. Aber: Die Traute zahlt sich aus. Und schon die erste Tonfolge – die Windows-Begrüßungsmelodie – macht deutlich, dass die Inszenierung kein Sentimentalitätsseufzer sein will. Nicht Schreibmaschinen, sondern Laptops stehen vor den Damen, die ihrerseits die „propere“ Optik von anno dunnemals höchstens noch zitieren.

An den Kammerspielen sitzen weniger Kolleginnen als einst am Schauspielhaus, aber der Personalabbau (Altersteilzeit?) ist im Jahr 2015 nur folgerichtig. Manches allerdings ändert sich nie: Das Großraumbüro bleibt ein Hort für Schrullen, verborgene Sehnsüchte, verschüttete (und plötzlich hervorbrechende) Leidenschaften, die kleine Prise großen Wahnsinns. „Morgens bin ich immer müde“, klagt Zazie de Paris, und gemeinsam wird mit Otis Redding in den endlosen Vormittag gestarrt: „Sitting In The Morning Sun ...“ Das war schon in der Originalinszenierung ein Highlight und ist es jetzt wieder.

Der Pianist Oliver Parchment ist auch für den Kaffeeausschank aus der nahezu unerschöpflichen Thermoskanne zuständig, Angela Roy stellt mit reichlich Stimmvolumen und Energie klar: „I Work Hard For My Money“. Love Newkirk hat „Probleme mit der Identität“, und da scheint sie nicht die Einzige zu sein. Wobei es natürlich besonderen Witz hat, wenn Zazie de Paris Milvas Textzeilen singt: „Wer wird als Frau denn schon geboren/man wird zur Frau doch erst gemacht ...“

Schön sind überhaupt die kleinen Momente, die die Persönlichkeiten der Figuren erzählen. Angela Roys Flachmann-Schlückchen zwischendurch, nachlässig verborgen hinter der Din-A-4-Ablage, die Kolleginnen kennen ja eh alle Macken, aber so viel Restanstand muss sein. Und für schlummernde Begierden gibt es die Beichtrunde nach dem Systemabsturz. Angela Roy (die – neben den ebenfalls starken Karin Kiurina und Tatja Seibt – nicht nur stimmlich überzeugt) beweist, welch zu Herzen gehender Song das eigentlich etwas kitschige Glashaus-Stück „Wenn das Liebe ist“ sein kann, und Barbara Krabbe, dieses burschikose und doch zarte „Mädchen aus Neugraben“, hat ein knackiges, originelles Coming-out: „I Kissed A Girl and I Liked It“.

Trotz der überzeugenden Neuzugänge vermisst der „Sekretärinnen“-Nostalgiker Nummern wie „Ich bin zu geil für diese Welt“ und Eros Ramazottis „Se Bastasse Una Canzone“, bei dem Michael Wittenborn einst sein Brusthaar-Toupet lüftete. Ein Höhepunkt der Hamburger Theatergeschichte. Allerdings einer, mit dem die Neuinszenierung den (ohnehin unfairen) Vergleich nicht scheuen muss: Die einzige männliche Rolle ist hier nicht nur dramaturgisch schlüssig vom Büroboten zum bezopften IT-Experten aufgestiegen. Tim Grobe ist in dieser Rolle auch derart großartig, dass er seinen Mitstreiterinnen bisweilen fast die Show stiehlt. Wie er, im Job offensichtlich überqualifiziert, durch die Flure schlurft, ein Ausbund an Resignation über die technologische Ignoranz der ihm Anvertrauten, wie er im Duett mit Barbara Krabbe („Paroles“) dann den Tiger herauskehrt und schließlich „Rise Like A Phoenix“ so ­seelennackt hinlegt, dass er die Figur trotzdem nicht verrät, ist schlicht unfassbar gut.

Der Wechsel zwischen leiser Traurigkeit, Kitsch in erträglicher Dosis und treibendem Knaller funktioniert noch immer: äußerlich ergraut, aber mit neuer Frische. Zur Zugabe gönnt das Ensemble seinem Publikum Aretha Franklins „Respect“. Das kann man direkt mal so zurückgeben: Respekt!

„Sekretärinnen“ bis 30.8., Kammerspiele, Karten unter der HA-Ticket-Hotline T. 30 30 98 98