Hamburg. Das Programm von Sängerin Mary Roos und Kabarettist Wolfgang Trepper heißt „Nutten, Koks und frische Erdbeeren“.

Sie sitzen an einem kleinen Tisch mit Wassergläsern und einem Schälchen Erdbeeren nebenein­ander auf zwei roten Cocktail-Sesseln – fast wie ein altes Ehepaar. Aber eben nur fast. Mary Roos und Wolfgang Trepper kennen und mögen sich. Das wird in der Hausbar des Schmidt Theaters schnell deutlich. „Er ist hier für den cholerischen Teil zuständig“, stellt Mary Roos gleich mal klar.

Bereits im vergangenen Jahr haben sie bei ihr zu Hause in Hamburg-Wellingsbüttel gesessen und sich Schlager angehört – ihre Schlager. Und das nicht nur zum Spaß. Die Idee für ein gemeinsames Programm war da längst geboren. Das Überraschende: Die Initiative dazu ging von der Sängerin aus, die seit mehr als fünf Jahrzehnten im Showgeschäft ist, nicht etwa vom als Brachialkabarettisten und Schmidt-Hausgrantler bekannten Trepper.

An ihr erstes Treffen erinnern sich die beiden vor ihrer Hamburg-Premiere an diesem Mittwoch im Schmidt noch genau: Es war bei einem schlecht verkauften Benefiz-Abend am 5. November 2009 in einem Nobelhotel in Timmendorfer Strand vor 25 Leuten, „davon zwölf Hotelangestellte“, fügt Trepper in seiner sarkastischen Art hinzu. Der Comedian hatte seinen Part schon abgeliefert und wie auch in seinen Soloprogrammen üblich mit den „Schlageraffen“ abgerechnet: mit Costa Cordalis, Michael Holm auf seinem Irr- und Riesenumweg nach „Mendocino“ oder Vicky Leandros und ihrem „Theo, wir fahren nach Lodz“ – was man denn bloß dort wolle, in dieser grauen polnischen Stadt, fragte Trepper. Danach musste Mary Roos, Treppers ironische Hasstiraden noch in den Ohren, auf die Bühne. „Ich dachte: Was machst du da gerade?“, erinnert sich die Sängerin und erzählt belustigt, wie sie bei ihrem Titel „Aufrecht geh’n“ aus dem Konzept geriet und zu lachen anfing.

Eine missratene Show führte zur unerwarteten Künstlerfreundschaft

Nach der missratenen Show wurde es erst recht ein fröhlicher Abend – der Beginn einer Künstlerfreundschaft. Die sah Mary Roos nach Besuchen von Treppers Soloabenden im Schmidt bestärkt. Und als Trepper auch im sonst so schlagerseligen ZDF-„Fernsehgarten“ – da kennt der gebürtige Duisburger keine Berührungsängste – über musikalische Hassobjekte wie Florian Silbereisen und die aus der einstigen Sowjetunion stammenden Helene Fischer, laut Trepper „eine Pussy Riot für Arme“, pesten konnte, ging es mit Mary Roos erst richtig los.

Seit April touren sie, die dreimalige deutsche Teilnehmerin am Grand Prix d’ Eurovision, und er, der grantelnde Ruhrpott-Spötter mit Wohnsitz in Langenhorn, gemeinsam durch die Republik – nur unterbrochen von kurzen Pausen. Ob in Theatersälen oder mittelgroßen Stadthallen, fast alle Abende sind ausverkauft, auch in Hamburg gibt es nur noch Restkarten. Das hat beide überrascht. Viele Fans hätten es bedauert, dass sie weder in Bremen, München noch in Berlin gastierten, erzählt Mary Roos. Aber die Tournee verlängern? „Sie ist ja schon so alt“, spottet Trepper, 54, über die 66-Jährige. Und eine Bädertournee? „Die können wir auch in zehn Jahren noch machen. Dann bekommst du gleich noch ’ne Kur umsonst“, sagt er zu seiner Kollegin. Lächelnd.

„Nutten, Koks und frische Erdbeeren“ heißt der gemeinsame Abend. Dass Heino auf derartige Details Wert lege, habe sich der urdeutsche Sangesbarde sogar in seine Verträge hineinschreiben lassen. Sagt Trepper. Das habe er von ihm selbst erfahren und diese Klausel mit Mary Roos kurzerhand zum Programmtitel erkoren. Was aber macht den Abend aus, was die Musik?

„Es ist Schlager-Satire“, meint Roos. „Diese Art Show gibt es bisher nicht“, sagt Trepper.

Die Erdbeeren auf dem Tisch der Schmidt-Hausbar sind mittlerweile doch recht warm geworden und nur noch bedingt genießbar, da entwickelt sich ein süffisanter Dialog: „Ich hab ja noch nie ein Stück für zwei Personen geschrieben“, erwähnt Trepper. Darauf sie: „Du hast ja auch nichts für zwei geschrieben.“ Wieder er: „Aber wir stehen doch zu zweit auf der Bühne ...“

Dort kündigt der Comedian Mary Roos stets mit dem Satz an: „Jetzt kommt die Helene Fischer aus der Bronzezeit.“ Roos singt im Programm zu 90 Prozent eigene Songs, angereichert mit Geschichten, die sich hinter der Bühne der Schlagerwelt abgespielt haben. Trepper lässt in der Show an „der Alten“ und diversen Schlagerstars mitsamt deren Texten kein gutes Haar. Er brüllt dann gern.

Bei der Premiere am Ostermontag sind in Duisburg zur Pause sechs Besucher gegangen, das haben beide genau gezählt. Alte Roos-Fans.

Die waren auch erstaunt, als Mary vor zwei Jahren auf einer kleinen Clubtournee, darunter im Hamburger Gruen­span, ihr bis dato letztes Werk „Denk was Du willst“ live vorstellte, ein anspruchsvolles Chansonalbum mit einem jazzigen Touch. Die vierköpfige Band von damals hat Mary Roos auch für das schräge Projekt mit Trepper gewinnen können: „Ich wollte auch dieses Programm mit Livemusik machen“, sagt sie. Während er auch verbal auf die Musiker einhauen darf, hat die Show inzwischen so viel spontane Eigendynamik gewonnen, dass sich die anfängliche Hilfe von Regisseur und Schmidt-Hausherr Corny Littmann erübrigt hat. Jeder Abend sei anders, versichern die beiden Protagonisten. Und Mary Roos’ Sohn Julian, 28, selbst im Musik-Management tätig, bescheinigte der Mutter: „Das ist das Beste, was du je gemacht hast.“

Für das Wochenende hat sich in Hamburg wieder ihr Fanclub angekündigt, zum insgesamt fünften Mal. „Während seine Fans gesagt haben: ,Was, mit der Schlagertante gehst du auf die Bühne?‘, sagen meine: ,Was will dieser fiese Typ denn?‘“, überlegt Mary Roos laut und lacht. Dann sagt sie: „Ich hab mich ja nie als Schlagertante gefühlt.“ Auch in jüngeren Jahren nicht. Sie wurde von vielen nur als solche wahrgenommen. Ihren größten Charts-Erfolg, den vom späteren Hit-Produzenten Giorgio Moroder mit Bläsersätzen und Synthesizern angereicherten poppigen „Arizona Man“, feierte Mary Roos, die später auch drei Wochen lang im ausverkauften Pariser Olympia auftreten sollte, bereits 1970. Zwei Jahre darauf folgte mit „Nur die Liebe lässt uns leben“ Platz drei beim Grand Prix. Die durchaus anspruchsvolle Pop-Ballade „Hamburg im Regen“ und das gefühlvolle „Zu schön, um wahr zu sein“ darf Trepper im Programm ebenfalls kommentieren.

„Heutzutage haben einige Texte etwas mehr Hirn“, gibt er am Tisch zu. „In den 70ern wurden die Platten Woche für Woche abgemischt, gepresst – und raus damit“, erinnert sich Trepper. „Natürlich gab es früher, in den 70ern, im Schlager ganz viel heile Welt“, sagt Mary Roos. „Doch alles, was im Kopf bleibt, ist Schlager. Das kommt ja vom Wort einschlagen.“

Just als Mary Roos diesen Satz ausgesprochen und sich umgedreht hat, tritt – leicht errötend – ein freundliches blondes Mädchen in die Schmidt-Hausbar. „Mein Opa Peter ist ein ganz großer Fan von Ihnen“, sagt die junge Frau und bittet um ein gemeinsames Foto. Und was macht Mary Roos? Spontan ruft sie, mit dem Smartphone der Enkelin, beim Großvater an („Hallo Peter, hier ist Mary Roos, Sie haben eine ganz wunderbare Enkeltochter“), danach folgt zum Beweis das Foto. Es dürfte gleich mindestens zwei Menschen glücklich machen. Trepper, der für dieses Bild nicht gefragt war, quittiert es mit einem Lächeln.

„Nutten, Koks und frische Erdbeeren“
HH-Premiere Mi 5.8., 19. Uhr bis 18.8., Schmidt Theater, Spielbudenplatz 24, Restkarten ab 21,80 Euro unter T. 31 77 88 99; www.tivoli.de