Der Ehrentitel für Speicherstadt und Kontorhausviertel nimmt Hamburg in die Verantwortung
16 Jahre dauerte es, bis die richtige und wichtige Entscheidung fiel, die Hamburger Speicherstadt und das Kontorhausviertel zum Weltkulturerbe zu erklären. Andere Städte hätten womöglich schon nach kürzerer Zeit entnervt abgewinkt und sich gesagt, dann eben nicht, uns doch egal, wir sind trotzdem toll. Hier hat man durchgehalten und ist jetzt von der Unesco für diese Ausdauer belohnt worden.
Ebenso interessant wie bezeichnend: Das erste Weltkulturerbe auf Hamburger Boden verdankt seine Existenz nicht der Kunstsinnigkeit oder dem Kulturverständnis früherer Generationen. Beide Teile haben mit Handel und Wandel zu tun, sie stehen dort, wo sie stehen, für das Merkantile im Charakter dieser Stadt. Bürogebäude und Lagerflächen. Keine Kirche, nichts Schöngeistiges, auch nichts sympathisch Unanfassbares wie das „Hamburger Sie“, die Geschmackskombi aus Bier, Fischbrötchen und Nieselregen oder der Anblick des Sonnenaufgangs über der Reeperbahn nach übel durchzechter Nacht. Zweckbauten eben. Toll anzusehen, spektakulär gedacht, 1-a-Fotomotive. Dennoch: Hier gilt’s nach wie vor nicht der Kunst, sondern der Knete. Wäre etwas anderes lukrativer gewesen, als diese Areale geplant wurden, wären Speicherstadt, Chilehaus & Co. garantiert ein Stapel Bauzeichnungen geblieben.
Allzu lang ist es noch nicht her, dass Hamburg als „Freie und Abrissstadt“ in der Kritik stand, und das zu Recht. Innerhalb des Stadtgebiets wurden viele Sünden begangen, deren Folgen nach wie vor sichtbar sind. Die Europa Passage, in teuerster City-Lage ins Sortiment gerammt, wäre ein Beispiel; schon ein kurzer Rundgang durch die klotzgewordene Scheußlichkeit des Altonaer Bahnhofs erinnert schmerzhaft daran, wie nobel das flott entsorgte Vorgängermodell war. Denkmalschutz hat man hin und wieder relativ gesehen. Oder lieber ganz übersehen.
Bislang war nicht durchgängig zu erkennen, dass Hamburg eine konsequente Haltung zum Umgang mit historischen Besonderheiten gehabt hätte: Der letzte Rest des Gängeviertels wäre tatsächlich fast abgerissen worden, trotz seines einzigartigen Werts, weil es ja jemanden gab, der angeblich viel Geld investieren wollte. Andererseits: Die Elbphilharmonie wird tatsächlich gebaut, trotz der einzigartigen Kosten – und mit einem historischen Kaispeicher als Fundament, den man nur ganz knapp nicht für die x-te dumpfe Angestellten-Legebatterie eingeebnet hatte. Es geht also, so oder so.
Das jetzt geehrte Ensemble wird noch mehr Touristen anziehen als ohnehin schon und weit über den hanseatischen Tellerrand hinaus für die Stadt werben, es wird abstrahlen auf die Nachbarn. Der Kontrast zwischen dem Unikat Speicherstadt und den HafenCity-Investorenwürfeln aus Serienfertigung direkt daneben ist brachial. So war das erhofft, so ist es von der Unesco hoffentlich gedacht. Doch so einfach wird es hoffentlich nicht bleiben. Wenn die Stadt ihre Verantwortung ernst nimmt, wäre jetzt eine neu justierte Debatte über das Schicksal der City-Hochhäuser fällig, die als Randbebauung des Kontorhausviertels deren städtebaulichen Impuls aufgriffen und anders interpretierten.
Dieser Ehrentitel, so schön er auch klingt und ist, bedeutet nicht nur Ehre, nicht nur Recht. Er bringt auch Pflichten mit sich, unangenehme, anstrengende, im Idealfall auch intellektuell lohnende. Er fordert eine umfassendere Diskussion über den Umgang mit historischer Substanz in einer Stadt, in der man sehr gern zuerst fragt, ob sich etwas schnell rechnet. Und – hin und wieder – erst danach, ob es sich langfristig lohnt und der Stadtgesellschaft einen beglückenden Mehrwert bietet, der mal nichts mit Geld zu tun hat.