Hamburg. Mit Diana Vishneva gastierte am Donnerstag der einzige Weltstar bei den 41. Hamburger Ballett-Tagen in der Staatsoper.
Diana Vishneva – schon der klangvolle Name dieser Primaballerina sorgt bei Tanzliebhabern für Entzücken und Verehrung. Kaum eine tanzt technisch so perfekt, so augenscheinlich mühelos und zudem noch so selbstverständlich und gleichermaßen überzeugend auf den beiden Hochzeiten klassisches Ballett und Modern Dance wie die Tänzerin aus St. Petersburg. Und sie ist der einzige Weltstar, den John Neumeier bei den Hamburger Ballett-Tagen in diesem Sommer dem Publikum zu bieten hat. Entsprechend hochgestimmt waren die Erwartungen der Aficionados, als Diana Vishneva am Donnerstag in der Staatsoper die Tatjana in Neumeiers gleichnamigem Ballett nach Puschkins Versroman „Eugen Onegin“ tanzte.
Weil das Werk, das erst zur Eröffnung der letzten Ballett-Tage 2014 uraufgeführt worden war, in Koproduktion mit dem Stanislavsky und Nemirovich-Danchenko Musik-Theater Mos-kau entstand, kannte die Vishneva die Rolle bereits seit vergangenem Herbst. Im November hatte sie Neumeiers „Tatjana“ mit dem Choreografen erarbeitet, freilich für die Aufführungen mit der Moskauer Compagnie. Bei ihrem einmaligen Gastspiel in der Staatsoper traf sie nun mit Alexei Lyubimov, Erster Solist des Stanislavsky Theaters und hier wie dort ihr Partner in der Rolle des Bären und des Grafen N., auf Tänzer des Hamburg Balletts.
Wer die Hamburger Fassung mit Hélène Bouchet gesehen hat, kam womöglich aus dem Staunen über die Unterschiede in der Darstellung der Tatjana vor allem im ersten Teil des Balletts kaum heraus. Wo die Bouchet poetisch, verträumt, weich und in kindlicher Tiefe das Mädchen vom Lande tanzte, das sich in den schroff-blasierten, vom Ennui geplagten Onegin (Edvin Revazov) verliebt, der zunächst nichts von ihr wissen will, setzte die Vishneva von Anfang an eine zwar ungemein flexible, aber doch deutlich maskuliner wirkende Kraft ein.
Die Sicherheit ihrer Schritte, die Akkuratesse der Formen, die Linienführung ihrer Arme und die unfassbar sehnigen, in ihrem präzisen Staccato manchmal wie überlange Stilettos anmutenden Beine, die ihr blind gehorchen: Das alles im Zusammenspiel zu sehen war faszinierend, aufregend, brillant. Dieser jungen Tatjana aber versagte die Vishneva alles (noch) Unbeholfene, vielleicht auch Backfischhafte, das Onegin das Abstandhalten von ihr leicht gemacht hätte. So wissend, so raumgreifend, wie sie mit ihrer Präsenz die Bühne erfüllte, erschien der in mehrfacher Hinsicht des Wortes große Edvin Revazov eher wie der Junge aus der Fünften, der sich in die Klassenschönste aus der Siebten verguckt.
Tatjanas Wandlung vollzieht sich in Neumeiers Deutung im zweiten Teil, wo sie ihren Kindheits- und Jugendträumereien entwachsen ist. An der Seite des weltgewandten Grafen N., aus dem Alexei Lyubimov einen souveränen, in der Liebe seiner Gattin ruhenden Mann voller Anstand machte, ist sie zur Dame geworden. Vishneva und Lyubimov tanzten einen wunderbaren Pas de deux, gleichermaßen getragen von Eros wie von tiefer Zuneigung.
Durch die Wiederbegegnung mit dem mittlerweile gebrochenen Onegin – er hat den ihm fast bruderhaft befreundeten Komponisten Lensky, den Schwager Tatjanas, im Duell getötet und kann diese Tat nicht verwinden – bricht aus der scheinbar saturierten Gattin Tatjana eine vulkanische Kraft, die sie selbst zu überraschen scheint.
Ohne Tatjana, das teilt sich durch ein paar körpersprachliche Ticks mit, wird dieser wie aussätzig gewordene Onegin verrückt werden. Er ist es eigentlich schon. Dabei weiß er, dass er zu spät kommt. Seine irrationale Hoffnung und Tatjanas unausgelebte, doch jetzt unmöglich gewordene Liebe zu ihm, ihr energetisches Schwanken zwischen einmal vielleicht doch sich ihm hingeben, jetzt, und dem Verwerfen dieser Möglichkeit, ihr Ringen mit dem fatalen Magnetismus zwischen Mann und Frau und ihrem Willen, diesem Magnetismus nicht nachzugeben – dieses existenzielle Wechselspiel vollziehen die beiden Tänzer im langen, letzten Pas de deux als große, tragische Wahrheit unzähliger Liebesgeschichten, von denen jeder im Saal mindestens eine kennt. ein choreografisches Meisterstück von John Neumeier.
Vishneva und Revazov tanzten das ergreifend, weil absolut lebensnah. Dieses Finale genügt, dass man den einmaligen Auftritt von Diana Vishneva in Hamburg nie mehr vergisst.
41. Hamburger Ballett-Tage Karten gibt es noch für: „Shakespeare Dances“, 4.7. ,19.00; Gastspiel Houston Ballet, 7./8.7., jeweils 19.30; „Winterreise“, 9.7., 19.30; „Othello“, 11.7., 20.00 unter T. 35 68 68