Hamburg. Die Triennale der Photographie erstrahlt in großem Glanz. Mehr als 70 Ausstellungen. Große Triennale-Beilage als PDF zum Download.

Jeder darf sich auf ihn werfen oder in ihn eintauchen: Gut vier Meter ist der Berg aus Fotos hoch, den der Fotograf Erik Kessels in der neuen interaktiven Ausstellung „Snapshot“ aufgehäuft hat. Der Berg besteht aus sämtlichen 350.000 Fotos, die 2011 innerhalb von 24 Stunden auf dem Web-Portal FlickR veröffentlicht wurden. Heute landen Tag für Tag zwei Milliarden Fotos im Netz, weshalb „Snapshot“ in einer Halle im Oberhafenquartier eine der am weitesten nach vorn weisenden Ausstellungen der Triennale der Photographie sein wird.

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Mehr als 70 Ausstellungen an 59 Orten – noch nie hatte die Hamburger Foto-Triennale, die der Fotograf und Sammler F.C. Gundlach einst ins Leben rief und die über lange Strecken Henriette Väth-Hinz geleitet hat, einen solchen Umfang, ein solches Spektrum und so viel inhaltliche Relevanz wie in diesem Jahr. Es ist das erste Festival mit einem auswärtigen Kurator, dem international bestens vernetzten polnischen Fotografie-Fachmann Krzysztof Candrowicz, 35. Künftig, sagt er, müsse es wieder darum gehen, aus der erdrückenden Bildermasse neue Qualitätsmaßstäbe zu entwickeln. Aber er wagt auch die eher philosophische Frage: „Das fotografische Medium lässt sich als Zeitmaschine betrachten, doch kommen wir vorwärts?“

In der Barlach Halle K: Henrik Spohler fotografierte dieses
Kakteenfeld als serielles Endlosbild
In der Barlach Halle K: Henrik Spohler fotografierte dieses Kakteenfeld als serielles Endlosbild © Henrik Spohler

Solcherlei Besinnung ist indirekt auch Thema der „Snapshot“-Ausstellung, aus dem Fotomuseum Helsinki. Hier kann zwar am Eingang erst mal jeder ein Selfie von sich machen, das an anderer Stelle an die Wand geworfen wird. Zum Ende der Schau wird sich aber vielleicht das Bewusstsein dafür geschärft haben, ob man die preisgegebenen Informationen nicht doch lieber löschen möchte. Tröstlich für das Leben im globalen Dorf ist beim näheren Betrachten von Erik Kessels Fotohaufen die Einsicht, dass alle Menschen ähnliche Sehnsüchte teilen. Nur haben sie früher genauer hingesehen, was hier anhand historischer Fotoalben deutlich wird. Im Katalog orakelt die Kuratorin Karolina Ziebinska-Lewandowska: „Es wird sich eine neue Tendenz entwickeln – eine Weigerung zu fotografieren; eine Weigerung, Fotografien weiterzugeben oder zu konsumieren ...“

Fotokunst bei der Triennale

Der irische Künstler Maser in seiner Installation
Der irische Künstler Maser in seiner Installation "Here Now". Das internationale Festival "Triennale der Photographie Hamburg" unter dem Motto „The Day Will Come“ beleuchtet in zahlreichen Ausstellungen und Veranstaltungen die Zukunft der Fotografie © dpa | Christian Charisius
Das zum sechsten Mal stattfindende Festival zeigt an 59 Orten, in Ausstellungshäusern, Museen und Galerien bis zum 28. Juni neben großen Schauen auch Vorträge, Filme, Projektionen und Workshops
Das zum sechsten Mal stattfindende Festival zeigt an 59 Orten, in Ausstellungshäusern, Museen und Galerien bis zum 28. Juni neben großen Schauen auch Vorträge, Filme, Projektionen und Workshops © dpa | Christian Charisius
In den Deichtorhallen sind unter anderem Arbeiten aus der Sammlung F.C. Gundlach zu sehen
In den Deichtorhallen sind unter anderem Arbeiten aus der Sammlung F.C. Gundlach zu sehen © dpa | Christian Charisius
Die Serie
Die Serie "Days with my Father" des Künstlers Philip Toledano in den Deichtorhallen © dpa | Christian Charisius
Die Triennale steht dieses Jahr unter dem Motto „The Day Will Come“
Die Triennale steht dieses Jahr unter dem Motto „The Day Will Come“ © dpa | Christian Charisius
Besucher betrachten die Installation
Besucher betrachten die Installation "Insideout" von flora&faunavisions, Leigh Sachwitz, in der Ausstellung "#snapshot" © dpa | Christian Charisius
Justus Duhnkrack, Koordinator der Ausstellung
Justus Duhnkrack, Koordinator der Ausstellung "#snapshot" vor der Installation "24HRS in Photos" von Erik Kessels © dpa | Christian Charisius
Dieses Foto von Catherine Balet heißt „Strangers in the Light“ (2009)
Dieses Foto von Catherine Balet heißt „Strangers in the Light“ (2009) © Catherine Balet | Catherine Balet
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Einen ähnlichen Ansatz verfolgt eine Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe, in der es im historischen Vergleich innerhalb von 170 Jahren um das Teilen von Bildern, um Kontinuität, politisch-ethische Verantwortung, um Voyeurismus und technische Veränderungen geht. Die Allgegenwart und das Ausmaß an Reproduktion von Bildern ist in dieser Schau auch Thema von Fotokünstlern, die gelegentlich auf autorlose Bilder aus dem Internet zugreifen.

Phillip Toledano begleitet seinen dementen Vater auf dem Weg in den Tod

Unweigerlich begegnet man in all diesen Ansätzen, die Amateurfotos mit den Schöpfungen professioneller Fotografen konfrontieren, dem Phänomen des Narzissmus. Es gab wohl nie zuvor eine Epoche, die narzisstischen Tendenzen, dem Kult des Aussehens und der Anzahl von „Likes“ so viel Beachtung einräumte wie die digitale Gegenwart. Dies ist sogar ein eigenes Thema geworden: In der Ballinstadt dokumentiert eine Sonderausstellung, „wie in einer immer narzisstischer werdenden Gesellschaft die Ich-Optimierung und Ich-Modellierung eine zunehmend große Rolle spielt“, so die Veranstalter.

Das Internet hat den Narzissmus nur potenziert, aber man feierte schon früher ausgiebig sich selbst. Der Hamburger Fotograf Volker Hinz zum Beispiel ließ sich in den 80er-Jahren mit der Kamera um den Hals durch das „Area“ treiben, den angesagtesten New Yorker Underground-Nachtclub. Kunst, Theater, Spaß, kreative Uferlosigkeit, erotische Grenzgänge, Geschlechter-Freiheit und stilvolle Hemmungslosigkeit verknüpfen sich in diesen erstaunlichen Dokumenten zu einem nächtlichen Reigen jener aufregenden Jahre, die durch Aids ein jähes Ende fanden.

Wenige seiner legendären „Area“-Fotos werden großformatig in der Halle 4 im Oberhafenquartier (Stockmeyerstr. 43) ausgestellt, doch weit über tausend werden in einer Sound-Installation großflächig an die Wand geworfen. Eröffnung ist heute, 22 Uhr, mit einer Party.

Mohamed Camaras „Chambre Malienne no 1“ ist in der Kunsthalle
zu sehen
Mohamed Camaras „Chambre Malienne no 1“ ist in der Kunsthalle zu sehen © © Courtesy Galleri Flach Stockholm/Martin Url

Narzissmus kann sich auch geschickt tarnen. Der Fotograf und Werber Phillip Toledano hat im Haus der Photographie eine von Sabine Schnakenberg einprägsam kuratierte Einzelausstellung bekommen, die aus mehreren Zyklen besteht. Einer davon hat ausschließlich die eigene Person zum Gegenstand. Aus seinem Narzissmus und seinen Ängsten destilliert Toledano allerdings etwas anderes, Allgemeingültiges und Tiefes, das macht die Ausstellung unbedingt sehenswert.

Die Entstehung der ersten Arbeit „Days with my father“ erstreckt sich über drei Jahre, Toledano begleitet seinen dementen Vater auf dem Weg in den Tod, und er tut das so, dass man das sonst Verdrängte plötzlich auszuhalten vermag: die Traurigkeit über die bald endende Liebesbeziehung zwischen Vater und Sohn, den Abschiedsschmerz, den Blick auf Verfall und Tod.

Zeitgleich hat Toledano eine zweite Serie fotografiert, die daran anschließt. Hier, unter lauter operierten Menschen mit gewölbten Kussmündern oder monumental aufgebauten Brüsten, ohne mimische Spuren in den Gesichtern, wurden die Hinweise auf Sterblichkeit entfernt – und damit alles Lebendige getilgt. Man hat aber auch viel zu lachen bei Toledano, sogar in seiner Serie „Maybe“, in der er sich selbst als alten Mann inszeniert und die kollektive Angst vor dem Alter verbildlicht.

Viele weitere Ausstellungen flankieren die Triennale. Zum Beispiel die von Henrik Spohler in der Barlach Halle K: Dieser Fotograf hat eine Art der Landschaftsfotografie entwickelt, die die industrielle Produktion von Nahrungsmitteln und Pflanzen seriell und strukturell in den Fokus rückt. Ebenfalls sehenswert ist die Giovanni-Castell-Ausstellung in der Galerie Schimming, der seine Fotografien am Computer und mit Licht magisch manipuliert. Oder eine Schau im U-Bahnhof Steinstraße, ein Projekt der Gesellschaft für Humanistische Fotografie: „Changing Realities – Bilder einer Welt im Wandel“. Die 14 internationalen Fotografen zeigen Menschen, die sich wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Herausforderungen kreativ und mutig stellen.

Pepa Hristova fotografiert Bräute, die in Bulgarien verkauft werden

Von ganz anderer Seite nähert sich die Fotografin Pepa Hristova dem Thema Menschlichkeit: In Bulgarien ist es unter orthodoxen Roma Brauch, dass die Töchter an Heiratswillige zum Verkauf angeboten werden. Hristova hat diese jungen künftigen Sklavinnen porträtiert, die innerhalb Europas verschachert werden, schick gemacht und etwas wackelig auf High Heels posierend. Die unbedingt sehenswerte Ausstellung läuft im Apartimentum, Mittelweg 169.

Auch die Hamburger Kunsthalle hat sich für eine sozial engagierte Schau entschieden: „The Day will come – when there is hope“. Der fotografischen Visualisierung von Hoffnungen ist sie gewidmet, die oft das Thema Auswandern behandelt: abstrakt, poetisch oder ganz konkret, stets mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.