Hamburg. Am 18. Juni eröffnet die sechste Triennale der Photographie. Der polnische Kurator Krzysztof Candrowicz verantwortet das Programm zum ersten Mal
Noch nie war die Triennale der Photographie so groß und so vielfältig wie in diesem Jahr: Der polnische Foto-Kurator Krzysztof Candrowicz, 35, will Hamburg als internationale Hauptstadt der Fotografie bekannt machen. Sein Enthusiasmus muss schon viele angesteckt haben, und bald hat man im Interview das Gefühl, einem alten Freund gegenüber zu sitzen, der Vertrauen verdient und mit dem man gern mal im Dunkeln Äpfel klauen würde.
Hamburger Abendblatt: Die sechste Triennale der Photographie wird größer und gewichtiger als die vorigen. Was wird das Besondere sein?
Krysztof Candrowicz: Uns geht es nicht primär darum, Fotografie in Museen zu zeigen, sondern die ganze Stadt einzubeziehen. Das wichtigste sind natürlich die Inhalte. Aber wir veranstalten auch Partys, denn die Leute sollen sich ja austauschen und Spaß haben! Neben allen Häusern der Kunstmeile haben wir ganze 35 weit verteilte „Satelliten-Ausstellungen“ und ein europäisches Foto-Projekt auf dem Rathausmarkt.
Enorm viele Menschen fotografieren täglich mit ihrem Telefon. Fotografie ist etwas Alltägliches geworden. Was ist die große Chance der Triennale?
Candrowicz: Der Moment ist da, das Festival unter das Thema Zukunft zu stellen. Es ist leicht, die Fotografie von heute zu erfassen. Aber wie sie sich entwickeln wird, ist die Schlüsselfrage. Fotografie ist die moderne Form von Sprache geworden. Mit Instagram oder FlickR sind mehr und mehr Instrumente auf dem Markt, um über Bilder zu kommunizieren. Auch in den Print-Medien verändert sich das Verhältnis zwischen Text und Bild dramatisch. Uns geht es nicht darum, zu urteilen, sondern den Prozess zu zeigen. Wir veranstalten außerdem ein Symposium mit Experten, die ihre Zukunftsvisionen von Fotografie diskutieren werden.
Über den Weg der Kommunikation ist die Fotografie mit einer neuen Art von Macht über Menschen verknüpft. Wie wirkt sich das aus? Welche Werte hat die Fotografie gewonnen oder verloren?
Candrowicz: Im 21. Jahrhundert wird die Fotografie einerseits bei der ersten Wahrnehmung über das Wort siegen. Andererseits beeinflussen uns Bilder immer weniger, denn überall sehen wir welche. In einem Einkaufszentrum sind die Bilder im Begriff, uns zu „killen“. Wir müssen also über die Auswirkung von Bildern nachdenken. Deshalb ist die Rolle von Museen, Festivals und Verlegern so wichtig, um eine Qualitätsauswahl zu treffen. Seit der Renaissance hat sich unsere bildliche Wahrnehmung immer weiter von der Qualität hin zur Quantität verschoben. Jetzt geht es darum, diese Entwicklung umzukehren.
Sie kommen aus Osteuropa, aus Polen. Spielt das eine Rolle?
Candrowicz: Polen liegt im Zentrum von Europa. Ich bin im Kollektivismus aufgewachsen, wo man alles teilte. Ich schätze meine Kindheit hoch. Polen hat aber auch eine Horrorzeit hinter sich, schwer war das. Ich bin auch ein Kind der Transformationsphase hin zu diesem verrückten Kapitalismus, aber zugleich zur Demokratie, dieser machtvollen, positiven Bewegung.
Die polnische Fotografen-Gruppe „Sputnik“, die Sie eingeladen haben, bekennt sich zum Sozialen.
Candrowicz: Sputnik vereint soziologische und philosophische Aspekte. Wir können in der Fotografie nicht das soziale Moment abschütteln. Die Leute vermissen heute etwas. Der pure Kapitalismus und Egoismus – das ist es nicht. Viele Menschen wandern in den Osten ab auf der Suche nach einer Art von Reinheit. Je weiter sie nach Osten gehen, desto purer wird es.
Europa hat mehr Ränder als Zentren ...
Candrowicz: Ja. Auf dem Festival kommen soziologische, kulturelle und technische Aspekte zur Sprache. Das Multikulturelle ist sehr wichtig. Mir ging es darum, für diese Triennale egal welche Art von interessanter Fotografie weltweit zu finden. Hier bekommt man europäische, amerikanische, afrikanische, indische oder asiatische Fotografie zu sehen. Mein Ehrgeiz ist es, Hamburg als das wichtigste Zentrum der Fotografie in der globalen Szene zu setzen. Dabei fügen wir einfach alle Puzzle-Teile zusammen, die es bereits gibt, zum Beispiel die Zentralen der Foto-Industrie, die Verlage, Schulen, das Haus der Photographie ...
Hat das Kollektiv als Struktur eigentlich wieder Zukunft?
Candrowicz: In gewissem Sinne ja. Besonders Studenten in den Fotoschulen versuchen, Dinge miteinander zu teilen. Und immer mehr internationale Kollektive entstehen. Das ist brandneu.
Sie kommen aus Lodz, das mal ein riesiges Zentrum der Textilproduktion war und nach der Wende darniederlag ...
Candrowicz: Heute boomt die Stadt. Aber Anfang der 90er-Jahre hatten wir 70 Prozent Arbeitslosigkeit. Da war die Textilindustrie kollabiert, Lodz musste sich neu erfinden. Man entschied sich, eine Stadt der Kreativ-Industrie zu entwickeln. Heute haben wir die zweitgrößte Sammlung zeitgenössischer Kunst nach dem MoMa in New York.
Hat Sie die Präsenz der Film-Akademie in Lodz beeinflusst, wo Andrzej Wajda oder Roman Polanski studiert haben?
Candrowicz: Aber ja! Sie ist heute eine der führenden Schulen in Europa.
David Lynch hat in Lodz ein Film-Studio gegründet. Die Foto-Abteilung der Filmhochschule ist sehr stark. Sie wird sich auch hier in Hamburg im Containerdorf auf dem Deichtorplatz vorstellen. Aber das Stärkste an Lodz ist die Kraft, sich zu transformieren.
Sie gingen auf ein basisdemokratisches Gymnasium. Hat Sie das beeinflusst?
Candrowicz: Die Schule war der wichtigste Wendepunkt in meinem Leben. Wir konnten uns dort wirklich auf unsere Talente konzentrieren. Es war freies Lernen, herrlich! Regeln wurden gemeinsam beschlossen, ihre Einhaltung demokratisch überwacht. Eine kleine Lektion in Demokratie. Ich habe dort die interessantesten Leute getroffen und entschied mich für Soziologie und Ethik, Geschichte und Fotografie.
Welche Verbindungen von Ihren heutigen Aktivitäten sehen Sie zu diesem vorurteilslosen Arbeiten damals?
Candrowicz: Es ging darum, die Dinge aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten. In dieser Schule habe ich gelernt, dass ich in meinem Leben viele Dinge ausprobieren kann. Die Strategie lautet: schnelles Scheitern.
Was haben Sie alles probiert?
Candrowicz: Ich war Unternehmer, PR-Mann, Psychotherapeut, ich bin Direktor des Kunstzentrums in Lodz und habe ein Design-Festival gegründet. Aktuell habe ich fast nur noch mit Fotografie zu tun. Seit 15 Jahren bin ich Direktor des Fotofestivals in Lodz. Heute, denke ich, überbringt die Fotografie die wichtigste Botschaft. Weil in ihr ein tieferes Verständnis von der Welt begründet liegt. Es geht hier eben nicht um Verkauf und Märkte wie bei den meisten anderen Dingen.
Sie hätten für die Triennale ein geschlossenes Konzept entwickeln können. Stattdessen vernetzen Sie viele Beteiligte.
Candrowicz: Ich glaube nicht an Gurus in der Kultur. Die Kunst wird demokratisch, dank Internet. Das Netz ist eine sehr wichtige Basis, damit das hier eben keine One Man Show wird.