Hamburg. Sie ist die Göttin der guten Laune, wenn auch “Atemlos“: Helene Fischer schlagerte und röhrte vor knapp 40.000 im HSV-Stadion.
Wer denkt, über Helene Fischer sei alles gesagt, der muss dringend mal in ein Stadion gehen, das sie in einer lauen Sommernacht bespielt. Es ist ja nicht übertrieben, den Sommer jetzt auszurufen, da man T-Shirt tragen kann, am besten eins mit dem Konterfei des blonden Schlagerstars drauf: Gestern gab die Fischer, Deutschlands regierende Chart-Königin, ihr erstes von zwei Konzerten im Volksparkstadion. Es war eine riesige, geradlinige, seiner Massentauglichkeit faszinierende Angelegenheit mit Caipirinha-Ausschank.
Auch weil beim Schlager sowieso immer Sommer ist. Mehr als 37.000 Fans – auch heute Abend beim zweiten Konzert werden knapp 40.000 erwartet – und zweieinhalb Stunden Erbauung durch leichteste Unterhaltung: Wer verstehen will, warum Helene Fischer der erfolgreichste Schlagerstar der Republik ist und in den nächsten Wochen vor fast einer Million Fans auftreten wird, der lässt es mit dem Staunen über die vermeintliche Anspruchslosigkeit des sogenannten Volkes besser nicht bewenden.
Denn ein Stadion-Set, das gegen 20.30 Uhr mit der Parship-Popnummer „Unser Tag“ beginnt und knapp 25 Songs später mit der Hedonismus-Hymne „Atemlos durch die Nacht“ endet, muss man so erst einmal hinlegen. Einer der Songs heißt ja „Ich will immer dieses Fieber spüren“, ein anderer „Von hier bis unendlich“, bei dessen Darbietung Fischer über den Zuschauern schwebt – und es ist eine Kunst, mit in ästhetischer Hinsicht kühl kalkulierten Kompositionen das Thermometer ins scheinbar Unbegrenzte steigen zu lassen. In Bahrenfeld feiert das Publikum Helene Fischer als Göttin der guten Laune, Mitsingen inklusive: „Mach dich auf den Weg, völlig aufgedreht vor Freude/Fang den Moment/Wir sind mittendrin, tanzen heut mal aus der Reihe/Nichts was uns trennt“.
An diesem Abend ist nichts schwer
Zu Helene Fischer gehen junge Männer und ältere Frauen, mittelalte Männer, mittelalte Frauen, Kinder. Es ist der ganz große Querschnitt aller Menschen und der Wünsche, die sie haben, der vom Schlager und von Helene Fischer bedient wird. Das Einfache ist schwer, heißt es ja oft in künstlerischen Zusammenhängen. An diesem Abend ist nichts schwer, anstrengend oder tiefschürfend, die Leute wollen Spaß haben, und sie können das: Der Schlager gibt ihnen die Lizenz zum Schunkeln, dieser in Deutschland so erprobten Form der Rhythmuserfahrung.
Es muss aber fast gar keiner stehen, wenn er nicht will, denn die Arena, die in ihrer eigentlichen Funktion als Heimat um ein Haar zweitklassiger Fußballer viel über das Wollen und Nichtkönnen weiß, ist für die Fischer-Festspiele bestuhlt worden. Helene Fischer kann – und zwar alles, was es braucht, um die leicht an die Oberfläche drängenden Gefühlskomplexe in eine perfekte Inszenierung des Trivialen zu überführen. Die Liste umfasst all die Songs, an denen seit Jahren immer da, wo sich viele Menschen versammeln, kein Vorbeikommen ist. Und man hat dabei nie schlechte Vibrations erlebt, wenn Menschen zu diesen Songs tanzten oder sie mitsangen.
Sie sieht wieder sensationell gut aus
So ist es an diesem Abend natürlich auch, an dem die Konzertbesucher mit der wieder einmal sensationell gut aussehenden Helene Fischer durch deren knackige Ansagen direkt in Kontakt treten – so gut das eben geht, wenn alle eins sein und doch auch alleine sein wollen im Angesprochen-Sein. Zum Schlagerbeat toben übrigens oft etliche Tänzer über die Bühne, sie sind die Satelliten um den Planeten Helene. Sogar deutsche Volksmusik kann eine halbwegs aufregende Choreographie haben, wenn sie will. Tänzer hat auch Madonna, deren Popularitätswerte Helene Fischer schon lange hat, obwohl sie, na klar, in einer ganz anderen Sportart zu Hause ist. Wobei man der Fischer unbedingt zutraut, in anderen als den musikalischen Seichtgebieten zu bestehen. Mit ihrer versierten Band spielt sie auf der Tour auch Grönemeyer und Maffay, das ist erwiesenermaßen kein oder nicht immer Schlager.
Die deutsche Populärmusik hat keine Madonna, aber wenigstens zieht sich Fischer während ihrer Konzerte genauso oft um. Es gibt üppige Roben zu sehen und akrobatische Verrenkungen, es gibt eine Light-Show, bei denen die Fischer-Fans mit ihren Smartphones hantieren.
Erleichternde Ironiefreiheit
Und es gibt Momente, in denen man dann doch ein bisschen verstört ist; der Himmel kann ja nie so wolkenlos sein, wie er im Schlager besungen wird. Aber ganz ehrlich: Die bei Helene Fischer anzutreffende Unempfindlichkeit gegen die Form von Ironie, wie man sie zum Beispiel beim Schlagermove auf St. Pauli überall antrifft, und auch der Verzicht auf jegliche Bedeutungen jenseits des Offensichtlichen können auch durchaus mal eine Erleichterung sein. Darüber hinaus findet das makellose Gesicht der Künstlerin, dessen Glätte nicht zufällig der des schwedischen ESC-Siegers entspricht, ebenso offensichtlich das Wohlgefallen wie die Songs.
Man glaubt eigentlich nie, dass die fehlerfreie Helene Fischer bei dem, was sie da auf der Bühne tut, schwitzt. Tut sie natürlich doch, und wahrscheinlich stört es sie nicht, dass man das auf den Leinwänden auch sieht – obwohl es kaum Fotos gibt, auf denen sie schwitzt. Der Sound ist das gesamte Konzert über prima, und wenn Helene Fischer mit viel Schmelz in der Stimme ihre Weisen singt, schwelgen auch schon mal die Geigen.
Manche finden: Die Deutschen brauchen grundsätzlich ästhetische Erziehung. Man wünscht ihnen, dass sie in der Regel andere Musik hören. Man kann sie allerdings auch mal in eine Freistunde entlassen. Zu Helene – die schickt ihre Fans mit einem Feuerwerk nach Hause, es blitzt und zischt am Schlagerhimmel, der ja bekanntlich in Hamburg besonders weit ist.