Wenige Wochen nach dem WM-Finale in Rio spielt der Superstar in Wilhelmsburg ein Konzert, das noch lange nachhallen wird. Neben Wyclef Jean glänzen Joss Stone, Aloe Blacc und Nneka.
Hamburg. Mit seiner musikalischen Urgewalt hat Superstar Wyclef Jean das Hamburger Festival Soul im Hafen erschüttert. Die Erde bebte, der Wind wehte – und Wyclef rappte. Fünf Wochen nach seinem Auftritt mit Shakira und Carlos Santana beim Finale der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien inszenierte der frühere Kopf der Fugees einen Auftritt, den die 6000 Zuschauer nicht so schnell vergessen werden.
Wyclef Jean stampfte in gut 60 Minuten durch ein Best-of-Programm, das von „Ready or not“ über „911“, „No woman, no cry“ und zahllose Freestyle-Raps bis zu einem Ausflug durchs Publikum alles bot, was man von einem Tausendsassa wie ihm erwarten kann. Ohne Soundcheck am Nachmittag enterte er die Bühne, klemmte sich die Gitarre vor den Bauch, spielte und sang sich die Seele aus dem Leib.
Aber darum ging es auch, die Seele der Musik, den Soul. Das neue Festival auf dem Dockville-Gelände in Wilhelmsburg hätte mehr Zuschauer vertragen können. Aber sicher nicht mehr an Stars. Was die Mischung aus Soul, Hip Hop, R&B und Reggae betrifft, wird das kaum zu steigern sein.
Wyclef Jean, der spät zusagte, weil er generell recht wenige Konzerte gibt und umso mehr die Alben anderer produziert, war da nur die Sahnehaube. Eine bestens aufgelegte Nneka wärmte das Publikum im leichten Nieselregen mit ihrem scharfen Potpourri aus Soul und Reggae. Wenn man bedenkt, dass sie als Kind im Schulchor in Altona sang und mittlerweile diese Karriere hingelegt hat, muss man sich schon schütteln, um es zu glauben.
Bei ihrem Duett mit Joss Stone später am Abend hatte man den Eindruck, dass eine Königin und eine Prinzessin sich per Mikrofon die Bälle zuwarfen. Schon dieser gemeinsame Auftritt war das Geld wert. Aber Joss Stone wäre nicht die Anführerin einer neuen Generation von Soul- und Jazzsängerinnen, wenn sie nicht ein bisschen auch Diva wäre. Lange hat sie mittags ihren Soundcheck hingezogen. Perfekt sollte ihre energiegeladene, schwere Stimme rüberkommen. Wer mit Soundmeister Dave Stewart (Eurythmics) und Stones-Lippe Mick Jagger gleichberechtigt gearbeitet hat, der nimmt auch Hamburg-Wilhelmsburg als Herausforderung.
Joss Stone schuf einen großartigen Klangteppich, in den sie ihr Gurren und Schnurren, das Balzen und Schmalzen immer wieder gekonnt einnähte. Da dürften Rihanna, Beyoncé oder Alicia Keys ganz große Ohren bekommen.
Eine Live-Entdeckung war Aloe Blacc. Wer ein paar Radionummern im Sommer hat, der verschwindet doch recht schnell wieder vom Pop-Radar. Der Kalifornier Blacc ist allerdings ein kleiner Star auf dem zweiten Bildungsweg. Freimütig erzählte er, dass er in seinem Bürojob gefeuert wurde, ehe er sich entschloss, aus seinem Hobby Musik einen Job zu machen. So lässig wie er seinen Megaseller „I need a dollar“ ins Publikum schleuderte, wünscht man sich viele One-Hit-Wonder. Blacc macht kurze Ansagen, scherzt mit dem Publikum, sucht den Dialog, wirkt alles andere als abgehoben. „The man“ und „Wake me up“ kommen ebenso unangestrengt daher. Von Inszenierung keine Spur.
Das war bei Wyclef Jean schon etwas anders. Dieser Clown ist sich seiner produktiven Verrücktheit voll bewusst. Wie ein karibischer Hurrikan wütete er über die Bühne, spielte die Gitarre auf dem Rücken und hinter dem Kopf wie Jimi Hendrix. Für einen Liegestütz-Contest holte er einen Journalisten auf die Bühne. Der Mann aus Haiti, der in Brooklyn und New Jersey groß, mit den Fugees mächtig und mit seinen Alben mit Shakira, Santana und Avicii unsterblich wurde, wirkte wie ein Höllenhund von der Kette gelassen.
Im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt sagte Jean, dass er sich sogar ein Comeback der Fugees vorstellen könne. Lesen Sie mehr dazu in der Montagausgabe des Abendblatts und später bei abendblatt.de.