Wenn heute Abend die Frankfurter Buchmesse eröffnet wird, stellt sich das Land mit dem weltweit achtgrößten Literaturmarkt vor. 70 einheimische Autoren präsentieren ihre Werke.
Von Brasilien wird in den kommenden Jahren noch viel die Rede sein, die Fußball-Weltmeisterschaft (2014), die Olympiade (2016) werden in diesem aufregenden Land stattfinden. Der flächen- und bevölkerungsmäßig fünftgrößte Staat der Welt – 24-mal größer als Deutschland, mehrere Landschafts- und Zeitzonen, 192 Millionen Einwohner – der seinen Namen einem Baum verdankt, dem pau brasil, steht bei uns auch stellvertretend für Bossa Nova, Musik, Tanz, Lebensfreude, Sport, die Strände von Rio und Karneval. Dazu passt auch, dass die Brasilianer die Menschen sind, die laut Studien am häufigsten und am längsten Sex haben sowie am häufigsten darüber reden. Für Politik bleibt da wenig Zeit. Aber dies nur nebenbei.
Hier soll es um Literatur gehen, denn Brasilien ist das diesjährige Gastland der Frankfurter Buchmesse, die heute beginnt. 70 brasilianische Autoren aus nahezu jedem literarischen Genre sollen ihre Werke und Positionen in mehr als 150 Veranstaltungen vorstellen. Ihr Motto „Brasilien – ein Land voller Stimmen“ zeigt auch die ethnische Vielfalt des Gastlandes und dessen Neugier in der Literatur. Abseits der Klischees sollen die Besucher Brasilien als ein Land erfahren, das sich seiner selbst und der ungeheuren Kraft seiner inneren Widersprüche, der beständigen eigenen Dramatisierung, bewusst ist.
Deutschland und Brasilien haben mehr miteinander zu tun, als auf den ersten Blick sichtbar ist. In Südbrasilien ist Deutsch sehr verbreitet. In mehreren südlichen Bundesstaaten ist Deutsch zweite Amtssprache, in Blumenau ist es als Schulfach verpflichtend. Überhaupt ist Brasilien nach den USA das Land, in das die zweitmeisten Deutschen und Italiener auswanderten und in das deutlich vor den USA die meisten afrikanischen Sklaven verschifft wurden, bereits ab 1550. So lässt sich das Land in mehrere kulturelle Regionen unterteilen: Der Norden besteht aus Urwald, ist indianisch, der Nordosten ist afrikanisch geprägt, ärmlich. Im Südosten, in den Metropolen ist es durchmischt. Im Süden, wo viel Wohlstand herrscht, gibt es viele Deutsche, Gauchos, und ein eher europäisches Klima. Im Südwesten findet man Cowboys.
Die Wurzeln der brasilianischen Literatur liegen beim portugiesischen Nationaldichter Camões. Die brasilianische Literatur entstand erst vor gut 150 Jahren, als Signal postkolonialer Identität, sie ist mit Machado de Assis und mit Euclides da Cunha, Ende des neunzehnten Jahrhunderts, in die „Aula der Weltliteratur“ eingetreten.
Machado de Assis hat soziale Typen geschaffen, er war eine Art Balzac Brasiliens. Die großen Romanciers der 1930er-Jahre kamen fast alle aus dem von da Cunha eingeführten Sertão, dem wüstenartigen Nordosten des Landes im Bundesstaat Bahia, Graciliano Ramos, Jorge Amado, Rachel de Queiroz, später Guimarães Rosa. Er hat mit „Grande Sertão: Veredas“ Jahre vor García Márquez’ „Hundert Jahre Einsamkeit“ das große Epos des lateinamerikanischen Kontinents geschrieben. Es ist eine Geschichte, die unter den ärmlichen Viehhirten im Sertão spielt.
Heute ist Brasilien ein Schwellenland, das sich als moderne Wirtschaftsmacht darstellt, aber viele soziale Probleme sind noch nicht gelöst. Jetzige Literaten erzählen davon in ihren Geschichten voller kreativer Unruhe und Ungeduld. Es geht um den überall spürbaren Rassismus, die krassen Gegensätze zwischen Arm und Reich, Favelas, Kriminalität, Familien, die Suche nach Identität und Lebenssinn oder die Mängel des Bildungssystems. Einige der soeben neu erschienenen Bücher stellen wir hier vor.