Chico Buarque ist ein herausragender Musiker, ein wunderbarer Romancier – und ein eminent politischer Mensch. In Zeiten der brasilianischen Militärdiktatur hat er gegen das Regime angesungen, seine Kunst des Schreibens spiegelt die gesellschaftlichen Verhältnisse in dem fünftgrößten Land der Welt. In „Vergossene Milch“ (Dt. v. Karin von Schweder-Schreiner) hat sich Buarque, 69, gleich ein ganzes Jahrhundert vorgenommen. Sein Held ist ein Zeitzeuge par excellence: Eulálio, 100 Jahre ist er alt, liegt am Ende seiner Tage auf einer Krankenstation, allein mit seinen Erinnerungen, die ihn heimsuchen wie eine Flutwelle, von der sein Geist überspült wird: seine vielen Liebschaften, seine große Liebe Matilde, das Leben der Sklaven auf den Kakaoplantagen, seine Jahre mit dem Vater in Paris, die Kolonialherrschaft. Kreuz und quer fügen sich die Erinnerungen zu einem gewaltigen Sittengemälde.
Es ist ein mitreißender Strom des Erzählens, den Buarque in seinem Roman freisetzt, ein vielstimmiges Lied über die Geschichte eines faszinierenden Landes.
Chico Buarque „Vergossene Milch“, S. Fischer Verlag, 208 Seiten, 19,99 Euro