Vergleichsgrössen: Nike Wagner über die Konkurrenz, die keine ist. Bayreuth und Salzburg - zwei musikalische Welten treffen bei den Festspielen aufeinander. Nike Wagner kennt beide.

ABENDBLATT: Wagners Bewunderung für den "unvollendeten" Mozart hielt sich in Grenzen: Die buffonesken Opern waren ihm wohl zu italienisch, von der Klavierliteratur ließ er als Nicht-Pianist die Finger, Kammermusik war nicht sein Format, die Libretti hat Mozart geliefert bekommen. In einem Lexikon - über Mozart - findet sich der schöne Satz "Wagner pflegte zu ignorieren, was seinen ästhetischen Vorstellungen nicht entsprach". Vererbte sich das von oben herab wohlmeinende Desinteresse in Ihrer Familie, oder hat sich das inzwischen gegeben?

NIKE WAGNER: Mozart und Wagner - das sind in der Tat entfernte Welten, verschiedene Traditionslinien. Wagners Zentralgestalt war Beethoven. Er verstand sein Musikdrama als Weiterführung von Beethovens Neunter. Beethoven - und auch Bach - waren die etablierten Hausgötter in Wahnfried. Mozart gehörte zu Salzburg, das waren ,die anderen' Festspiele. Dennoch war Mozarts Genie unbestritten, und sei es nur als ,Erholung' . . .

ABENDBLATT: Sind Sie als Urenkelin Richards mit Mozarts Musik sozialisiert worden? Gab es Widerstände oder eine schwarze Liste von Komponisten, die sich den Respekt erst durch untertänige Spiegelung im übermächtigen Wagner-Bild erarbeiten mußten?

WAGNER: Komisch, diese zählebigen Klischees . . . Wagners sind doch kein Ku-Klux-Klan, zumindest nicht mehr nach dem Zweiten Weltkrieg. Es ging bei uns nach Art aller gutbürgerlichen Haushalte vor sich: Man lernte Klavierspielen - auch Mozartsonaten - und man reiste nach Ansbach, München, Salzburg, Wien zu den Festspielen. Bald war auch Donaueschingen dabei.

ABENDBLATT: Schon für unsereins ist Salzburg ein begehbarer Ausnahmezustand; wie lebt es sich dort - und in Wien, Ihrem anderen Wohnsitz - mit dem Nachnamen Wagner?

WAGNER: Gustav Mahler hat Wagner in Wien durchgesetzt, Karajan in Salzburg. Wo Opernhäuser sind, ist auch Wagner. Dennoch lebt sich's gerade in den Mozartmetropolen sehr angenehm. Der Kaffee ist einfach besser.

ABENDBLATT: In diesem Sommer sind die Salzburger Festspiele mit ihrem Vorhaben, alle 22 Bühnenwerke zu stemmen, fast so einseitig wie Bayreuth schon seit 1876. Das kann Ihnen doch nun wirklich nicht gefallen.

WAGNER: Tut es auch nicht. Wir brauchen keine Rekorde für Mozart, kein all of Mozart, sondern ein best of Mozart. Oder einen Reflex Mozarts in den Künsten von heute. Mozart ist ja wirklich weit weg von uns. Was macht ihn aber weiterhin zu einer so unmittelbar berührenden Figur?

ABENDBLATT: Mozart wird exzessiv vermarktet - zu Wagner gibt es weniger entsprechend skurrile Devotionalien.

WAGNER: Es gibt keine Wagner-Kugel, keine Wagner-Locke, auch keine Wagner-Nase zartbitter. Das ist richtig. Es gab und gibt aber immer den Wagner-Kitsch in Schrift und Bild und Film - zumeist ungenießbar. Fast jeder Bayreuth-Bericht unserer Gazetten gehört dazu.

ABENDBLATT: Welche Mozart-Oper würde die Dramaturgin in Ihnen reizen?

WAGNER: "Così fan tutte", "Così fan tutte", "Così fan tutte".

ABENDBLATT: Ihr Hausheiliger beim Weimarer Kunstfest ist Franz Liszt, der mit Vorliebe hochvirtuose Fingerübungen aus Mozart-Opern herausdestillierte. Wie wollen Sie da im ganzjährigen Allerlei der Mozart-Feierstunden sinnvoll gegensteuern?

WAGNER: Liszt ist ohnehin fest im Programm, und aus Mozart muß man ja kein Allerlei machen. Weimar kriegt eine Klanginstallation von Cage ("Mozart-Mix"), ein originelles Mozart-Konzert, dirigiert von John Eliot Gardiner, und einen Mozart-Abend, den Andràs Schiff gestaltet und leitet.

ABENDBLATT: Simon Rattle hat gesagt, es sei ein Problem, "daß man die Mozart-Sachen viel zu gut kennt. Sie sind so nah vor unserem Gesicht, daß wir sie kaum mehr sehen können." Was sehen Sie in Mozart, wenn Sie einen Schritt zurücktreten?

WAGNER: Den behutsam verdeckten Abgrund.

ABENDBLATT: Darf, sollte man in diesem Jahr überhaupt Mozart aufführen, oder ist eine Generalpause nicht angemessener? Schumann und Schostakowitsch, die anderen Jubilare 2006, wären ja auch ganz hörenswert.

WAGNER: Die Generalpause, in der alle in die Stille hineinhorchen und Mozarts gedenken, gibt es nicht. Also ist es gleich besser, ihn zu ehren, Wissens- und Hörlücken zu füllen, auszuwählen. Versuchen wir Mozart - im Sinne Rattles - als Fremden zu hören. Er ist nicht unser, genausowenig wie Schumann oder Schostakowisch. Das können Jubiläen auch klarmachen.