Der 45-jährige Wotan Wilke Möhring ist neuer “Tatort“-Kommissar. Die Begegnung mit einem besonders lässigen Charakterdarsteller.

Andere würden jammern. Wotan Wilke Möhring lächelt. Kommt in die Hotellobby geschlendert, als ginge er eine Runde joggen: Turnschuhe zur Kapuzenjacke, der Gang federnd, die Laune im mehrstelligen Plusbereich. Dreharbeiten bis in die Morgenstunden? Kein Problem, ist ja nicht sein erster Nachtdreh. Interviews im Viertelstundentakt? Als "Tatort"-Schauspieler habe man eben "eine große Verantwortung dem Publikum gegenüber", sagt der Mann, der künftig als Kommissar Thorsten Falke im hochheiligen ARD-Sonntagskrimi ermittelt. "Feuer über Flottbek" heißt sein erster Fall, der seit dieser Woche in Hamburg gedreht wird, es geht um brennende Autos. Hauptrolle: Wotan Wilke Möhring - der große Lässige unter den deutschen Schauspielern. Und vielleicht der Einzige, der diese Lässigkeit nicht nur überzeugend spielt, sondern tatsächlich lebt.

Den Kommissar hat er oft gegeben in seiner Karriere, im ZDF-Krimi "Stralsund" etwa oder dem Drama "Zwölf Winter". Auf die Titelblätter geschafft hat er es damit nicht. "So sexy war Tatort noch nie" gratulierte die "Bild"-Zeitung in Großbuchstaben, als Möhrings Engagement bekannt wurde. Gefällt's ihm? "Das ist nicht meine Privatansicht, aber es gibt schlimmere Schlagzeilen", sagt Möhring, dessen Attraktivität fern ist von Samthaut, Sixpack und manikürten Fingernägeln. Es ist der Charme des Rebellen, des Underdogs, der ihn umweht. Grüne Augen, die auf dem Bildschirm je nach Rolle schalkhaft aufblitzen oder sich stumpf in Lebensmüdigkeit verlieren können, und eine Körperspannung, stets bereit zum Endspurt - das sind die Markenzeichen des 45 Jahre alten Schauspielers. "Wir haben explizit nach Testosteron gesucht", sagt NDR-Fernsehspielchef Christian Granderath über die Wahl Möhrings als neues "Tatort"-Familienmitglied.

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Wotan Wilke Möhring ist allgegenwärtig im deutschen Film. Wer sein Gesicht nicht kennt, dürfte die letzten Jahre auf einem sehr fernen Planeten verbracht oder den Fernseher auf den Dachboden entrümpelt haben. Neben ("Tatort"-Kumpan) Til Schweiger war er zuletzt im Kinoerfolg "Männerherzen" zu sehen, für den NDR hat er das mehrfach preisgekrönte Mobbingdrama "Homevideo" gedreht. Möhring spielt einen Vater, der mit ansehen muss, wie sein Sohn von Schulkameraden gedemütigt wird und daran schließlich zerbricht - und dass man die Tränen schwer zurückhalten konnte, war auch das Verdienst des Hauptdarstellers, der auf knapp hundert Rollen zurückblicken kann. "Ich muss mal nachrechnen, damit ich das Jubiläum nicht verpasse", sagt Möhring in einem Tonfall, dass klar ist: Zahlen, Einschaltquoten, vermutlich auch Gehaltssummen, sind allerhöchstens zweitrangig für ihn.

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Ein "Bauchmensch" sei er, der sich "die Perlen" heraussuche aus der Angebotsflut. Er hat Gewalttäter und Opfer gespielt, Kumpeljungs, Männer in der Midlife-Crisis und solche, die sich mutwillig ihrem Glück verschließen. Die Vielfalt in der Rollenwahl ist natürlich auch der Versuch, sich der Festlegung auf ein bestimmtes Image zu entziehen. Und die schon fast logische Folge aus einem Leben, das sich keiner Lebenslaufgeradlinigkeit unterordnen mag. Möhring war Punk und Fallschirmjäger bei der Bundeswehr, hat als Model und Türsteher gearbeitet. Heute ist er Familienvater, lebt mit Frau und zwei kleinen Kindern in Köln.

Mehr Bauchmensch als Stratege ist auch Kommissar Falke, der im ersten Fall von seinem langjährigen Partner - gespielt von Sebastian Schipper - für einen neuen Posten im Stich gelassen wird. Ist Falke ein Publikumsliebling? "Ich glaube schon. Er ist einer, dem Kameradschaft und Loyalität wichtig sind, auf den man sich verlassen kann", sagt Möhring, der skandinavische Krimis mag und auch als Zuschauer an der Kinokasse zwischen Arthouse und Popcorn-Filmen wechselt. Er ist kein Entweder-oder-Typ, vielmehr ein Mensch, der nach dem Drei-Gänge-Menü einen Nachschlag ordert, nach dem Motto: Einer geht noch. Wo es nach Qualität riecht im deutschen Fernsehen, ist Möhring gern mit dabei. Dabei ist er kein Träumer, sondern Realist: "Ein gutes Drehbuch verträgt auch ein schlechtes Team. Umgekehrt funktioniert es nicht. In diesem Fall sind Drehbuch und Team super." Klingt banal, stimmt aber trotzdem: Mit gutem Willen macht man noch keinen guten Film. Und Wotan Wilke Möhring hat mehr gute Filme gedreht, als andere Schauspieler Sätze gesprochen haben, zuletzt den Oscar-nominierten Kurzfilm "Raju" des Hamburgers Max Zähle.

Nach dem "Tatort"-Nachtdreh an der Elbe wird Möhring den ersten Zug um fünf Uhr früh Richtung Köln nehmen: Familienwochenende. Danach gleich wieder zurück nach Hamburg, das "eine Art zweite Heimat" für ihn geworden ist; "unfassbar viele Filme" habe er hier gedreht. Er könnte jetzt murren über zu wenig Schlaf, Pendelei und schlechtes Wetter. Aber er lächelt, immer noch. Ein blonder, mittelgroßer Mann in Turnschuhen. Sexy für die einen, einer der größten Schauspieler seiner Generation für die anderen. Und die "Tatort"-Anhänger dort draußen bekommen jetzt schon weiche Knie.