Das Abendblatt hat mit dem kanadischen Regisseur und Drehbuchautoren David Cronenberg über seinen neuen Film “Eine dunkle Begierde“ gesprochen.

Hamburg. Sein Name darf in keinem anständigen Filmlexikon unter C fehlen. David Cronenberg hat sich vor allem als Regisseur und Drehbuchautor , manchmal aber auch als Schauspieler einen Namen weit über Kanadas Grenzen hinaus gemacht. Oft bewegt sich der 68-Jährige im Horror-Genre, und in seinen Filmen wie „Die Fliege“, „Crash“, „Naked Luch“ oder „eXistenz“ trifft man immer wieder Menschen in psychischen oder physischen Grenzsituationen. Jetzt hat er einen Film über das Verhältnis von C.G. Jung zu Sigmund Freud gedreht, und die Frau zwischen beiden Männern: Sabina Spielrein . „Eine dunkle Begierde“ läuft derzeit in den Kinos.

abendblatt.de: Sie haben einige Szenen in Wien an den Originalschauplätzen gedreht. Warum war Ihnen das so wichtig? Sie hätten doch auch ins Studio gehen können.

David Cronenberg: Wir haben den Eingang zu Freuds Wohnung dort gedreht. Es schwierig gewesen, das nachzubauen. Zumal wir auch noch ankommende Pferdekutschen zeigen wollten. Auch das liebevoll ausgestattete Café Sperl mit seinem Marmor – das hätten wir uns gar nicht leisten können. Außerdem ist es aufregend, dort zu drehen, wo Freud tatsächlich entlanggegangen ist, zum Beispiel in den Belvedere-Gärten. Nichts sieht so aus wie dieser Garten mit seinen Sphinxen und so weiter. Freud hat sie detailgetreu beschrieben und gesagt, dass er einige seiner besten Ideen dort beim Spazierengehen bekommen hat. Es waren also diese beiden Gründe: Es war billiger und verband uns mit Freuds Leben.

abendblatt.de: Was halten Sie selbst von Freud, Jung und ihren Erkenntnissen?

David Cronenberg: Ich bin noch nie in der Psychoanalyse gewesen. Aber seit Jahrzehnten gehen die Leute eigentlich offen damit um, wenn sie sich dort behandeln lassen. Es geht dabei weniger um Verrücktheit als mehr um irgendwelche persönlichen Probleme. Ich habe gerade gelesen, dass die Freudsche Psychoanalyse gerade in China sehr populär ist. Mit dem Aufblühen der Mittelklasse, haben sie dort jetzt Zeit, Geld und den Raum, um über solche Dinge nachzudenken. Es gibt New Yorker Psychoanalytiker, die mitten in der Nacht mit ihren chinesischen Patienten skypen. Es ist schon lange her, dass Leute glaubten, man sei verrückt, wenn man zum Analytiker geht. Wenn man Probleme hat, würde man normalerweise mit seiner Ehefrau, seinem Vater oder seinen Kindern sprechen. Aber vielleicht sind sie das Problem. Wie kann man also mit ihnen sprechen? Man braucht jemanden, der nicht über einen urteilt. Das war Freuds Revolution. Er sagte, nimm einen neutralen Gesprächspartner, der kein persönliches Interesse an der Unterhaltung hat. Die Couch des Psychoanalytikers ist ein sicherer Ort, um zu sagen, was du willst. Du wirst nicht dafür bestraft oder erniedrigt. Die Burghölzli Klinik in Zürich, die man im Film sieht, war ein sehr fortschrittlicher Ort. Sie hatte zwar Mauern, war aber kein Gefängnis, stattdessen einen Garten. Vor Freud hat man dort den Patienten nicht zugehört, sie als verrückt abgetan. Freud forderte, man müsse ihnen zuhören, denn was sie erzählen ist der Schlüssel, um zu verstehen, was bei ihnen falsch läuft und um ihnen möglicherweise zu helfen.

abendblatt.de: In Ihren Filmen geht es häufiger um Menschen mit körperlichen oder mentalen Problemen. Habe Sie schon länger über einen Film mit Jung und Freud nachgedacht? Er erscheint folgerichtig.

David Cronenberg: Der erste Film, den ich überhaupt gedreht habe, war sieben Minuten lang und trug den Titel „Transfer“. Nur zwei Personen spielen darin mit: ein Psychiater und ein Patient. Als ich das Drama „The Talking Cure“ von Christopher Hampton gelesen habe, auf das dieser Film zurückgeht, fiel mir auf, dass ich schon seit langem einen Film über die Geburt der Psychoanalyse drehen wollte. Hier hatte ich eine dramatische Struktur und fand darin auch eine Person, von der ich noch nie etwas gehört hatte: Sabina Spielrein. Mit ihr machte der Film Sinn.

abendblatt.de: Hat sich Hampton genau an die Fakten gehalten, oder hat er sich dichterische Freiheiten erlaubt?

David Cronenberg: Freud hatte ein langes und komplexes Leben. Wie macht man daraus ein Drama? Durch eine künstlerische Vision. Christopher hat ungefähr neun historische Jahre in fünf Charakteren komprimiert. Daraus erweckt er die ganze Ära. Er war aber sehr akkurat. Die Dialoge stammen fast ausschließlich auf Tonaufnahmen oder Briefen, die sie einander schickten. Das Briefeschreiben hatte damals eine hohe Kultur. In Wien wurde pro Tag bis zu acht Mal die Post zugestellt. Wenn man morgens schrieb, konnte man abends eine Antwort erwarten. Fast wie bei einer E-Mail.

abendblatt.de: Könnten Sie sich vorstellen, eine romantische Komödie zu drehen?

David Cronenberg: Dies ist doch eine. Es wird an manchen Stellen gelacht. In fast allen meinen Filmen gibt es Humor. Und Freud hatte viel Sinn für Humor, er hat ja auch ein Buch darüber geschrieben.

abendblatt.de: Viggo Mortensen scheinen Sie besonders gern zu mögen. Sie haben ihn in Ihren letzten drei Filmen besetzt.

David Cronenberg: Das stimmt. Für mich war er der beste Freud. Wir wollten eine andere Vorstellung erwecken, als die eines alten, krebskranken Großvaters. Hier ist er 50 Jahre alt und auf der Höhe seiner Kraft. Lesen Sie Stefan Zweigs Buch „Die Welt von gestern“! Darin beschreibt er Freud als gutaussehend, männlich, charmant und charismatisch. Ich arbeite gern mit Viggo. Seitdem habe ich übrigens schon wieder einen neuen Film gedreht. Er heißt „Cosmopolis“, und Viggo spielt nicht mit.

abendblatt.de: Wie wichtig ist die Frage des Jüdischseins für Sie und in Hamptons Stück?

David Cronenberg: Ich habe mich nie davon abgewandt. Mein Jüdischsein ist sehr säkular. Ich bin ein Atheist. Freud ging es ähnlich. Als das Festival in Cannes seinen 60. Geburtstag feierte, wurde ich gebeten, einen Kurzfilm beizusteuern. Er heißt „Der Selbstmord des letzten Juden der Welt im letzten Kino der Welt“. Damit habe ich mich damals selbst überrascht.

Eine dunkle Begierde D/CAN/GB/CH 2011, 100 Min., ab 16 J., R: David Cronenberg, D: Michael Fassbender, Keira Knightley, Viggo Mortensen, täglich im Koralle, Passage, UCI Mundsburg, Zeise; http://movies.universal-pictures-international-germany.de/einedunklebegierde/