Tätowierungen als Echtheitszertifikat: In dem Film “Tödliche Versprechen“ spielen die geheimen Botschaften der Russenmafia eine wichtige Rolle.

Hamburg. Kein Filmlexikon, das etwas auf sich hält, kann unter dem Buchstaben C auf einen Eintrag zum Thema Cronenberg, David, verzichten. Visionär, verstörend und provokativ sind viele seiner Filme. Da werden Körper verunstaltet und albtraumartige Bilder geschaffen. Lange war der 1943 geborene Kanadier ("Die Fliege", "Naked Lunch", "Crash") ein Protagonist des Horrorfilm-Genres. In seinem Spätwerk setzt er etwas andere Akzente. "Tödliche Versprechen" spielt in den Kreisen der Russenmafia in London.

ABENDBLATT: Wie gefährlich war das Thema?

DAVID CRONENBERG: Es war faszinierend und komplex. Russland ist ein faszinierendes Land und London eine komplexe Stadt. Drehbuchautoren recherchieren normalerweise nicht sehr tief, weil man die Ergebnisse doch nicht so detailliert ins Drehbuch einarbeiten kann. Bei den nächsten Fassungen habe ich mit dem Autor zusammengearbeitet und selbst recherchiert. Auch Viggo Mortensen hat das getan. Wir haben dann noch viele Dinge entdeckt, die das Drehbuch verändert haben. Der Text basierte zwar auf tatsächlichen Menschen und Ereignissen. Aber die haben wir dann schnell hinter uns gelassen.

ABENDBLATT: Tätowierungen spielen im Film eine große Rolle. Die Idee dazu hat Viggo Mortensen selbst eingebracht?

CRONENBERG: Sie wurden im Drehbuch erwähnt, aber nur oberflächlich. Stellen Sie sich einmal vor, Sie wären ein Schauspieler. Sein Körper ist sein Instrument. Deshalb sind Schauspieler auch immer so besorgt um ihr Haar, ihr Make-up, ihre Kostüme, alles, was mit ihrem Körper zu tun hat, weil das die Art beeinflusst, wie sie spielen. Als er gelesen hat, er würde viele Tattoos tragen, hat er sich gefragt, wie viele sind es, wo sind sie angebracht, wie sehen sie aus? Also hat er sich selbst darum gekümmert, weil er ein sehr gründlicher Schauspieler ist. Er hat dann das Buch gefunden, das "Russian Criminal Tattoo" heißt, und eine Dokumentation mit dem Titel "Das Kainsmal", die einer seiner Freunde im Hochsicherheitstrakt russischer Gefängnisse gedreht hat. Beide dienten als Quelle der subkulturellen Tattoos, die bis zur Geschichte des Zarenreichs zurückgeht. Es ist eine Geschichte der Identifizierung, damit Leute einander erkennen und vertrauen können. Man existiert dort im Gefängnis nicht, wenn man keine Tätowierungen hat. Das geht nach der Gefängnisstrafe weiter. Es ist eine Art Zertifikat, dass man tatsächlich ein Krimineller ist, der im Gefängnis gesessen hat und dem andere Kriminelle vertrauen können.

ABENDBLATT: Die Kampfszene im Dampfbad, in der man alle Tätowierungen am nackten Mortensen sehen kann, erinnert sehr an die Körperlichkeit in Ihren alten Filmen.

CRONENBERG: Über solche Dinge denke ich nicht nach. Manchmal muss ich Kritiker daran erinnern, ihren Denkprozess nicht mit meinem zu verwechseln. Als Kreativer hilft mir das überhaupt nicht. Stellen Sie sich mal vor, wie es ist, wenn ich am Film-Set bin. Ich denke über die Beleuchtung, die Einstellung, den Dialog, die Leute, die Kostüme nach. Was hilft es mir da, dass es Ähnlichkeiten mit einem Film gibt, den ich vor 30 Jahren gedreht habe? Gar nichts! Also denke ich nicht darüber nach. Wenn ich einen Film drehe, habe ich keine Checkliste, der Dinge, die typisch für mich sind, die ich abhake.

ABENDBLATT: Haben Sie sich nicht gewundert, dass ausgerechnet als Sie in London drehten, der russische Ex-Spion Litwinenko vergiftet wurde?

CRONENBERG: Als wir mit den Dreharbeiten begannen, war die Sache mit den russischen Gangstern in London noch sehr obskur. Am Ende war sie jeden Tag weltweit eine Titelgeschichte. Es passierte alles sehr nah bei uns. Gar nicht weit weg war ein Gebäude, das dem Oligarchen Boris Beresowski gehört. Wir sind jeden Tag daran vorbeigegangen, ohne von der russischen Verbindung zu wissen. Eines Tages sahen wir dort Polizisten im Kampfanzug und einen forensischen Van. Sie haben dort Spuren der Poloniumvergiftung gefunden. Es passierte alles um uns herum und hat aber nicht den Film verändert. Weil wir Verrückte sind, fanden wir das aber aufregend, weil wir zufällig einen Film über etwas drehten, das gerade sehr potent war.

ABENDBLATT: Haben sich die russischen Gangster in London bei Ihnen gemeldet?

CRONENBERG: Nein. Wir haben aber gehört, dass russischen Kriminellen in Russland unser Film gefällt. Es macht ihnen nichts aus, als Kriminelle porträtiert zu werden, denn das sind sie ja. Sie wollen aber akkurat dargestellt und nicht lächerlich gemacht werden. (Er muss wieder heftig niesen.) Aber die Russen haben mich vergiftet, deshalb habe ich jetzt diese Erkältung.

ABENDBLATT: Ihre Filme, sagten Sie, seien auf halbem Weg zwischen Amerika und Europa. Sind sie jetzt ganz hier angekommen?

CRONENBERG: Nein, so ungewöhnlich ist es für mich gar nicht, es fühlt sich jedenfalls nicht wie ein großer Unterschied an. Jedenfalls nicht, was die Kreativität angeht. Ich fühle mich hier sehr wohl, spreche Französisch, etwas Deutsch, ein bisschen Italienisch. Ich fühle mich in Europa sehr zu Hause. Das Verhältnis von Kanada zu England ist ganz anders als das der USA zu England. Bei uns gab es keine Revolution. Wir haben die Queen noch immer auf unserem Geld abgebildet. In Kanada fühlt man sich wohl generell Europa näher, als die Amerikaner es tun.

ABENDBLATT: Sie haben mal gesagt, Sie wollten in Zukunft Filme drehen, die weniger "cronenbergsch" seien. Geht das überhaupt?

CRONENBERG: Nein. Fans meiner frühen Horrorfilme möchten zwar, dass ich so weitermache. Sogar Guillermo del Toro, der ein guter Freund ist, möchte das. Aber ich hab sie ja nun schon gemacht und bin nicht mehr daran interessiert, immer dasselbe zu machen. Ich will mich selbst unterhalten. Wenn ich gelangweilt bin, wird es auch für meine Zuschauer langweilig.