Hamburg. Beunruhigend. Dieses Adjektiv zählt zu den am häufigsten verwendeten, wenn die Wirkung der Filme von David Cronenberg beschrieben wird. Der Kanadier hat sich zuerst mit düsteren, aber sehr fantasievollen Horrorfilmen einen Namen gemacht. Zu seinen bekanntesten und dabei immer umstrittenen Werken zählen "Naked Lunch", "Die Unzertrennlichen", "Crash" und das Remake von "Die Fliege". Gestern erhielt der 64-Jährige den Douglas-Sirk-Preis des Filmfests Hamburg, und er stellte seinen Film "Tödliche Versprechen - Eastern Promises" vor.

Bevor man Cronenberg gestern zu sehen bekam, konnte man ihn schon hören. Erkältungsgeräusche. Tatsächlich saß er hinter einem großen Berg Kleenex-Tücher, der während des Gesprächs auf beachtliche Ausmaße anwuchs. Mehrfach musste er sich den Weg freihusten. Wie schön. dass er sich trotzdem die Mühe machte!

In "Tödliche Versprechen - Eastern Promises" geht es um die Machenschaften der russischen Verbrecherorganisation Vory v Zakone (in etwa: Diebe im Recht), die in London auf rücksichtslose Art Menschenhandel betreibt. In der internationalen Besetzung spielen Viggo Mortensen, Naomi Watts und Armin Mueller-Stahl. Während der Dreharbeiten in London bekam dessen britisch-russische Thematik plötzlich eine erstaunliche Aktualität. Der ehemalige KGB-Agent Alexander Litwinenko wurde hier auf mysteriöse Weise durch eine hohe Dosis des radioaktiven Poloniums vergiftet und starb. Die Sushi-Bar, in der sich der Anschlag auf ihn ereignet haben soll, war in unmittelbarer Umgebung der Dreharbeiten. Cronenberg und sein Team waren erstaunt. Mittlerweile hätten die russischen Vory-Mitglieder "Tödliche Versprechen" auch schon gesehen und den Daumen gehoben. "Sie haben nichts dagegen, wenn man sie darstellt. Sie mögen es nur nicht, wenn man sie nicht ernst nimmt", sagt er - und muss wieder niesen. "Die Russen haben mich mit Erkältungsviren infiziert", ulkt er.

Cronenberg wird übrigens auch von Kollegen immer mal wieder bedrängt, er möge so krasse Horrorfilme machen wie zu Beginn seiner Karriere. Aber das ist mittlerweile 30 Jahre her, und "ich habe solche Filme ja schon gemacht und möchte mich mit meiner Arbeit ja auch selbst überraschen", meinte er.

Das hat er gerade vor. Heute fliegt er nach Paris und beginnt dort mit den Proben für seine erste Oper. Im kommenden Jahr wird er sie zur Musik von Howard Shore im Theatre du Chatelet inszenieren. Ein Kinomann auf ganz neuen Wegen? Auch seine Kollegen Ingmar Bergman, Doris Dörrie und Patrice Chereau haben Opern inszeniert. Völliges Neuland ist die Arbeit auch für Cronenberg nicht, denn der Stoff ist ihm nur zu gut bekannt. Als Vorlage dient sein eigener Film "Die Fliege". Dennoch überrascht er mit einem Geständnis: "Ich habe Angst", bekannte er. Wie bitte? Der Meister des Horrors und Schöpfer vom Kino-Albträumen, der Fragen, ob er selbst schlecht schlafe, bisher stets verneinte, hat weiche Knie angesichts dieser neuen Aufgabe? Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.

Wenn es in Paris nicht klappen sollte, hat auch ein Verlag schon angefragt, ob er nicht einen Roman schreiben wolle. "Das ist eine Versuchung", gibt er zu. "Aber ein Roman kostet viel Zeit, und in der Zeit kann ich keinen Film machen." Aber dann kommt er auf eine Lösung: "Wie wäre es, wenn ich einen Roman schreiben und den selbst verfilmen würde?" Klingt gut.