Paris ist nicht nur die Stadt der Liebe, sondern auch die Stadt der Liebe zur Fotografie. Die Deichtorhallen zeigen eine faszinierende Schau.
Hamburg. In der Regel gehen Ausstellungen über Bücher schief. Bücher verlangen danach, in die Hand genommen und durchgeblättert zu werden. Wenn man sie nur in Vitrinen betrachten kann, fehlt das haptische Erlebnis. Darauf muss man auch in der Ausstellung "Eyes on Paris - Paris im Fotobuch" verzichten, die ab heute in den Deichtorhallen gezeigt wird. Dass diese Schau trotzdem kein bisschen langweilig, sondern ausgesprochen faszinierend ist, liegt vor allem am Thema.
Über keine andere Stadt der Welt wurden so viele Bücher und Bildbände veröffentlicht wie über die französische Metropole. Paris ist nicht nur die Stadt der Liebe, sondern auch die Stadt der Liebe zur Fotografie. Seit dieses Medium 1839 in Paris der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, ist die Stadt selbst Fotomotiv. Schon die Pioniere der Fotografie streiften durch die Stadtteile, fotografierten die berühmten Panoramen, die bekannten Bauwerke. Aber auch Alltagsszenen, Menschen bei der Arbeit, Begegnungen in Cafés, das Nachtleben und den Rhythmus einer Millionenstadt, die reich an Klischees ist, die sich aber manchmal als erstaunlich real erweist. Seit dem letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts gibt es fotografische Bücher über Paris, Bände, in denen Fotografen versucht haben, sich ihr Bild von der Stadt zu machen, indem sie Bild an Bild reihten, Abfolgen dramaturgisch in Szene setzten und Serien schufen. Diese Serien, die jeweils eine ganz spezifische künstlerische und oft auch sehr persönliche Sicht der Stadt ergeben, sind der Ausgangspunkt der Ausstellung, in der der Publizist, Fotoexperte und Sammler Hans-Michael Koetzle sowie Deichtorhallen-Kurator Ingo Taubhorn etwa 400 Werke von 1890 bis zur Gegenwart präsentieren. "Wie kann ein Buch, das im Zweifel handtellergroß ist, sich in einer Ausstellung entfalten?", fragt Koetzle und gibt selbst die Antwort, indem er das Ausstellungskonzept als Dialog beschreibt. Als Korrespondenz von Büchern und Bildserien, die die Idee des jeweiligen Buches erkennbar werden lassen.
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Dabei geht es immer gleichzeitig um das Medium und das Motiv, darum, wie aus Bilderfolgen ein Buch wird und wie dieses schließlich die Stadt dokumentiert oder verklärt, künstlerisch deutet oder sich experimentell zunutze macht, kritisch beleuchtet oder fasziniert feiert. Die Ausstellung ist chronologisch aufgebaut, zeigt weltberühmte Fotografen wie Brassai, Robert Doisneau, Lucien Hervé, André Kertész, Andreas Gursky und Candida Höfer.
Oft begegnen uns unerwartete Motive, etwa wenn Emmanuel Boudot-Lamotte 1942 die von der Wehrmacht besetzte Stadt friedvoll und idyllisch zeigt, während der Besatzungsalltag in den Bildern von Roger Schall 1944 drastisch sichtbar wird.
Einen städtebaulichen Skandal hat Jean Claude Gautrand im August 1972 dokumentiert, als die Behörden, während die meisten Pariser im Urlaub waren, klammheimlich die berühmten Hallen abreißen ließen. Er überwand alle Absperrungen, Zäune und Gatter, täuschte die Polizei und hielt in beklemmenden Bildern fest, wie die großartige Hallenarchitektur in Schutt und Asche sank - eine Bildfolge als Protesterklärung, die Gautrand wenig später als Buch veröffentlichte.
Doch trotz ihres systematischen Aufbaus lädt die Schau eher zum Flanieren ein. Immer wieder stößt man dabei auf erstaunliche Bücher, wie zum Beispiel den 1961 erschienenen Band "Farbiges Paris" von Peter Cornelius. Der Kieler Fotograf brach damals ein Tabu, indem er der Stadt, die bis dahin stets als monochrom gegolten hatte, Farbe gab und sie damit gegenwärtiger erscheinen ließ. Oder man stößt auf das wohl kostbarste und rarste Paris-Buch überhaupt, dessen einzig erhaltenes Exemplar durch eine glückliche Fügung jetzt in Hamburg gezeigt werden kann.
Zum Programm: Filme, Vorträge, Führungen und Workshops
Es ist "Paris et la Seine" von Shinzo Fukuhara. 1913 war der begeisterte Kunstfotograf, der die väterliche Apotheke in Tokio zu einer modernen Kosmetikfirma ausbaute, durch Europa gereist. In Paris fotografierte er damals etwa 2000 Motive, die er anschließend erst einmal für fast zehn Jahre vergaß. Erst 1922 erschien der Band in einer Auflage von 300 Exemplaren im Eigenverlag, kam aber nicht in den Verkauf. Fukuhara verschickte einige Exemplare an Künstlerfreunde, lagerte den Rest jedoch auf einem Dachboden. Dort wurden die Bücher, die Druckplatten und die Negative des ersten japanischen Fotobuchs beim Großen Kanto-Erdbeben am 1. September 1923 in Tokio vernichtet. Heute ist nur ein einziges Original-Exemplar bekannt; es befindet sich im Besitz des weltbekannten japanischen Kosmetikkonzerns Shiseido. "Wir freuen uns, dass Shinzo Fukuharas fotografisches Werk nun auch erstmals in Deutschland im Rahmen einer Ausstellung gewürdigt wird", erklärte die Firma, die den Ausstellungsmachern das kostbare Buch auf unbürokratische Weise zur Verfügung gestellt hat.
Die Kuratoren machten aber auch andere Erfahrungen. "Nicht ein französisches Museum hat uns Leihgaben überlassen, und zwar aus einem einzigen Grund: Wir hätten die Kosten, die international damit inzwischen verbunden sind, schlicht nicht bezahlen können", sagt Ingo Taubhorn. Dafür zeigten sich viele Fotografen und Sammler bereit, Fotobücher und Vintage-Prints für das Hamburger Projekt zur Verfügung zu stellen, das freilich ohne die jahrzehntelange leidenschaftliche Sammeltätigkeit von Hans-Michael Koetzle niemals zustande gekommen wäre.
Deichtorhallen, Haus der Photographie Deichtorstraße 1-2, bis 8. Januar 2012, Di-So 11.00-18.00, jeden 1. Do im Monat 11.00-21.00