Deutschland im Royalty-TV-Wahn: Sechs Sender, darunter ARD und ZDF, berichten live von der Hochzeit von Kate und William in London.
Hamburg. 5,25 Sekunden waren der Rekord. So lange soll der Hochzeitskuss von Máxima und Willem Alexander der Niederlande gedauert haben. Nur 0,4 Sekunden drückten dagegen Charles und Diana ihre Lippen aufeinander. Wie lange der offizielle Hochzeitskuss von Kate und William am 29. April in London dauern wird, weiß man natürlich noch nicht. Dafür wann und wo es passieren wird: Um exakt 13.25 Uhr Ortszeit ist der Kuss auf dem Balkon des Buckingham Palace eingeplant. So steht es auf den Ablaufplänen der rund 8000 akkreditierten Journalisten, die in London erwartet werden. Royalty-TV-Wahnsinn statt intimer Romantik: Hunderte Kameras werden auf das Paar gerichtet sein, auf YouTube gibt es eine Liveübertragung. Mehr als zwei Milliarden Menschen weltweit werden vor den TV-Geräten sitzen. Alleine für das deutsche Fernsehen übertragen ARD, ZDF, Sat.1, RTL, N24 und n-tv live - und gleichzeitig. Die Frage sei erlaubt: Geht's noch?
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Es scheint kaum möglich, am kommenden Freitag von der royalen Kitschposse medial verschont zu bleiben. Die Diskussion um Verschwendung von Gebührengeldern ist längst in vollem Gange: Müssen ARD und ZDF von 9 bis 15 Uhr wirklich parallel berichten? Mehr als sechs Stunden lang? Noch dazu, wenn auch die Privaten stundenlang draufhalten? Ja, sagt ZDF-Chefredakteur Peter Frey in einem Interview: "Das ist ein Ereignis von zu hohem journalistischen Wert und Publikumsinteresse, um dem ZDF-Publikum die in langen Jahren aufgebaute Erfahrung unserer Royal-Experten vorzuenthalten." Die Hochzeit von Kate und William fällt bei den Öffentlich-Rechtlichen in die Kategorie A, die ARD-Chefredakteur Thomas Baumann und der damalige ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender vor vier Jahren festgelegt haben: Krönungen, Hochzeiten und Beerdigungen in den englischen, niederländischen, schwedischen und spanischen Königshäusern dürfen demnach von ARD und ZDF wegen des überragenden Publikumsinteresses parallel übertragen werden.
Nicht nur mancher Gebührenzahler ist zerknirscht. Kritik gibt es auch von der privaten Konkurrenz: RTL-Chefredakteur Peter Klöppel ist der Meinung, ARD und ZDF sollten das Geld, das die Übertragung kostet, besser ins Programm investieren, als parallel zu senden. Dabei besteht die RTL-Crew, die nach London reist, selbst aus mehr als 50 Mitarbeitern. Und das Ausmaß, in dem Mitbewerber Sat.1 berichtet, sei "einzigartig in der Sendergeschichte", so eine Sprecherin. "90 Mitarbeiter, fünf Moderatoren und zwei Studios sind an diesem Tag für unseren Sender im Einsatz. Royale Experten und Gäste begleiten die Hochzeit über 750 Minuten live aus London und Berlin."
Martin Gartzke vom federführenden NDR hat eine beschwichtigende Antwort: "Konkurrenzlos günstig" seien die Produktionskosten der ARD. Durch die kostenlose Zulieferung der Bilder durch die Sendeanstalt BBC sei die Übertragung deutlich günstiger, als wenn der Sender beispielsweise eine Telenovela ausstrahle. Lediglich ein dreiköpfiges Redaktionsteam aus Hamburg sowie das Moderationsteam werde nach London reisen, so Gartzke. Das ZDF, das im vergangenen Jahr ganze 70 Mitarbeiter nach Stockholm zur Trauung von Victoria von Schweden entsandte, will in diesem Jahr keine Zahlen kommentieren.
Die Quotenauswertung der Schweden-Hochzeit im vergangenen Jahr hat gezeigt, dass royale Eheschließungen sogar mehr Zuschauer interessieren als die Fußball-WM. Klar, dass jeder etwas vom Hochzeitskuchen abhaben will. Dreimal so viele Journalisten als in Stockholm sind in diesem Jahr in London akkreditiert. In Deutschland wird es darauf ankommen, wie sich die jeweiligen Sender voneinander unterscheiden. Während die ARD unter anderem mit Adelsexperten-Urgestein Rolf Seelmann-Eggebert und Barbara Schöneberger als rasende Reporterin aufwartet und das ZDF Moderatorin Karen Webb und Reporterin Andrea Kiewel ins Rennen schickt, scheinen die privaten Sender auf die jungen Zuschauer abzuzielen. So werden für RTL beispielsweise der ehemalige "Germany's next Topmodel"-Juror Bruce Darnell und Dschungelcamp-Gewinner Ross Antony aus London berichten.