Die letzte bauliche Erneuerung liegt schon 25 Jahre zurück. Jetzt erschweren Mängel an allen Ecken und Enden den Betrieb hinter den Kulissen.
Hamburg. Manchmal muss man jemandem wehtun, damit er schreit. Merkwürdigerweise gilt das nicht nur für Menschen, sondern auch für Maschinen, ganz unlebendige Gegenstände oder Institutionen. Wie beispielsweise das Schauspielhaus. Das immerhin ist nicht nur eine in Stein gehauene Institution, sondern ein Theater. In dem soll bekanntlich das Leben toben oder sich widerspiegeln. In jedem Fall soll es dort lebhaft zugehen. Und schließlich wird es ja auch von Menschen gemacht, ist also in Wahrheit etwas höchst Lebendiges.
Am Deutschen Schauspielhaus schreien sie jetzt also. Nicht laut, aber vernehmlich. Und eben nur, nachdem man ihnen auf die Füße getreten ist. Erst kürzlich hatten wir uns beschwert, dass es im Schauspielhaus zu viele Schließtage gibt, an denen nicht gespielt wird, dass zu viele Fremdvermietungen dort stattfinden, Gitarrenkonzerte, Lesungen, Feiern. Wo bleibt das Theaterprogramm, fragten wir. Wann kann man da noch Inszenierungen sehen, die auf- und anregen? "Immerzu", rufen sie nun lautstark zurück, "aber wir können gar nicht all das zeigen, was wir zeigen wollen, weil unser Theater marode ist. Kaputt in der Untermaschinerie, der Obermaschinerie, der Drehbühne, den Zügen und Aufzügen." Eigentlich ächzt und knarzt es überall in dem 1900 eröffneten Haus, das zuletzt vor 25 Jahren baulich erneuert worden ist. Und man habe ein Gutachten, bereits seit fast vier Jahren, das dies alles auflistet. Wie bitte? Warum hat denn keiner etwas davon gesagt?
"Seit Ende November 2005 liegt uns ein Gutachten vor, das besagt, dass das Deutsche Schauspielhaus einen Sanierungsbedarf von mehr als 30 Millionen Euro hat", sagt Schauspielhaus-Intendant Friedrich Schirmer. "Dazu gehört die Sanierung der Obermaschinerie, die uns sonst stillgelegt werden wird, mit der Erweiterung des Bühnenturms, die ungefähr elf Millionen Euro kosten wird, sowie der allgemeine Sanierungsbedarf des Hauses." Jack Kurfess, kaufmännischer Direktor des Deutschen Schauspielhauses, ergänzt: "Die Preise sind inzwischen gestiegen, der Geldwert ist weniger geworden. Man kann also derzeit von 35 Millionen für die Sanierungskosten ausgehen." Um die Altersschäden vorzuführen, laden Friedrich Schirmer, Jack Kurfess und der technische Direktor des Schauspielhauses, Hans-Joachim Rau, zu einem Rundgang durchs Theater ein.
Es ist immer ein besonderes Erlebnis, von der großen Bühne in den rot-plüschigen, puttenbestückten Zuschauerraum zu blicken. Ebenso besonders ist es, auf einer winzigen Treppe hinab zur Unterbühne zu kraxeln, um dort einen Blick auf den Mechanismus der Drehbühne zu werfen. 1960 wurde sie eingebaut, vor 15 Jahren sind die Eingeweide erneuert worden, jetzt ist sie marode. Die Elektronik ist veraltet, neue Bauteile sind nichtmehr verfügbar und müssen kostspielig nachgebaut werden. Die 32 Radlager der Achsen sind überlastet, inzwischen müssen sie alle acht Jahre ausgetauscht werden. Jedes Einzelne kostet 8000 Euro.
Beim Rundgang durchs Theater kann man sich davon überzeugen, dass die 1984 erneuerte Obermaschinerie aus dem letzten Loch pfeift, dass vielerorts mit handwerklichen Eigenkreationen aus Ketten, Gurten oder Bolzen dem komplizierten Räderwerk nachgeholfen wurde. Die Fahrbewegungen sind nicht ruckfrei, komplexe Abläufe nicht programmierbar. So jedenfalls kann man bühnentechnisch wohl nicht mehr modern arbeiten. Andere Theater haben ähnliche Anlagen längst ausgetauscht.
Wir klettern endlose Gänge und Treppen hoch, direkt unters Bühnendach. Dort sind die Züge der Obermaschinerie installiert. Neben dem verwirrenden Eisengestänge sind auch hier selbst fabrizierte Zwischengurte angebracht, die der Technik auf die Beine helfen sollen. Es sieht eher aus wie in einem Marionettentheater, links und rechts von der Bühnenmitte ist es so eng, dass man weder stehen noch arbeiten kann. Schlimmstenfalls würden wohl gravierende Sicherheitsmängel zur Stilllegung des Betriebes führen. Aber so weit ist es noch nicht. Auf dem Weg zurück, hinunter auf die Bühne, fällt auf, dass dort kaum Seitenflächen zur Verfügung stehen. Für Kulissen, die angeliefert werden, ist der Zugang zu eng. Der Lkw, der die Kulissen aus dem Lager anliefert, hat in der Einfahrt kaum Platz.
"Vieles, was am Theater heute künstlerisch machbar wäre, können wir gar nicht zeigen. Unser Theater ist eine umbaute Zuschauerkathedrale", sagt Friedrich Schirmer. "Wir haben sehr viel Zuschauerraum und im Verhältnis dazu sehr wenig Bühnenraum. Das größte deutsche Sprechtheater hat im Vergleich zu anderen deutschen Theatern die kleinste Bühnenfläche."
1962 wurde das Theater umgebaut, die Bühne durch Einbeziehung der Hinterbühne erweitert. Daraus ergaben sich ungünstige Proportionen und Sichtbedingungen für die Zuschauer. Man hätte die Bühnenfläche erweitern können, hat es aber unterlassen. Stattdessen wurde ein Parkhaus gebaut. Selbst der Hamburger Rechnungshof attestierte dem Schauspielhaus, dass die Abwägung der Interessen der Baubehörde (Schaffung von Stellplätzen) und der Kulturbehörde (notwendige Flächenerweiterung für das Schauspielhaus) "einseitig zugunsten des Parkhauses verlaufen ist. Für das größte Sprechtheater der Bundesrepublik war dies die letzte Möglichkeit, seine für einen wirtschaftlichen Spielbetrieb notwendigen baulichen Erweiterungen zu realisieren."
Durch die schwierigen technischen und räumlichen Verhältnisse dauern die Um- und Aufbauten sehr lange. "Wir können auf der Hinterbühne nichts lagern, um- oder vorbauen", erklärt der Intendant. "Auch deshalb entstehen Schließtage. Wir würden jetzt gerne die Proportionen verbessern, den Bühnenturm sowie die Bühne von 13 auf 21 Meter erweitern."
Alle Pläne jedoch bleiben Zukunftsmusik, der Senat hat noch kein Geld für den Umbau bewilligt. Friedrich Schirmer sagt, dass das Schauspielhaus ihm permanent alles abverlangen würde. Dieses größte deutsche Sprechtheater sei nun mal ein Ort der Unruhe.
Zwischen 1985 und heute habe es zum Beispiel am Thalia-Theater nur zwei Intendanten und einen kaufmännischen Direktor gegeben. Am Schauspielhaus hat in derselben Zeit sechsmal die Mannschaft gewechselt. Die Zuwendungen hätten sich nur unwesentlich erhöht, von 18,6 auf 19,08 Millionen Euro, dagegen sind die Personalaufwendungen von 15 Millionen auf 17,5 Millionen Euro gestiegen.
Der Gesamtetat beträgt 23 Millionen Euro. Nur etwa zwölf Prozent bleiben davon für die Kunst übrig. Gut 300 Mitarbeiter arbeiten am Schauspielhaus. Womit also Geld verdienen? "Schließtage und Fremdvermietungen sind nicht von uns erfunden worden. Das gab es auch unter vorherigen Intendanten, aus guten Gründen", sagt Schirmer. "Wir sind auf gutem Weg", sagt der Intendant, "wir sind jetzt zum zweiten Mal in Folge zum Theatertreffen eingeladen, haben steigende Besucherzahlen."
Knapp 170 000 Zuschauer kamen in der vergangenen Spielzeit zu Eigenproduktionen ins Schauspielhaus. Das ist wenig, im Vergleich zu Frank Baumbauers bester Spielzeit, die 235 000 Besucher verzeichnete, aber ganz gut im Vergleich zu Tom Strombergs Intendantenzeit, in der es zwischen 103 000 und 168 000 Zuschauer gab.
"Diese Spielzeit läuft gut", sagen die beiden Direktoren. "Wir haben mit "Harper Regan", "Kabale und Liebe", "Marat", "Zigeunerjunge" und "Dorfpunks" gut gehende Abende. Warum aber ist die Außenwahrnehmung vielfach anders? Warum gelten die Inszenierungen als mittelgut? Am Missverhältnis zwischen Vergütungen für Angestellte und Gagen für Künstler, die in den letzten Jahren immer weiter auseinandergeklafft haben, kann es nicht liegen. Kurz gesagt, die Schauspieler, diejenigen also, die Zuschauer ins Theater locken, verdienen immer weniger.
Durchschnittlich sind die Gagen um 700 Euro gefallen. Es liegt daran, dass das Ensemble immer kleiner wurde - von einst 40 auf 28 - und die Darsteller immer jünger. Das ist an anderen deutschen Bühnen ebenso Praxis, um zu sparen. Immer weniger Geld bleibt für die Kunst. Mieten, Gehälter, Betriebskosten werden teurer. Ebenso die Vergütungen des nicht künstlerischen Personals, das an Tariferhöhungen für den öffentlichen Dienst partizipiert. Diese Vergütungen sind im Vergleichszeitraum um 1500 Euro gestiegen. "Mitdem Betrag, der uns für die Kunst übrig bleibt", so Schirmer, "sind wir vergleichsweise eines der ärmsten Theater in Deutschland."
"Gründgens, Nagel und Baumbauer haben als Intendanten hier Maßstäbe gesetzt", sagt Schirmer. "Wir wollen versuchen, dies mit weniger Mitteln auch zu tun."