Die Schriftstellerin Olga Grjasnowa war elf Jahre, als sie Aserbaidschan verließ. Im Abendblatt spricht sie über den Eurovision Song Contest in Baku.
Olga Grjasnowa, 27, gilt als eines der größten Erzähltalente in der deutschsprachigen Literatur. Ihr im Frühjahr veröffentlichtes Debüt "Der Russe ist einer, der Birken liebt" wurde vielerorts gelobt. Die Wahlberlinerin Grjasnowa wurde in Baku geboren und wuchs auch dort auf, ehe sie mit ihrer Familie nach Deutschland emigrierte.
In Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans, findet am 26. Mai der 57. Eurovision Song Contest (ESC) statt. Viele sehen die Austragung des größten europäischen Musikwettbewerbs kritisch: In Aserbaidschan kommt es regelmäßig zu Menschenrechtsverletzungen, Journalisten werden verfolgt, erst im November vergangenen Jahres wurde Rafik Tagi erstochen. Er war Mitarbeiter der Zeitung "Sanat" und galt als Kritiker von religiösem Fanatismus und eines radikalen Islam. Auf dem Korruptionsindex von Transparency International steht das Land auf Platz 143 von 183 Staaten.
Der Westen behauptet, Präsident Ilcham Alijew wolle den ESC zu Propagandazwecken missbrauchen. Für einen Imagewandel soll das Event auf jeden Fall sorgen. Das treibt mitunter seltsame Blüten: Im Fernsehen sind Sendungen zu sehen, die die aserbaidschanischen Männer auffordern, während des ESC auf das Tragen von weißen Tennissocken zu verzichten. Olga Grjasnowa selbst erhielt über Facebook jede Menge Glückwünsche, als Aserbaidschan den letzten ESC gewann. Spätestens da war ihre persönliche Herkunftsgeschichte die längste Zeit privat gewesen.
Hamburger Abendblatt: Frau Grjasnowa, Sie verließen Baku im Alter von elf Jahren. Wann waren Sie das letzte Mal in Ihrer Geburtsstadt?
Olga Grjasnowa: Das war im vergangenen August. Ich war zum ersten Mal da, seit meine Familie nach Deutschland umgesiedelt ist. Es war wichtig für mich, dort für meinen Roman zu recherchieren. Ich war auch in Georgien und Armenien. Aus den Nachrichten und aus Erzählungen wusste ich sowieso schon: Aserbaidschan verändert sich rasend schnell. Es ist ganz anders als das Land, das ich verlassen habe. Trotzdem war es schön, zurückzukehren.
War das Land damals schon im Eurovision-Song-Contest-Fieber?
Grjasnowa: Die Leute waren auf jeden Fall euphorisch - ganz gleich, ob ihnen persönlich die neue Prominenz Aserbaidschans nun etwas bringt oder nicht. Plötzlich steht Aserbaidschan im Mittelpunkt der europäischen Öffentlichkeit, und das nicht - wie sonst immer - wegen eines Krieges. Es werden große Bauten hochgezogen, es fahren neuerdings Taxis, die aussehen wie die in London. Und diejenigen, die wegen der Veranstaltung Arbeit finden, profitieren auch. Ich bin gespannt, wie die Stimmung in Baku sein wird.
Viele ausländische Berichterstatter schauen kritisch auf Baku, weil sie kein Fest der Toleranz erwarten. Der ESC ist bei Schwulen und Lesben ja traditionell sehr beliebt.
Grjasnowa: Die aserbaidschanische Gesellschaft ist zutiefst homophob. Das wird sich auch nicht so bald ändern, allerdings denke ich nicht, dass es in den Tagen des ESC zu homophoben Angriffen kommen wird. Zumindest bei den Touristen wird man sich zurückhalten.
Man hört, die Präsidentengattin höchstselbst helfe bei der Organisation ...
Grjasnowa: Ja, sie hilft bei den Vorbereitungen, aber was genau sie macht, das weiß wahrscheinlich nur sie selber.
Sie fahren zum ESC?
Grjasnowa: Ja. Alles an diesem ESC ist politisch, und mich interessiert die Inszenierung. Vor allem, da Armenien die Teilnahme abgesagt hat. Die Regierung wird den ESC indessen für eine Image-Kampagne nutzen. Europäische PR-Firmen beraten die Regierung im Übrigen, und sie sind es auch, die jetzt die gesamte Infrastruktur ausbauen.
Was halten Ihre Freunde eigentlich von Ihrem Trip nach Baku?
Grjasnowa: Die kommen mit. Aserbaidschan ist landschaftlich wunderschön und Baku eine faszinierende Stadt. Ich könnte mir sogar vorstellen, da zu leben, für zwei Jahre vielleicht. Okay, das meine ich eigentlich nicht wirklich ernst, ich genieße dafür zu sehr mein Leben hier. Und die beiden, mit denen ich nach Baku fahre, freuen sich schon sehr auf die Reise. Ich würde ihnen gerne das Land zeigen.
Ist Aserbaidschan ein volkstümliches Land?
Grjasnowa: Höchstens in den paar entlegenen Bergdörfern, die so ähnlich sind wie in Tirol, dem Heiligen Land österreichischer Ausprägung.
Sind die jungen Leute westlich orientiert? Was hören sie für Musik?
Grjasnowa: Russland und die Türkei sind wichtig für Aserbaidschan, ihre Kulturprodukte sind im Land noch immer sehr weit verbreitet. Aber auch Georgien als Nachbarstaat ist wichtig. Natürlich spielen Europa und die USA in der Kultur eine sehr große Rolle, was nicht heißt, dass es in Aserbaidschan selber keine eigene Musik und keine eigenen Filme geben würde. Jazz ist zum Beispiel noch seit der Sowjetunion sehr weit verbreitet und ging eine wunderschöne Fusion mit dem Mugham, der traditionellen aserbaidschanischen Musik, ein.
Olga Grjasnowa liest morgen Abend im Buchladen Osterstraße, 20 Uhr, Osterstraße 171, Karten unter T. 491 95 60