Ahrensburg. Polizisten nehmen die Geschäftsfrau in ihrer Wohnung fest. Sie muss nun bis zum Prozessbeginn in Haft bleiben.
Nach viermonatiger Flucht ist die ehemalige Inhaberin zweier Reisebüros in Ahrensburg und Schwarzenbek von der Polizei gefasst worden. „Sie wurde in der vergangenen Woche in Ahrensburg verhaftet“, sagt Michael Burmeister, Direktor des zuständigen Amtsgerichts Ahrensburg, dem Abendblatt.
Die Geschäftsfrau sei anschließend einem Richter zur Anhörung vorgeführt worden. Dieser habe ihr den Haftbefehl verkündet. Burmeister sagt: „Sie wurde nicht verschont und sitzt nun in Hauptverhandlungshaft.“
Reisenbüro-Inhaberin in Ahrensburger Wohnung verhaftet
Die Festnahme erfolgte durch Beamte der Bezirkskriminalinspektion (BKI) Lübeck, an die das Ahrensburger Polizeirevier die Vollstreckung des Haftbefehls übergeben hatte. Die 53-Jährige wurde laut Staatsanwaltschaft am Donnerstag, 12. November, in ihrer Wohnung verhaftet. Zwei Polizisten sollen im Einsatz gewesen sein.
„Die Angeklagte hat am späten Vormittag auf Klingeln die Tür an ihrer Wohnanschrift, wo sie zwischenzeitlich allerdings nicht aufhältig gewesen war, geöffnet und sich widerstandslos festnehmen lassen“, sagt Oberstaatsanwältin Ulla Hingst.
Auskünfte darüber, wie es zu der Festnahme kam und ob sie einen Tipp erhielten, wollen die Ermittler nicht geben. Hingst: „Die Polizei kann ihre Fahndungsmethoden im Interesse künftiger Festnahmen nicht offenlegen.“
Taten zwischen Juni 2015 und Februar 2018
Die Staatsanwaltschaft Lübeck wirft der Ahrensburgerin 30 Taten zwischen Juni 2015 und Februar 2018 vor: zehn Fälle der gewerbsmäßigen Untreue, 19-fachen gewerbsmäßigen Computerbetrug und einen Betrug (Aktenzeichen: 779 Js 24792/18).
Dadurch soll sie mehr als 74.000 Euro unrechtmäßig erlangt haben. Laut Anklageschrift soll sie Geld, das Kunden für gebuchte Reisen bezahlt hatten, nicht an den jeweiligen Reiseveranstalter oder die Fluggesellschaft weitergereicht haben. Stattdessen soll sie es verwendet haben, um andere Verbindlichkeiten zu begleichen.
Reisebüro-Chefin soll Konto- und Kreditkartendaten missbraucht haben
Zudem wird der Reisebüro-Chefin vorgeworfen, Konto- und Kreditkartendaten ihrer Kunden verwendet zu haben, um damit Flüge und Hotelübernachtungen anderer Kunden zu bezahlen. In einem Fall soll sie den überwiesenen Reisepreis für sich selbst behalten haben.
Die Hauptverhandlungshaft soll sicherstellen, dass sich die Angeklagte diesmal dem Prozess vor dem Amtsgericht Ahrensburg nicht entziehen kann. Bereits zweimal war die Stormarnerin nicht zur Hauptverhandlung erschienen, zuletzt im Juli dieses Jahres. Daraufhin erließ Richter Ulf Thiele einen Haftbefehl. Die Geschäftsfrau war seitdem zur Festnahme ausgeschrieben. „Mildere Methoden scheinen nicht ausreichend, um das Verfahren fortführen zu können“, sagte er damals zur Begründung.
Termin für Prozessbeginn steht noch nicht fest
Seit September 2019 versucht das Amtsgericht bereits, die Geschehnisse in dem mittlerweile geschlossenen Reisebüro an der Stormarnstraße in Ahrensburg und dem zweiten ehemaligen Betriebsstandort in Schwarzenbek juristisch aufzuarbeiten.
Nachdem die Angeklagte beim ersten Termin nicht im Gerichtssaal erschienen war, legte sie ein Attest vor, in dem ein Arzt sie wegen eine Angststörung und einer depressiven Erkrankung für verhandlungsunfähig erklärte. Das Gericht sagte daraufhin alle weiteren Prozesstermine ab. Im Frühjahr 2020 musste ein neuer Versuch wegen der Corona-Pandemie verschoben werden.
Beim jüngsten Neustart im Juli fehlte von der Angeklagten wieder jede Spur. Richter Ulf Thiele sah damals keine Anhaltspunkte für eine anhaltende Verhandlungsunfähigkeit der Frau. Er sagte: „Gerichtsverhandlungen sind kein Wohlfühlort. Irgendwann muss sie sich stellen.“ Doch eine polizeiliche Vorführung scheiterte, die alarmierten Beamten konnten sie an ihrer Wohnanschrift in Ahrensburg nicht antreffen.
Mehr als ein Dutzend Kunden hatten sich gemeldet
Das Abendblatt hatte erstmals im Sommer 2018 über Betrugsvorwürfe gegen das Reisebüro berichtet. Der Ahrensburger Alfried Haase hatte sich an die Redaktion gewandt. Der 77-Jährige erzählte von Flügen, Hotelübernachtungen und Mietwagen für eine Asien-Reise, die er zum Teil doppelt und dreifach bezahlen musste. Er fordert rund 12.000 Euro zurück – bislang ohne Erfolg.
Anschließend meldeten sich mehr als ein Dutzend weitere Kunden, die ähnliche Vorwürfe erhoben. Viele erhoffen sich von dem Prozess vor allem Aufklärung, warum sie Betrugsopfer wurden. So auch Alfried Haase: „Ich möchte wissen, was damals in dem Geschäft schiefgelaufen ist“, sagt er. „Und ich wüsste gern, wie ich mich absichern kann, damit mir und anderen Menschen so etwas in Zukunft nicht noch einmal passiert.“
Der Angeklagten droht eine mehrjährige Haftstrafe
Die Reisebüro-Inhaberin muss bis zur neuen Hauptverhandlung in Haft bleiben. Wann der Prozess beginnt, steht laut Burmeister noch nicht fest. Der zuständige Richter Ulf Thiele werde die Termine nun nach Rücksprache mit den Prozessbeteiligten festsetzen, über die Anzahl der erforderlichen Verhandlungstage und auch die zu ladenden Zeugen beschließen.
Thiele entscheidet auch, welche Auswirkungen das mehrfache Nichterscheinen der Angeklagten vor Gericht sowie ihre viermonatige Flucht haben.
Unabhängig davon liegt das gesetzliche Strafmaß für Untreue und Computerbetrug in einem besonders schweren Fall laut Staatsanwaltschaft bei einer Freiheitsstrafe von sechs bis zehn Jahren. „Im Falle einer Verurteilung wird für jede Tat eine Einzelstrafe zu bilden sein“, sagt Oberstaatsanwältin Ulla Hingst. „Daraus wird am Ende eine Gesamtstrafe gebildet. Dabei wird die höchste Einzelstrafe als Ausgangspunkt genommen und dann angemessen erhöht.“