Ahrensburg. CDU-Fraktionschef Tobias Koch beziffert Mehraufwand mit 300 Millionen Euro und verteidigt bei Awo-Debatte in Ahrensburg die Kita-Reform
Große Scheinwerfer, zwei Filmkameras, ein Dutzend Mikrofone und ein riesiges Mischpult mit mehreren Bildschirmen für die Regie: Am Donnerstagabend wähnte man sich eher in einem Fernsehstudio als im großen Tagungsraum des Peter-Rantzau-Hauses. Die Arbeiterwohlfahrt (Awo) Soziale Dienstleistungen mit Sitz in Ahrensburg hatte für ihre Podiumsdiskussion zur Kita-Reform weder Mühen noch Kosten gescheut, um das interessierte Publikum trotz coronabedingter Abwesenheit per Livestream teilhaben zu lassen.
CDU wirft Arbeiterwohlfahrt Kampagne vor
Mit ihrer deutlichen Kritik an den Defiziten des Mitte 2021 in Kraft getretenen Kindertagesförderungsgesetzes der Kieler Jamaika-Koalition hatte die Arbeiterwohlfahrt (Awo) eine lebhafte Debatte angestoßen. Während sich etliche andere Kita-Träger hinter die Awo gestellt hatten, sah sich der Wohlfahrtsverband heftiger Angriffe seitens der CDU ausgesetzt. Die Awo würde eine „gezielte Kampagne“ fahren, um mit falschen Behauptungen bewusst Stimmung gegen die Kita-Reform zu machen, hieß es.
„Wir halten das für einen völlig haltlosen Vorwurf. Deshalb haben wir vorgeschlagen, die verschiedenen Positionen in einem offenen Forum mit dem CDU-Fraktionschef im Kieler Landtag, Tobias Koch, Fachleuten, sowie Vertretern aus den Kommunen und der Eltern zu diskutieren“, so Awo-Geschäftsführerin Anette Schmitt.
Reformprojekt hat eine Milliarde Euro gekostet
Koch bezeichnete das neue Kita-Gesetz als das größte und wichtigste Reformvorhaben der amtierenden Regierung in Schleswig-Holstein. Innerhalb einer Wahlperiode seien eine Milliarde Euro in das Projekt geflossen. „Pro Kind wird mehr als doppelt so viel aufgewendet wie in der vorangegangenen Wahlperiode, nämlich 4400 statt bisher 2000 Euro mit einem 20-prozentigen Zuwachs pro Jahr, das lassen wir uns nicht schlechtreden“, versuchte Koch gleich zu Beginn zu punkten.
Nicht vergessen werden dürften zudem die jetzt einheitlichen Qualitätsstandards, die landesweit geltende Sozialstaffel, die finanzielle Entlastung der Eltern und dass die Kitas in den Ferien statt sechs Wochen nur noch 17 Tage geschlossen seien. „Aber offenbar ist es uns nicht gelungen, diese großen Erfolge richtig zu vermitteln“, so Koch fast ein wenig ratlos.
Größere Chancengleichheit für alle Familien
Marco Heidorn, Co-Vorsitzender der Kreiselternvertretung für Stormarns Kitas, würdigte überdies die Chancengleichheit für alle Familien, unabhängig vom sozialen Status. „Dass die Betreuung der Kinder nicht abhängig vom Geldbeutel der Eltern ist, bedeutet einen Fortschritt und deren finanzielle Entlastung ist natürlich zu begrüßen“, sagte Heidorn.
Die Abers ließen indes nicht lange auf sich warten. „Der gravierende Fachkräftemangel ist ein landesweites Problem, das nur unzureichend berücksichtigt worden ist“, erklärte Martina Meier-Scheel, freiberufliche Fachberaterin in Kitas und Tagespflege. Durch die neuen Anforderungen des Gesetzes, insbesondere den verbindlichen Betreuungsschlüssel von zwei Fachkräften pro Gruppe in Gänze der Zeit, seien die Kita-Leitungen wie auch deren Mitarbeiter oftmals chronisch überlastet.
Evaluation des Kita-Gesetzes dauert bis 2025
„Zwei Fachkräfte pro Gruppe sind von den Einrichtungen schon bei der Landtagswahl 2012 vor zehn Jahren vehement gefordert worden, auch von der Awo“, konterte Koch. Nun stünde es sogar im Gesetz, sei so aber offenbar auch nicht recht: „Wir wollten ein Signal für sichere Arbeitsplätze setzen. Außerdem ist während der Evaluationsphase bis 2025 eine begründete Absenkung des Betreuungsschlüssels jederzeit möglich, insbesondere bei kleineren Gruppen und in den Randzeiten.“
Den Fachkräftemangel wollte Awo-Geschäftsführerin Schmitt unterdessen nicht als Kritik am Gesetz verstanden wissen. Es sei positiv, dass die Reform in Angriff genommen wurde. „Aber weil die benötigten Fachkräfte nicht zur Verfügung stehen, sind qualitative Verbesserungen der Betreuung eben kaum umsetzbar.
Stormarns Kitas in besonderer Konkurrenzsituation
Dazu bräuchten wir schon rein rechnerisch drei bis vier Mitarbeiter pro Gruppe“, sagt Schmitt. Zudem stünden viele Einrichtungen durch die Lage Stormarns am Hamburger Rand in einer besonderen Konkurrenzsituation. „Dass Mitarbeiter in die Metropole oder zu Zeitarbeitsfirmen abwandern, ist keine Seltenheit“, sagte Schmitt. Und konstatierte wegen nicht eingelöster Erwartungen eine „Abstimmung mit den Füßen“.
Koch wies darauf hin, dass die Kommunen die Tarifverträge noch immer selbst aushandeln würden, räumte aber ein, dass eine Ausbildungsoffensive unerlässlich sei. „Der Bedarf ist gigantisch, deshalb beteiligt sich das Land schon jetzt mit 20 Prozent an den Ausbildungskosten“, so Koch. Geprüft werden müsse zudem, ob in Stormarn nicht ein zweiter Ausbildungsstandort geschaffen werden könnte und in welchem Umfang Quereinsteiger in der Kitabetreuung zulässig seien.
Trittau hat die Reform eine Million Euro mehr gekostet
Susanne Dietrich, Fachbereichsleiterin Schule, Jugend und Soziale Hilfen des Amtes Trittau, monierte, dass sich die erhoffte finanzielle Entlastung für die Kommunen bislang kaum eingestellt habe. „Trittau hat die Reform rund eine Million Euro mehr gekostet. Dabei ist der Bedarf an Kitaplätzen noch nicht einmal annähernd gedeckt“, berichtete Dietrich.
Auch hier gestand Koch ein, der Entwicklung permanent hinterherzulaufen. Durch den erweiterten Rechtsanspruch auf Betreuungsplätze müssten immer mehr geschaffen werden. Für die dann natürlich auch wieder Personal benötigt werde. Hinzu komme die Betreuung in den so genannten Randzeiten, die von den Eltern in einem immer stärkeren Maße nachgefragt sei.
Verpflegungspauschalen haben sich erhöht
Sie müssen nicht selten verzweifelt in immer größeren Radien nach freien Plätzen suchen, bestätigte Marco Heidorn. Zudem erweise sich immer öfter, dass die Verpflegungspauschalen nicht auskömmlich seien. „Wenn sich die Zuzahlungen der Eltern mal eben von 60 auf 100 Euro erhöhen, wird das für Familien mit zwei und mehr Kindern schon zu einem Problem. Das frisst dann die Ersparnis durch die Beitragsdeckelung auf und führt eben zu keiner wirklichen finanziellen Entlastung für die Familien“, sagte Heidorn.
Tobias Koch merkte an, die Kita-Verpflegung sei für die Kommunalhaushalte noch nie kostendeckend gewesen und daran werde sich absehbar auch nichts ändern. In diesem Zusammenhang erteilte er zudem Forderungen nach einer generellen Beitragsfreiheit für die Eltern eine Absage. „Das würde einen weiteren Mehraufwand von rund 300 Millionen Euro bedeuten“, so Koch. Er sei aber davon überzeugt, dass sich Eltern an einer guten und verlässlichen Betreuung ihrer Kinder auch künftig gern beteiligen würden.