Ahrensburg. In vielen Einrichtungen in Stormarn kommt es wegen Fachkräftemangels zu einer Reduzierung von Betreuungszeiten und Gruppenschließungen.

Nach dem Ende der rigiden Kontaktbeschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie erweisen sich die Defizite des Mitte vergangenen Jahres in Kraft getretenen Kindertagesförderungsgesetzes der Kieler Jamaika-Koalition in immer mehr Kitas des Kreises als immer größer werdende Bürde. So trafen sich jüngst ein Dutzend Vertreter von fünf verschiedenen Trägern in Ahrensburg zu einem Erfahrungsaustausch, bei dem massive Kritik an den konkreten Auswirkungen der Reform geübt wurde.

„Das Distanzgebot in der Corona-Krise hat viele Schwächen des Gesetzes überdeckt“, sagt Anette Schmitt, Geschäftsführerin der Awo Soziale Dienstleistungen, die im Kreis Stormarn 15 Kindertageseinrichtungen in sechs Kommunen betreibt, darunter in den Städten Ahrensburg, Bargteheide, Glinde, Reinbek und Reinfeld. Insbesondere der vorgeschriebene Fachkräfteschlüssel sei ein Riesenhandicap, weil dadurch ein bedarfsorientierter Einsatz der Erzieher und Sozialpädagogischen Assistenten de facto unmöglich geworden sei.

Pro Gruppe zwei Fachkräfte - in den Randzeiten kaum einzuhalten

Anette Schmidt, Geschäftsführerin der Awo Soziale Dienstleistungen
Anette Schmidt, Geschäftsführerin der Awo Soziale Dienstleistungen © Lutz Kastendieck | Lutz Kastendieck

„Wenn pro Gruppe zwei Fachkräfte zwingend gefordert sind, unabhängig von der tatsächlichen Anzahl von Kindern, stoßen wir schnell an unsere personellen Grenzen“, so Schmitt. Bei Öffnungszeiten von zehn und mehr Stunden könne die gesetzlich fixierte Betreuung über den gesamten Tag oft nicht mehr sichergestellt werden. So sind insbesondere Angebote in den sogenannten Randzeiten, zumeist vor 8 und nach 16 Uhr, in Gefahr. Darüber hinaus sind die Beschneidung von Betreuungszeiten sowie die Zusammenlegung oder gar Schließung von Gruppen in vielen Einrichtungen längst unausweichlich.

„Wenn in Randzeiten für fünf oder sechs Kinder pro Gruppe trotzdem je zwei Fachkräfte eingesetzt werden müssen, kann das nicht ohne Auswirkungen auf die Personalplanung in der Kernzeit bleiben, in denen die Gruppen mit zehn Krippenkindern und 20 im Elementarbereich in der Regel ausgelastet sind“, berichtet Kerstin Kocherscheidt, Leiterin der Awo-BewegungsKita in Reinfeld.

Allein in Schleswig-Holstein fehlen 2000 Erzieherinnen und Erzieher

Weil bis zu 54 Betreuungsstunden nicht regelkonform besetzt werden können, benötigt die Einrichtung mit ihren 60 Plätzen de facto zwei weitere Vollzeitstellen, um die Angebote in vollem Umfang sicherstellen zu können. Diese Fachkräfte sind auf dem Arbeitsmarkt aber schlicht nicht verfügbar. Laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung fehlen bundesweit bis 2030 mehr als 230.000 Erzieherinnen und Erzieher. Allein in Schleswig-Holstein sollen es derzeit mehr als 2000 sein.

„Diese Situation hatte sich bereits mit der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für Kinder unter drei Jahren 2013 abgezeichnet“, sagt Anette Schmitt. Nun komme es in vielen Awo-Einrichtungen zu Engpässen, die ohne temporäre Angebotsbeschränkungen nicht mehr zu kompensieren seien. „Mal ganz abgesehen davon, dass die durch das Gesetz angestrebte Qualitätserhöhung in der Betreuung so auch nicht umsetzbar ist“, ergänzt Schmitt.

Kita-Leiterin kritisiert hohe Belastung der Mitarbeiter

Das hat natürlich auch gravierende Auswirkungen auf die Fachkräfte selbst. „Die Belastung hat extrem zugenommen, nicht zuletzt durch die erheblich zugenommene Dokumentationspflicht“, weiß die Reinfelder Kita-Leiterin Kerstin Kocherscheidt. Vier ihrer elf Kolleginnen äußerten bereits Kündigungsabsichten, zwei erwägen sogar den Wechsel in völlig andere Berufe.

„Die Fluktuation hat erheblich zugenommen“, sagt Tino Heidtmann, stellvertretender Geschäftsführer der Awo Soziale Dienste. Zumal sich der Druck auf die Träger durch demografische Einflüsse noch verstärke. So entstehe eine kaum aufzulösende Kluft zwischen dem offiziell propagierten neuen Qualitätsanspruch und dem, was angesichts des Fachkräftemangels in der Praxis überhaupt möglich sei.

Unvorhergesehene Schließzeiten stellen Eltern vor Probleme

Marco Heidorn, Kreiselternvertreter Kitas
Marco Heidorn, Kreiselternvertreter Kitas © Lutz Kastendieck | Lutz Kastendieck

Das ist inzwischen auch bei vielen Eltern angekommen. „Natürlich ist die Deckelung der Beiträge zu begrüßen“, sagt Marco Heidorn, Kreiselternvertreter Kitas und Vater eines vierjährigen Sohnes. Doch wenn auf der anderen Seite die verlässliche Betreuung der Kinder auf der Strecke bleibe, müsse die Kita-Reform schnellstens auf den Prüfstand. „In Reinfeld sind wir seit Ende Februar wegen der personellen Engpässe gefühlt alle zwei Wochen von unvorhergesehenen Schließzeiten betroffen. Das verlangt vielen Eltern eine höhere zeitliche Flexibilität ab, die mit ihrer Erwerbstätigkeit immer öfter nur schwer in Einklang zu bringen ist“, so Heidorn.

Ähnliche Probleme schildert auch Isabelle Schumann, Elternvertreterin der Kita Eggerskoppel in Reinbek. Sie sagt: „Die Betreuungsqualität nimmt spürbar ab. Die Kinder werden zwar beaufsichtigt, ein Fördern und Fordern findet aber nicht mehr statt.“ Sie führt das unter anderem auf den Einsatz von Kräften aus Zeitarbeitsfirmen zurück. Diese Erzieher hätten offenbar keinen Erziehungsauftrag, sondern kämen lediglich der Aufsichtspflicht nach.

Awo-Chefin fordert Anpassungen

Andererseits beobachtet Schumann eine zunehmende Überlastung der festangestellten Erzieher. Zum Teil würden sie zehn Stunden pro Tag arbeiten, um die Betreuung ihrer Schützlinge zu gewährleisten. „Nebenbei sollen sie aber noch Entwicklungsgespräche führen, Ausflüge vorbereiten, Projekte planen und den Alltag organisieren. Wie soll das auf Dauer funktionieren?“, fragt Isabelle Schumann.

Weil die Hiobsbotschaften seit Einführung des neuen Kita-Gesetzes nicht abreißen, erwartet auch Awo-Geschäftsführerin Anette Schmitt, dass sich das Kabinett in Kiel vielleicht doch nicht vier Jahre Zeit mit der Evaluation der Reform lässt. „Von den großen Versprechungen, schönen Bildern und Zahlen ist vor Ort kaum etwas zu sehen. Deshalb sind Anpassungen notwendig“, so Schmitt.