Hamburg. Umstrittener Zensus reißt enormes Loch in die Kassen der Stadt. Wie der Finanzsenator reagiert und was ihm noch größere Sorgen bereitet.
Dass der Zensus ein Loch in den Hamburger Haushalt reißen wird, war bereits absehbar. Denn wer weniger Einwohner hat, bekommt bei der Aufteilung der Einnahmen zwischen Bund und Ländern auch weniger Geld. Doch wenn man nun schwarz auf weiß liest, was Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) am Dienstag im Rahmen der Steuerschätzung präsentierte, dürfte manchem in Senat und Bürgerschaft doch noch einmal der Atem stocken.
Insgesamt mehr als 350 Millionen Euro weniger als noch im Mai prognostiziert, soll die Stadt in den Jahren 2024 bis 2028 an Steuern einnehmen. Das an sich würde in einem Jahresetat von gut 20 Milliarden Euro gar nicht so sehr ins Gewicht fallen. Doch das ist auch nur der kleinere Teil der bitteren Wahrheit. Der andere lautet in den Worten des Senats: „Ohne Zensus-Effekt lägen die Hamburg verbleibenden Steuern in Summe 530 Millionen Euro über dem Ergebnis der Mai-Steuerschätzung.“
Volkszählung kostet Hamburg mehr als der Bau der Elbphilharmonie
Mit anderen Worten: Hätte die Stadt im Rahmen der umstrittenen Bevölkerungserhebung nicht rund 60.000 Einwohner verloren, würde sie bis 2028 insgesamt rund 880 Millionen Euro mehr einnehmen. Das ist mehr als der Bau der Elbphilharmonie gekostet hat (865 Millionen). Und: Diese Summe bezieht sich nur auf die kommenden Jahre. Danach hält der Effekt ja weiterhin an, dass Hamburg Jahr für Jahr mit rund 190 Millionen Euro weniger auskommen muss.
Verantwortlich für diesen Schlag ins Kontor sind zwei Effekte: Zum einen wird die Umsatzsteuer zwischen Bund, Ländern und Gemeinden nach einem festen Schlüssel aufgeteilt, bei dem die Einwohnerzahl eine Rolle spielt. Hier verliert Hamburg künftig rund 50 bis 60 Millionen Euro jährlich.
Finanzausgleich: Hamburg zahlt bald mehr als eine Milliarde Euro im Jahr
Zweitens basiert auch der Länderfinanzausgleich auf Bevölkerungsdaten, sodass die Hansestadt auf weitere 100 bis 135 Millionen Euro im Jahr verzichten muss. Die Summe, die der vergleichsweise wohlhabende Stadtstaat als eines der wenigen Zahlerländer in den Ausgleichstopf überweist, soll von 2027 an die Grenze von einer Milliarde Euro überschreiten – pro Jahr. „Schmerzhaft“, sei das, räumte Dressel ein. Aber Hamburg stehe, anders als Bayern, dennoch zum Länderfinanzausgleich: „In guten wie in schlechten Zeiten“.
Der aktuelle Zensus zum Stichtag 15. Mai 2022 hatte die Bevölkerungszahl in Deutschland um rund 1,4 Millionen Einwohner oder 1,6 Prozent auf 82,7 Millionen Menschen nach unten korrigiert. Dabei haben Großstädte wie Berlin, Hamburg, Köln und München überproportional verloren: Die vom Statistikamt Nord ermittelte und damit amtliche Bevölkerungszahl der Hansestadt wurde um mehr als drei Prozent von 1,87 auf 1,81 Millionen Einwohner korrigiert.
Umstrittener Zensus: Wie Hamburg um 150.000 Menschen schrumpft
Was diese Erhebung besonders umstritten macht: Laut dem Melderegister der Stadt haben Mitte 2022 sogar schon 1,96 Millionen Menschen in der Stadt gelebt. Diese Daten verwenden etliche öffentliche Stellen auch weiterhin, etwa die Schulbehörde für die Planung neuer Schulstandorte. Auf die Frage, wie die enorme Diskrepanz zum Zensus von 150.000 Menschen zu erklären sei, hatte das Statistikamt Nord vor allem auf „Karteileichen“ verwiesen – also Personen, die zwar im Melderegister existierten, aber nicht mehr an der dort geführten Anschrift lebten.
Nachdem Hamburg gegen den letzten Zensus 2011 (dieser hatte die Einwohnerzahl sogar um knapp 83.000 Menschen auf 1,7 Millionen nach unten korrigiert) zusammen mit Berlin bis vor das Bundesverfassungsgericht gezogen und dort unterlegen war, hatte man über einen zweiten Anlauf nachgedacht. „Wir haben das rechtlich geprüft“, sagte Finanzsenator Dressel. Aber man habe keinen validen Ansatzpunkt für juristische Schritte gefunden: „Deshalb haben wir von einer Klage Abstand genommen.“
Hamburgs Wirtschaft soll in diesem Jahr um 2,0 Prozent wachsen
Von diesem leidigen Thema abgesehen, zeigte sich der Finanzsenator vor dem Hintergrund der bundesweit lahmenden Konjunktur mit der Steuer-Prognose für die Hansestadt ansonsten durchaus zufrieden: „Hamburg trotzt der Krise“, sagte Dressel. „Dank guter Wirtschaftsdaten ist unsere Einnahmebasis aktuell noch stabil – auch wenn sich der Zensus-Effekt leider in den Zahlen abbildet. Wir haben damit keine neuen Spielräume, aber ein insgesamt solides Fundament.“ Im Haushalt 2025/2026, der derzeit von der Bürgerschaft beraten wird, könne man an den geplanten „Rekord-Investitionen“ festhalten.
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Grundlage für diese Einschätzung sind die Wirtschaftsdaten, die für Hamburg vergleichsweise positiv ausfallen: Für 2024 rechnet der Senat mit einem preisbereinigten Anstieg beim Bruttoinlandsprodukt von 2,0 Prozent – das ist der zweitbeste Wert nach Mecklenburg-Vorpommern. Bundesweit wird dagegen ein Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,2 Prozent erwartet. Für 2025 geht der Senat von 0,8 Prozent Wachstum aus, wobei er dabei betont defensiv plant: „Besser eine vorsichtige als eine zu optimistische Prognose!“, heißt es.
Finanzsenator Dressel schimpft auf den Bund: „Unverantwortlich“
Noch größere Sorgen als der Zensus bereitet dem Finanzsenator ohnehin das „Steuerfortentwicklungsgesetz“ des Bundes: Dieses würde für Hamburg nach aktuellem Stand bis zum Jahr 2029 insgesamt zu Steuermindereinnahmen von mehr als zwei Milliarden Euro führen. „Die finanz- und steuerpolitischen Beiträge auf Bundesebene werden immer unverantwortlicher“, kritisierte Dressel.
„Die finanz- und steuerpolitischen Beiträge auf Bundesebene werden immer unverantwortlicher.“
Seine Forderung: „Steuerentlastungen auf Bundesebene sollten solide finanziert sein und zielgerichtet vor allem die arbeitende Mitte adressieren.“ Bessere Abschreibungsmöglichkeiten würden der Wirtschaft mehr helfen „als unkonditionierte Steuergeschenke für wenige Spitzenverdiener“, so der Senator.
Steuerschätzung: CDU kritisiert „völlig verfehlte Wirtschaftspolitik der Ampelkoalition“
CDU-Finanzexperte Thilo Kleibauer verteidigte hingegen den Versuch, die Wirtschaft durch steuerliche Entlastungen und den Ausgleich der kalten Progression anzukurbeln: „Hier darf der Hamburger Senat nicht immer auf der Bremse stehen und Verbesserungen im Steuertarif zum Ausgleich von Inflationseffekten blockieren.“ Dass Hamburg sich auf geringere Steuereinnahmen einstellen muss, sei vor allem „Folge einer völlig verfehlten Wirtschaftspolitik der Ampelkoalition“, so Kleibauer.
Die Linksfraktion in der Bürgerschaft kritisierte hingegen, dass die erwarteten Steuereinnahmen der Stadt vom Senat „systematisch kleinrechnet werden“, was ohne Not den Handlungsspielraum der Bürgerschaft einschränke. „Hamburgs Wirtschaft wächst entgegen dem Bundestrend“, sagte ihr Haushaltsexperte David Stoop. „Dadurch ergeben sich eigentlich Spielräume, um mit Investitionen in die soziale Infrastruktur, in Bildung oder den Verkehr endlich nachzuholen, was über Jahre und Jahrzehnte verschleppt worden ist.“
Volkszählung kostet Hamburg mehr als der Bau der Elbphilharmonie
Die AfD forderte vom Senat, „endlich auf einen Sparkurs zu setzen statt Steuergelder zu verschwenden“. Die FDP warnte vor einer Eintrübung der Konjunktur: „Die aktuelle Steuerschätzung ist eine trügerische Ruhe vor dem Sturm“, sagte die stellvertretende Landesvorsitzende Katarina Blume. „Wenn der Finanzsenator bis 2029 mit rund zwei Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen rechnet, ist das ein Warnsignal. Der Senat muss sich deshalb auch einem unangenehmen Thema stellen, das er seit Jahren vermeidet: Die Einsparpotenziale.“
In eine ähnliche Kerbe schlug der Bund der Steuerzahler: „Wir freuen uns selbstverständlich über den Zuwachs bei der Lohnsteuer. Denn das bedeutet, dass sich die Erwerbstätigkeit in Hamburg positiv entwickelt“, sagte der Landesvorsitzende Sascha Mummenhoff. „Aber bei den unternehmensgebundenen Steuern weist das Jahr 2024 starke negative Tendenzen auf.“ Das sei „ein Indiz dafür, dass die Unternehmen ihr Geld zusammenhalten“. Eventuell sei es Zeit, „Einsparungen aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Situation zu diskutieren“.