Hamburg. Toralf Haag in seinem ersten großen Interview zu tödlichen Unfällen, Metall-Diebstählen, den Arbeitsplätzen in der Hansestadt und zum Börsenkurs.

Seit dem 1. September leitet Toralf Haag den Hamburger Kupferproduzenten Aurubis als Vorstandschef. Der 58-Jährige hat den Konzern in einer schwierigen Phase übernommen. Tödliche Arbeitsunfälle, ein groß angelegter Metalldiebstahl und ein nicht zufriedenstellender Aktienkurs bestimmten jüngst die Schlagzeilen über das Traditionsunternehmen. In seinem ersten großen Interview in der neuen Position erzählt der erfahrene Manager mit norddeutscher Vergangenheit, was sich nun ändern soll.

Herr Haag, sind Sie mit Ihrer Familie schon gut in Hamburg angekommen?

Ja, meine Partnerin und ich sind direkt nach Hamburg gezogen. Wir haben uns eine Wohnung in Klein Flottbek gekauft – und diese wird gerade umgebaut. Die Kinder sind bereits aus dem Haus, wohnen nicht mehr bei uns.

Was der neue Aurubis-Chef am Standort Hamburg verändern will

Sie waren bis vor Kurzem bei Voith im beschaulichen Heidenheim – eine große Umgewöhnung?

Nein, ich bin ja Kieler, komme also aus dem Norden und kenne Hamburg auch sehr gut aus meiner Zeit als Finanzvorstand bei Aurubis in den Jahren zwischen 2002 und 2005. Die Stadt ist mir sehr vertraut, und ich habe sogar Bekannte und Verwandte in den Elbvororten.

Wie muss man sich den Bewerbungsprozess bei einem international tätigen Konzern wie Aurubis für den Chefposten vorstellen? Haben Sie eine Blindbewerbung nach Hamburg geschickt, als Sie wussten, dass dort ein Nachfolger für Roland Harings gesucht wird?

(lacht) Nein. Das läuft wie üblich bei größeren, börsennotierten Unternehmen. Headhunter sprechen einen an – und dann kommt es zu einem strukturierten Auswahlverfahren mit mehreren Gesprächen.   

Aurubis: Diebstähle und tödliche Unfälle sorgten für Unruhe

Sie kennen Aurubis von Anfang der 2000er-Jahre. Was hat sich hier seitdem am stärksten verändert?

Das Unternehmen ist seitdem wesentlich größer, komplexer und internationaler geworden. Es bietet deutlich mehr Metalle im Rahmen unserer Multi-Metall-Strategie an – inzwischen sind es 20 verschiedene.

Kennen Sie noch viele Mitarbeiter von früher?

Ja, mehr als ich dachte. Als ich mich auf der Betriebsversammlung der Belegschaft in Hamburg vorgestellt habe und fragte, wer hier schon vor 20 Jahren im Werk war, gingen mehr als die Hälfte der Hände nach oben. Die Loyalität der Beschäftigten zum Unternehmen ist extrem hoch.    

Neuer Aurubis-Chef will in naher Zukunft viel ändern

In der jüngsten Vergangenheit wurde die Berichterstattung über Aurubis vor allem vom groß angelegten Metalldiebstahl und -betrug im Hamburger Werk bestimmt. Es ging um einen dreistelligen Millionenbetrag. Waren Diebstähle von Metall schon zwischen 2002 und 2005 ein Thema?

Es gab damals kleinere Compliance-Fälle, aber bei Weitem nicht in diesem Ausmaß.

Wie wollen Sie das Hamburger Werk wieder sicher machen und Diebstähle sowie tödliche Arbeitsunfälle, von denen es ebenfalls mehrere gab, künftig verhindern?

Wir haben bereits umfassende Maßnahmen eingeleitet, um ein noch höheres Niveau bei Arbeits- und Werkssicherheit zu erreichen. Nun geht es darum, diese nachzuhalten und wenn nötig zu ergänzen. Wir haben uns im Vorstand Prioritäten gesetzt. Priorität 1 ist Arbeitssicherheit, Priorität 2 Werkssicherheit und Priorität 3 Vertrauen bei Mitarbeitenden, Partnern und Anteilseignern zurückzugewinnen. Gleichzeitig wollen wir die geschäftliche Performance weiter steigern. In puncto Werkssicherheit haben wir rund 400 Maßnahmen identifiziert, von denen wir die wichtigsten 100 schnell und diszipliniert umsetzen. In puncto Arbeitssicherheit gehen wir ähnlich vor. Das Ziel ist klar: Wir wollen null Arbeitsunfälle bei Aurubis, keinen einzigen mehr. Dafür sind auch unternehmenskulturelle Aspekte unglaublich wichtig. Konkret: Um sicheres Arbeiten noch stärker in den Fokus zu rücken, beginnt künftig jeder größere Termin mit dem Thema.

Aurubis: Aktie hat stark an Wert verloren

Der Metallklau hatte Kapitalanleger bereits verunsichert, die Aktie auf Talfahrt geschickt, nun kam Ende September auch noch die Nachricht, dass die Geschäfte im vierten Quartal im Hamburger Werk unter Plan gewesen sind. Was war das Problem?

Wir haben im abgelaufenen Geschäftsjahr den größten geplanten Wartungsstillstand in der Geschichte unseres Hamburger Werks abgeschlossen. Innerhalb dessen prüfen wir unsere Anlagen, setzen sie instand und installieren neue Technologien. Im Anschluss daran kam es zu Anlaufschwierigkeiten. Über die Auswirkungen mussten wir den Kapitalmarkt informieren. Die Produktion läuft inzwischen wieder sehr stabil.

Aurubis: Große Investition in den USA

Sie haben gerade das erste Metall-Recycling-Werk in den USA eingeweiht. Werden diese Auslandsinvestitionen zulasten Ihres Engagements in Deutschland gehen?

Nein, das Werk in Richmond ist eine Investition in den regionalen Wachstumsmarkt Nordamerika. Es ist damit eine sehr gute Ergänzung zu unserem Geschäft in Deutschland und Europa. Wir investieren im Zuge unserer Strategie weiter konsequent in unser bestehendes Hüttennetzwerk.

Wie sicher ist der Standort Hamburg, und wie wird sich auf der Peute die Zahl der Beschäftigten entwickeln?

Wir bekennen uns klar zum Standort Deutschland und speziell zu Hamburg. Die Stadt wird weiterhin unser wichtigster Standort bleiben. Dennoch bereiten uns die hohen Energie- und Lohnkosten in Deutschland durchaus Sorgen. Aber wir setzen alles daran, diese Kostennachteile durch die Optimierung von Produktionsprozessen auszugleichen. Zudem ist es für uns wichtig, dass die staatlichen Vergünstigungen bei den Netzentgelten für Strom erhalten bleiben. Aber diesbezüglich bleibe ich zuversichtlich. Wir haben aktuell etwa 2700 Beschäftigte am Standort Hamburg, wollen diese Zahl in den nächsten Jahren stabil halten. Und wir investieren hier in diesem und den kommenden fünf Jahren rund 750 Millionen Euro, zum einen in die Weiterentwicklung unserer Multi-Metall-Strategie, die Prozessoptimierung, aber auch in den Klima- und Umweltschutz. Das zeigt: Wir stehen zu Hamburg!

Weitere Wirtschaftsthemen

Ist es schwierig für Aurubis, Nachwuchs zu gewinnen?

Nein, überhaupt nicht. Wir haben aktuell insgesamt 210 Azubis in 16 verschiedenen Berufen im Hamburger Werk. In diesem Jahr haben wir auf die 75 Ausbildungsstellen über 1000 Bewerbungen erhalten – und zwar zum Großteil qualitativ gute Bewerbungen. Ich denke, dass Industrie – vor allem für junge Menschen – weiterhin eine große Anziehungskraft hat. 

In den vergangenen zweieinhalb Jahren hat sich der Aktienkurs von Aurubis auf aktuell rund 66 Euro fast halbiert. Ist dieser Kursverfall aus Ihrer Sicht berechtigt – und wann geht es wieder aufwärts?

Ich möchte den Verlauf des Aktienkurses in der Vergangenheit nicht kommentieren. Aber ich denke, dass wir eine Menge Potenzial haben, um die Profitabilität des Unternehmens zu erhöhen – was sich letztlich auch positiv auf den Aktienkurs in der Zukunft auswirken sollte. 

Wo wollen Sie Aurubis in den nächsten drei bis fünf Jahren hinführen? Was sind Ihre wichtigsten Ziele?

Wir wollen in unserer Industrie ein Vorbild für Arbeits- und Werkssicherheit werden. Zudem möchte ich die Profitabilität steigern, den Zukunftsbereich Recycling ausbauen und unsere Multi-Metall-Strategie vorantreiben.