Hamburg. Mehr ÖPNV und Fahrrad, weniger Autos: Neue Bauordnung setzt auf „grundstücksbezogene Mobilität“ statt auf Stellplätze. Die Senatspläne.

Wenn es um Pkw-Stellplätze geht, werden sogar die reservierten Hamburger mitunter emotional. Den einen kann der Abbau zugunsten von Fahrradwegen und mehr Aufenthaltsqualität in der City und in Bezirkszentren nicht schnell genug gehen, die anderen kämpfen verbissen um jede Abstellmöglichkeit für Autos. Diese Debatte dürfte mit der neuen Hamburger Bauordnung noch einmal an Schärfe gewinnen, denn sie könnte die Schaffung von Stellplätzen erheblich erschweren.

Der Gesetzentwurf des Senats, mit dem das Bauen durch ein Bündel an Maßnahmen erleichtert werden soll, sieht ausdrücklich vor, den „Paradigmenwechsel in der Verkehrspolitik“ auch im Baubereich nachzuvollziehen. Wörtlich heißt es: „Bisher ausgehend vom inzwischen überholten Bild der autogerechten Stadt soll zukünftig der Fokus von der Pflicht zur Errichtung von Stellplätzen für Kraftfahrzeuge hin zu einer differenzierten Betrachtung der grundstücksbezogenen Mobilität gelenkt werden.“

Mieten Hamburg: Weniger Parkplätze? Das sieht die Bauordnung vor

Konkret bedeutet das: Während nach der bestehenden Bauordnung für Neubauten zwingend eine gewisse Anzahl an Stellplätzen für Kraftfahrzeuge und Fahrräder nachgewiesen werden musste, ist künftig ein „Mobilitätsnachweis“ zu erbringen, der auch den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), die Infrastruktur für Fußgänger und Radfahrer sowie Car-Sharing-Angebote einbeziehen soll. Vereinfacht könnte man sagen: Fährt vor der Tür eine U-Bahn, braucht es keine Stellplätze.

Doch für Vereinfachung taugt das Thema kaum, denn es ist komplex: Dieser Mobilitätsnachweis ist nämlich künftig nur für gewerbliche Bauvorhaben zu erbringen, also zum Beispiel Büros, Läden oder sonstige Bauten auf Firmen-Grundstücken. Für Wohnungen und Wohnheime gilt diese Pflicht nicht, wie der Senat in seiner Drucksache ausdrücklich betont.

Stellplatzabgabe fällt weg: Hamburg verzichtet auf Millionen

Das bedeutet zweierlei: Für gewerbliche Bauten fällt mit der neuen Bauordnung auch die sogenannte Stellplatzabgabe weg. Mit diesen „Ausgleichsbeträgen“, wie es im Verwaltungsdeutsch heißt, konnten sich Bauherren bislang von der Pflicht freikaufen, Stellplätze zu schaffen – etwa, weil sie sie für überflüssig hielten, weil es baulich nicht umzusetzen war oder weil es das Bauvorhaben unzumutbar verteuert hätte.

Auf der Ludwig-Erhard-Straße in Hamburg staut sich der Verkehr
Die Zahl der in Hamburg zugelassenen Pkw nimmt seit Jahren zu, während gleichzeitig das Verkehrsaufkommen abnimmt. Immer mehr Autos stehen die meiste Zeit ungenutzt herum und brauchen entsprechend viele Parkplätze. © picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Soeren Stache

Die Abgabe betrug im Innenstadtbereich 6000 Euro je Stellplatz und in allen anderen Lagen 10.000 Euro je Stellplatz. Sie spülte laut der Senats-Drucksache immerhin zwei bis vier Millionen Euro pro Jahr in die Kassen – Geld, das zweckgebunden unter anderem für Quartiersgaragen, den ÖPNV und Radwege genutzt wurde und auf das man nun im Haushalt verzichten muss.

Hamburg: Stellplatzpflicht im Wohnungsbau wurde 2014 abgeschafft

Rein rechnerisch wurden also Jahr für Jahr etwa 200 bis 660 eigentlich für nötig befundene Stellplätze nicht geschaffen, weil ersatzweise die Abgabe gezahlt wurde. Nach Darstellung des Senats war diese Praxis jedoch nicht erfolgreich, denn sie habe „zu keiner Verbesserung der Verkehrssituation im Bereich des Bauvorhabens“ geführt. Um künftig insbesondere bei Nachverdichtungen zu verhindern, dass Autos einfach an der Straße abgestellt werden, sei „ein gesamtheitlicher Mobilitätsnachweis mit Maßnahmen zielführender, die die Situation vor Ort berücksichtigen“, heißt es. „Daher wird die Ausgleichsbetragszahlung nicht fortgeführt.“

Das alles gilt aber eben nur für den gewerblichen Bereich. Denn der Wohnungsbau ist in der Hamburger Bauordnung schon seit 2014 von der Pflicht zur Errichtung von Stellplätzen befreit. Die Bauherren mussten seitdem auch keinen sonstigen Mobilitätsnachweis erbringen und müssen das auch künftig nicht. Stattdessen dürften sie „in eigener Verantwortung“ darüber entscheiden, wie und mit welchen Verkehrsmitteln der Mobilitätsbedarf gedeckt werden kann, so das Senatspapier. Lediglich die Verpflichtung zur Herstellung von „Fahrradplätzen in ausreichender Anzahl“ bestehe bei Wohnungsbauten weiterhin.

Wohnungen in Hamburg ohne Stellplätze? So einfach ist es nicht

Wer nun aber glaubt, dass künftig fast alle Neubau-Wohnungen keine Stellplätze mehr haben werden, irrt allerdings. Denn unabhängig von der Bauordnung dürfen die Bezirksämter im Zuge der Baugenehmigung auch weiterhin einen Stellplatz-Nachweis verlangen. Darauf wies der Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW), der vor allem Genossenschaften und andere Anbieter von günstigem Wohnraum vertritt, auf Abendblatt-Anfrage hin.

Inwiefern bei diesem Thema den Mitgliedsunternehmen geholfen werde, bezahlbare Wohnungen zu schaffen, hänge daher an den Bezirken, sagte VNW-Direktor Andreas Breitner: „Denn diese können im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens auch weiterhin die Schaffung von Stellplätzen einfordern. Hilfreich wäre es, wenn sie dabei Zurückhaltung zeigen würden.“

Tiefgaragen könnten zu „Tropfsteinhöhlen der Zukunft“ werden

Seine Kollegin Petra Memmler, Geschäftsführerin des VNW-Landesverbands Hamburg, sagte mit Blick auf die geplanten Änderungen: „Wir begrüßen es sehr, dass Hamburgs Wohnungsbauunternehmen mit der neuen Bauordnung auch weiterhin von der Pflicht befreit werden, Stellplätze zu errichten oder Mobilitätsnachweise zu erbringen.“ Denn Baumaßnahmen unter der Erde gehörten zu den Hauptkostentreibern im Wohnungsbau.

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„Daher wäre es weder wirtschaftlich noch im Interesse des bezahlbaren Wohnens, für 40.000 Euro pro Stellplatz Tiefgaragen zu bauen, von denen niemand weiß, ob sie angesichts des sich ändernden Mobilitätsverhaltens in Zukunft noch benötigt werden“, so Memmler. „Nicht umsonst werden Tiefgaragen schon als die ,Tropfsteinhöhlen der Zukunft‘ bezeichnet.“

Behörden dürfen Schaffung von Stellplätzen sogar „untersagen“

Ähnlich hatte sich die VNW-Expertin und andere Vertreter der Hamburger Bauwirtschaft kürzlich in einer Anhörung des Stadtentwicklungsausschusses der Bürgerschaft geäußert. Dabei gab es aber Kritik an einer Ausnahmeregelung: Denn die Behörden können die Schaffung von Kfz-Stellplätzen laut Senatsdrucksache sogar ausdrücklich „untersagen“, wenn das Grundstück gut an den ÖPNV angebunden ist, eine Überlastung der öffentlichen Wege und Verkehrsknoten in der Gegend drohe – oder „aus anderen Gründen im öffentlichen Interesse“. Dazu könnten etwa „Flächenknappheit und Aspekte des Umweltschutzes“ zählen.

„Das leuchtet mir nicht ein“, sagte der auf Immobilienprojekte spezialisierte Rechtsanwalt Johannes Conradi im Ausschuss. Denn viele Senioren, Familien mit Kindern oder Menschen mit Behinderung seien doch auf ihren Pkw angewiesen. Ein Stellplatzverbot sei nicht in ihrem Sinne.

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Einordnen kann der Senat das, wenn er demnächst selbst dem Ausschuss Auskunft zu dem Thema geben soll. Dann wird er möglicherweise auf einen Passus in seinem Gesetzentwurf verweisen, wonach die Behörden bei bestehenden Gebäuden umgekehrt die Schaffung von Stellplätzen für Kraftfahrzeuge verlangen können. So oder so: Bevor die neue Hamburger Bauordnung Anfang 2026 in Kraft tritt, dürfte das Thema noch für einige hitzige Diskussionen sorgen.