Hamburg. In Lokstedt werden bis zu 100 Milliarden Dioden und Transistoren pro Jahr gefertigt. Das Abendblatt durfte hinter die Kulissen schauen.

Schutzanzug, Mundschutz, Haube, Handschuhe – die Gesichter der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Fabrik in Lokstedt sind kaum zu erkennen. Wer es nicht besser weiß, könnte denken, hier werde mit Viren und Bakterien hantiert. Doch die Ausrüstung ist nicht für den Schutz der Beschäftigten gedacht, sondern für die empfindlichen Produkte, die sie herstellen. Denn hier, mitten in Hamburg, werden Halbleiter, Dioden und Transistoren gefertigt – Hunderttausende jeden Tag.

Die Fabrik an der Stresemannallee gehört der Firma Nexperia. Das Unternehmen ist nach Angaben von Deutschlandchef Stefan Tilger der weltweit führende Hersteller von Halbleitern, Dioden und Transistoren, sogenannte diskrete Halbleiter. Die Produkte aus Hamburg sind verbaut in Fernbedienungen, Smartphones, Kameras, Computern, Fernsehern, Autos. Zu den Kunden gehören Bosch, Tesla, Hyundai, ZF, aber auch Nokia, Siemens, Dell, Asus, Dyson, Sony, Canon, Microsoft, Samsung und Lenovo.

Hamburgs größte Chipfabrik: Nexperia fertigt bis zu 100 Milliarden Halbleiter pro Jahr

Mit hochkomplexen Computerchips seien sie nicht zu vergleichen. Die Chips, die hier in Lokstedt entstehen, seien die „Schrauben und Muttern“ der Elektronik, sagt Tilger. Sie dienten der Ausführung einzelner, elektronischer Funktionen. Bis ein Nexperia-Chip verbaut wird, hat das Produkt einen weiten Weg hinter sich. Ganz am Anfang des Prozesses steht feiner Sand, der zu Kristallen aus Polysilizium verarbeitet wird. Dieses wird geschmolzen in lange Zylinder geformt und anschließend in hauchdünne Scheiben, sogenannte Wafer, geschnitten. Die Standard-Wafer haben einen Durchmesser von 200 Millimetern. Sie bilden die Grundlage für die Produktion von Mikroelektronik in Lokstedt.

Denn auf diese Wafer werden – mitten in Hamburg – in einem komplizierten und extrem aufwendigen Verfahren über vier bis sechs Wochen die Microchips aufgebracht. Je nach Produkt können bis zu 500.000 Teile auf einer einzigen Scheibe Platz finden. Tomi Hrkac ist für die Produktionsqualität am Standort zuständig und kennt die Abläufe in der Fabrik genau. „Zuerst werden die Wafer in Öfen mit bis zu 1200 Grad Celsius geschoben. Dort entsteht durch thermale Oxidation eine dünne, nicht leitende Schutzschicht“, sagt Hrkac.

Nexperia: Chips durchlaufen in Hamburger Fabrik aufwendiges Verfahren

„In sogenannten Lithografen werden die richtigen Positionen der winzigen Chips auf den Wafern markiert. Dafür werden sie mit einem dünnen Film aus Fotolack bedeckt und anschließend an den richtigen Stellen belichtet, sodass Markierungen zurückbleiben“, sagt Hrkac. Um Fehler zu vermeiden, ist der gesamte Bereich mit gelbem Licht ausgestattet – wie in einem Fotolabor. Durch ein kompliziertes, vielstufiges Verfahren mit Ätzungen, Ionen-Implantation und dem Aufbringen von Metallen werden die Bauteile schließlich Schicht für Schicht auf den Wafern aufgebaut.

Nexperia: Hinter den Kulissen von Hamburgs größter Chipfabrik

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Diese Wafer, Scheiben aus Silizium, bilden die Grundlage für die Chipproduktion in Lokstedt. Darauf werden die winzigen Halbleiter, Dioden und Transistoren aufgebracht, das ist die erkennbare Maserung. Auf einem Wafer finden bis zu 500.000 Teile Platz. © Nexperia | Nexperia
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In der Fabrik gelten große Sicherheitsstandards und Hygienevorgaben. So darf die Wafer-Fabrik nur in Schutzausrüstung betreten werden. © Nexperia | Nexperia
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1964 war das noch anders, wie dieses historische Foto zeigt. © Nexperia | Nexperia
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Die Wafer werden in einem Brennofen mit bis zu 1200 Grad Celsius erhitzt. © Nexperia | Nexperia
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Die Maschinen im Nexperia-Werk befinden sich in sogenannten Grauräumen. Die Beschäftigten arbeiten auf der anderen Seite der Wand und interagieren nur mit der Vorderseite der Maschinen. © Nexperia | Nexperia
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Nicht nur die Hygienestandards haben sich weiterentwickelt, auch die Technik: So sah die Prüfung der Chips im Reinraum in den 1980er-Jahren aus. © Nexperia | Nexperia
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Das Chip-Design erfolgte früher am Zeichenboard. Heutzutage werden neue Bauteile am Computer entwickelt. © Nexperia | Nexperia
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Die Fabrik in Lokstedt hat eine lange Geschichte. Den Anfang nahm er mit der Valvo-Radioröhren-Fabrik. © Nexperia | Nexperia
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Ab 1924 wurden an der Stresemannallee Radioröhren gefertigt. Dafür musste das Glas aufwendig geblasen werden. © Nexperia | Nexperia
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Der Werkseingang der heutigen Nexperia-Fabrik im Wandel der Zeit: Hier in den 1960er-Jahren... © Nexperia | Nexperia
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... unter dem Namen Philips Semiconductors in den 1990er-Jahren... © Nexperia | Nexperia
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... und 2017 nach der Ausgründung von Nexperia. © Nexperia | Nexperia
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„Diese Prozesse werden so oft wiederholt, bis alle Elemente an ihrem Platz sind“, sagt Hrkac. Der Großteil der Produktion findet im Reinraum statt. Denn schon kleinste Verunreinigungen könnten einen Wafer unbrauchbar machen und damit Zehntausende Produkte zerstören.

„Hier ist die Luft extrem sauber“, sagt Hrkac. In der normalen Außenluft kommen Hunderttausende Partikel auf einen Kubikmeter Luft. „Im Reinraum sprechen wir von Werten von etwa 1000 Partikeln pro Kubikmeter.“

Bei Nexperia in Hamburg gelten höchste Hygienestandards

Deshalb müssen alle Beschäftigten und Besucher eine komplette Schutzausrüstung tragen. Wer den Reinraum betreten will, muss zunächst mehrere Luftschleusen passieren. „Außerdem minimieren wir den Kontakt zwischen Mensch und Produkt. Soweit es geht, wird alles automatisiert gemacht. Die Wafer dürfen nicht angefasst werden“, sagt Hrkac. Sind die Halbleiter fertig, werden sie an die vier Nexperia-Standorte in Asien verschickt. Diese zersägen die Wafer in die einzelnen Chips, testen diese und setzen sie dann in ihre Gehäuse ein.

Nach und während der Produktion werden die Wafer und die Chips darauf immer wieder auf Qualität und Funktionalität überprüft. Alles, damit die ausgelieferten Produkte am Ende auch wirklich funktionieren. „Wir produzieren hier jährlich etwa eine Million Wafer, das entspricht rund 100 Milliarden Halbleitern“, sagt Tomi Hrkac. Und das im Dauerbetrieb: Seit den 1950er-Jahren habe die Fabrik im Grunde nicht mehr stillgestanden.

Nexperia investiert 200 Millionen Dollar in den Standort Hamburg

Aktuell wird an vielen Stellen in der Fabrik gebaut, eine Folge der Expansion des Konzerns am Standort Hamburg. Im Sommer hatte Nexperia Investitionen von 200 Millionen Dollar in den kommenden zwei Jahren angekündigt. Leisten kann es sich das Unternehmen allemal. Der Gesamtkonzern machte 2023 einen Umsatz von 2,1 Milliarden Dollar, der deutsche Ableger immerhin 389 Millionen Euro Umsatz bei einem Gewinn von 11,8 Millionen Euro.

Die Folgen der Investitionen in Hamburg sind sichtbar. Einige Räume sind mit Planen abgedichtet, darin werden bereits die neuen Maschinen aufgestellt. Direkt nebenan wird ganz normal weitergearbeitet. Die Mitarbeiter arbeiten im Drei-Schicht-Betrieb, mehr als 550 Beschäftigte bedienen die Maschinen in der Fabrik, hinzu kommen Teamleiter, Ingenieure und Techniker.

Rund 1600 Menschen aus 53 Nationen sind am Nexperia-Standort Hamburg beschäftigt. Der umfasst weit mehr als die reine Produktion. In den Laboren in Lokstedt werden die Chips geprüft, etwa auf ihre Lebensdauer. „Dort führen wir Stresstests durch, die den Lebenszyklus eines Produkts im Schnelldurchlauf simulieren“, sagt Jeannette Wulfhorst. Sie ist Teamleiterin im Bereich Forschung und Entwicklung bei Nexperia. Ihre Aufgabe: Dafür zu sorgen, dass beim Chiphersteller genau das entwickelt wird, was die Kunden benötigen. „Bei uns läuft alles zusammen. Wir sind die Schnittstelle zwischen allen Abteilungen.“

Nexperia-Fabrik am Standort in Lokstedt gibt es seit 100 Jahren

Eine weitere wichtige Aufgaben ihrer Abteilung ist die Entwicklung neuer, effizienterer Produkte sowie die Optimierung der Abläufe und Prozesse. „Das ist hier eine besondere Herausforderung, weil unser Platz stark begrenzt ist“, sagt Wulfhorst. Überraschend: Den Standort in Lokstedt gibt es schon seit 100 Jahren, die Fabrik ist organisch gewachsen. „Deshalb stehen hier Generationen von Maschinen nebeneinander. Das zeigt auch die Wandlungsfähigkeit des Betriebes.“

Gegründet wurde das Werk in Eimsbüttel 1924 als Valvo Röhrenfabrik, schon drei Jahre später übernahm der niederländische Elektronikkonzern Philips. Bis in die 1950er-Jahre wurden dort ausschließlich Vakuumröhren für die Radiotechnologie produziert. Ab 1953 begann die Entwicklung von Dioden und Transistoren, ab 1957 wurde dies dann zum Hauptgeschäft des Hamburger Werkes.

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2006 firmierte die Halbleitersparte Philips Semiconductors um zu NXP, 2017 wurde der Bereich Standard-Produkte ausgegliedert und unter dem Namen Nexperia weitergeführt. 2019 hat dann das chinesische Unternehmen Wingtech Technology den Konzern übernommen.

Die Investition der vergangenen und künftigen Jahre sollen den Standort Hamburg stärken. „Die Entwicklung im Automobilsektor ist ein echter Bedarfstreiber für die Halbleiterindustrie“, sagt Deutschlandchef Stefan Tilger. In den aktuell entstehenden Produktionslinien sollen künftig neue, modernere und vor allem effizientere Chips aus Siliziumkarbid und Galliumnitrid gefertigt werden. „Diese Chips sind ein wichtiger Faktor in der Energiewende und die Zukunft der Halbleiterproduktion“, sagt Tilger.

Auf das Werk kommt also einmal mehr eine große Veränderung zu. Für Jeanette Wulfhorst ist klar, dass das kein Problem werden wird: „Die Wandlungsfähigkeit hat der Standort schon oft bewiesen.“