Hamburg. Dieser Stoff machte die Entwicklung der Nivea Creme möglich – und den Aufstieg des Konzerns. Ein Blick hinter die Kulissen.

Es rauscht, surrt, brummt und rattert, als eine Gruppe Männer und Frauen in weißen Kitteln, Sicherheitsschuhen und Schutzbrillen durch die Sicherheitstür tritt. Dahinter ist es sehr warm, laut – und es riecht ein bisschen streng. Ihre Smartphones mussten die Besucher vorher abgeben, denn in diesem Teil des Beiersdorf-Werks herrscht Explosionsgefahr.

Die Fabrik ist das Werk 2 von Beiersdorf in Billbrook, und die Besucher sind die Vorstände des Konzerns sowie Ralf Neubauer, Leiter des Bezirksamts Mitte. Der Anlass: Seit 100 Jahren produziert Beiersdorf hier an der Berzeliusstraße Eucerit. Dieser Stoff bildet unter anderem die Grundlage für die ikonische Nivea Creme und damit für den Erfolg des Unternehmens Beiersdorf.

Nivea-Werk in Billbrook: Hier entsteht das „Gold von Beiersdorf“

Nicht umsonst bezeichnet Werksleiterin Natacha Schwaller Eucerit als „das Gold von Beiersdorf“. Vor 100 Jahren begann im Werk Billbrook die industrielle Produktion des Nivea-Grundstoffs. „Ein Meilenstein für das Unternehmen Beiersdorf“, sagt Vorstandschef Vincent Warnery. „Wir sind die Erfinder der modernen Hautpflege.“ Hier im Werk 2 werde ein besonderer Rohstoff zu einem „magic ingredient“, einer magischen Zutat, so Warnery. Der Vorstandsvorsitzende ist bei seinem Besuch voll des Lobes für die 22 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Beiersdorf 100 Jahre Eucerit-Produktion in Werk 2 in Billbrook
Ein Teil des Teams, das für die Eucerit-Produktion verantwortlich ist. 22 Beschäftigte arbeiten in dem Beiersdorf-Werk in Billbrook. © Beiersdorf AG | Isadora Tast

In diesem Jahr wolle das Team einen neuen Rekord aufstellen, sagt Bereichsleiter Alexander Szwargrzyk. „Wir wollen 700 Tonnen Eucerit produzieren. Da sind wir auf einem guten Weg“, sagt er, reichlich stolz auf sein Team. Nahezu die gesamte Menge werde unternehmensintern verwendet, der Großteil sogar in Hamburg, in Eimsbüttel, wo die Nivea Creme produziert wird. Der Rest geht von Hamburg in Beiersdorf-Werke auf der ganzen Welt.

Grundlage der Nivea Creme: Eucerit machte Beiersdorf-Aufstieg möglich

Die Geschichte und der Erfolg des DAX-Konzerns sind eng mit dem Siegeszug von Eucerit verbunden. Erfunden von Isaac Liftschütz im Jahr 1900, wurde das Potenzial des Gemischs aus dem Wollwachs von Schafen schnell erkannt. Ab 1903 wurde es unter dem Namen Eucerit vermarktet. 1911 kaufte Oscar Troplowitz für Beiersdorf die Patentrechte für Eucerit. Noch im selben Jahr wurde mithilfe des ersten Wasser-in-Öl-Emulgators, der für die industrielle Produktion zur Verfügung stand, eine schneeweiße Creme entwickelt. Aufgrund ihres Aussehens erhielt sie den Namen Nivea, „die Schneeweiße“.

Beiersdorf feiert 100 Jahre Eucerit-Produktion 
Werbung für Nivea Creme aus dem Jahr 1948 © Beiersdorf AG | Beiersdorf AG

Thorsten Finke ist Historiker und Hüter des Beiersdorf-eigenen Archivs. „Nach der Fertigstellung des Werks im Jahr 1924 hat sich die Fläche innerhalb von fünf Jahren von 1500 auf 15.000 Quadratmeter verzehnfacht“, sagt Finke. Dies sei ein deutliches Zeichen für den Erfolg der Nivea Creme, die ab 1925 in der ikonischen blauen Dose vertrieben worden sei, so der Historiker. Mit der Erfindung von Eucerit habe die Entwicklung von Beiersdorf enorm Fahrt aufgenommen, auch international.

Hamburg: „Gold von Beiersdorf“ wird aus der Wolle von Schafen gewonnen

Doch, was macht den Stoff so besonders? Eucerit ist eine beigefarbene körnige Masse, geruchslos, wasserunlöslich. Wieso wird es als das „Gold von Beiersdorf“ bezeichnet? Eucerit ist ein Emulgator. Es ermöglicht, zwei nicht miteinander mischbare Flüssigkeiten – wie etwa Wasser und Öl – zu einer Emulsion, einem fein verteilten Gemisch zu vermengen und zu stabilisieren. Mit Eucerit gelang dies laut Beiersdorf weltweit zum ersten Mal.

Beiersdorf feiert 100 Jahre Eucerit-Produktion 
Ein Foto des Werks in Billbrook aus dem Jahr 1968. © Beiersdorf AG | Beiersdorf AG

Der wahrscheinlich wichtigste Stoff der Unternehmensgeschichte von Beiersdorf ist aber keine hochkomplexe Mischung unterschiedlicher chemischer Bestandteile. Es ist im Grunde ein Naturprodukt. Eucerit wird aus Wollwachs gewonnen, das aus Schafswolle stammt. Deshalb riecht es in Teilen des Werkes stark nach den Tieren. Das Wachs wird aus der Wolle herausgewaschen, in große Fässer gefüllt und nach Billbrook geliefert.

Hamburg-Billbrook: 22 Beschäftigte versorgen ganzen Konzern mit Eucerit

Beiersdorf 100 Jahre Eucerit-Produktion in Werk 2 in Billbrook
Chemikantin Ann-Christin Müller in der Abfüllung des Werks. Wie viele Beschäftigte dort hat sie ihre Ausbildung bei Beiersdorf absolviert. © Beiersdorf AG | Isadora Tast

Im dortigen Werk beginnt das Team mit der Verfeinerung des Grundstoffs. Das Wollwachs wird chemisch gespalten, sodass ein Alkohol entsteht. Mithilfe eines ausgeklügelten Verfahrens und der Erhitzung im Vakuum werden unerwünschte Moleküle und Lösemittel aus dem Spaltungsprozess verdampft. „Wie in einer Schnapsbrennerei“, erklärt einer der Mitarbeiter. Anschließend wird das Produkt mit Aktivkohle gereinigt. So bekommt es seine helle Farbe und verliert den Schafsgeruch. Dann wird das flüssige Eucerit abgefüllt und nach dem Abkühlen in die Beiersdorf-Werke verschickt.

In der Messwarte des Werks kontrollieren die Mitarbeiter in Zusammenarbeit mit dem Labor die Anlagen, justieren nach, wenn nötig. „Weil das Wollwachs ein Naturprodukt ist, ist jede Charge einzigartig“, sagt ein Mitarbeiter. „Die Maschinen sind zwar hochautomatisiert, aber nur die Mitarbeiter können die hohe Qualität und eine möglichst hohe Ausbeute gewährleisten“, erklärt Bereichsleiter Alexander Szwargrzyk. Viele der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind seit Jahren bei Beiersdorf, haben im Betrieb gelernt, alle kennen sich mit Vornamen.

Beiersdorf 100 Jahre Eucerit-Produktion in Werk 2 in Billbrook
Maria Bui und Ann-Christin Müller in der Messwarte des Werks. © Beiersdorf AG | Isadora Tast

Beiersdorf AG: Eucerit als Grundlage für Nivea und den Erfolg des Unternehmens

Dass das Team im Mittelpunkt steht, ist selten, auch weil die Konzernzentrale und die Nivea-Produktion in Eimsbüttel liegen. „Billbrook ist ehrlicherweise nicht der Stadtteil, den man in Hamburg mit Beiersdorf verbindet“, sagte auch Ralf Neubauer, Bezirksamtschef von Hamburg-Mitte. „Ich denke da meist an die Beiersdorfstraße im Herzen von Eimsbüttel.“ Umso beeindruckter sei er gewesen, was das kleine Team an der Berzeliusstraße leiste.

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Ihm sei es ähnlich gegangen, als er vor zwölf Jahren das erste Mal das Werk besucht habe, sagte Michael Frey, ein hochrangiger Manager bei Beiersdorf. „Ich kam frisch zu Beiersdorf und war direkt begeistert. Dabei war mir damals noch gar nicht bewusst, was hier passiert und wie bedeutend das ist“, sagte Frey. „Unser Eucerit hat es in die Welt geschafft. Hier wurde die Hautpflege industrialisiert.“

So wichtig Eucerit auch für Beiersdorf ist, so gering ist der Anteil in der ikonischen Nivea Creme. Der Grundstoff macht nur einen winzigen Bruchteil aus. Aber er bildet auch die Grundlage für Eucerin, das mittlerweile eine eigene Beiersdorf-Marke für medizinische Hautpflege ist. Und: Es ist der einzige Grundstoff, den Beiersdorf selbst herstellt.