Hamburg. Online-Shopping und mit Karte zahlen: Das ist für viele Menschen in Betreuung unmöglich. Wie Hamburger Start-up Parto das lösen will.

  • Hamburger Start-up Parto: Die Idee dahinter könnte Millionen Menschen helfen.
  • Unternehmen zielt auf ein Problem bei der Betreuung von Menschen ab.
  • Digitale Bezahlinfrastruktur soll für mehr Teilhabe und sinkende Prozesskoten sorgen.

Einen Einkauf mit Karte bezahlen, Klamotten im Internet bestellen oder Serien auf Netflix streamen – was für viele Menschen normal ist, wird für Menschen in Betreuungseinrichtungen zum Problem. Denn sie haben meistens nur Zugriff auf Bargeld. Digitale Teilhabe? Fehlanzeige. Ein Start-up aus Hamburg will das nun ändern.

Die junge Firma trägt den Namen Parto und arbeitet an einem digitalen Zahlungsmittel für Menschen in Betreuung. Für ihre Idee wurden die Gründer Jes Hennig, Christoph Roling und Thomas Heuck kürzlich mit dem GründerGeist, dem Start-up-Preis der Hamburger Wirtschaftsjunioren, ausgezeichnet. „Gute Ideen machen die Gesellschaft besser“, sagte Carmen Ludwig vom Start-Hub der Körber-Stiftung bei der Preisverleihung. Und bei Parto sah die Jury Potenzial dafür.

Parto: Hamburger Start-up sammelt 2,5 Millionen Euro von Investoren ein

Das Potenzial der Idee von Parto haben offenbar auch Investoren erkannt. In einer Finanzierungsrunde habe das Hamburger Start-up 2,5 Millionen Euro von Investoren wie Heal Capital und Motive Ventures einsammeln können, heißt es von Parto.

Mehr als vier Millionen Menschen in Deutschland werden in Alten- und Pflegeheimen, Wohngemeinschaften, Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen sowie Kinder- und Jugendheimen betreut. Viele dieser Menschen können oder dürfen nicht selbst über ihr Geld verfügen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Einrichtungen kümmern sich um die Finanzen der Betreuten – und das bedeutet einen erheblichen Aufwand. Denn: Alle Transaktionen finden mit Bargeld statt.

GründerGeist 2024
Das Start-up Parto gewann den ersten Preis beim GründerGeist der Hamburger Wirtschaftsjunioren. © Marvin Mertens | Marvin Mertens

„Die Klienten erhalten Geld über Regelungen im Sozialgesetzbuch. Die Verwaltung der Finanzen, des sogenannten Taschen- oder Verwahrgeldes, übernehmen die Mitarbeiter in den Pflegeeinrichtungen“, sagt Jes Hennig. Einmal im Monat werde Geld vom Konto der Klienten abgehoben, von dem die Dinge des täglichen Bedarfs gekauft und bezahlt werden – in bar. Das Geld der Klienten wird meist in Form von Scheinen und Münzen in Briefumschlägen und Kassen aufbewahrt.

Pflege: Verwahrgeldsystem ist umständlich und fehleranfällig

„Die Mitarbeiter müssen den Papierbeleg vom Einkaufen mitnehmen, kopieren, das Wechselgeld zurück in den Briefumschlag legen, wo das Geld gehortet wird. Die Originalbelege müssen in einem Ordner eingeklebt oder abgeheftet werden, der dann regelmäßig an die Buchhaltung geht. Die Buchhaltung tippt alles manuell ab, kontrolliert, ob der Bargeldbetrag in dem Briefumschlag mit den Ausgaben übereinstimmt, und das kommt nicht immer hin“, sagt Jes Hennig.

„Oft müssen Mitarbeiter sogar in die Privatauslage gehen, weil der Kassenwart nicht da ist, um die Kasse zu öffnen“, sagt Christoph Roling, Mitgründer und verantwortlich für die Produktentwicklung bei Parto. „Das ist für die Beschäftigten ein absoluter Albtraum, weil jede Transaktion, die in bar getätigt wird, manuell festgehalten werden muss. Auch für die Angehörigen, die das Geld für ihre Familienmitglieder verwahren, ist es sehr kompliziert.“

„Menschen in Betreuung haben keine Chance auf digitale Teilhabe“

Diese Prozesse sind zeitaufwendig, unsicher und vor allem: ungerecht. „Menschen in Betreuung haben so keine Chance auf digitale Teilhabe. Sie können nicht mit Karte bezahlen, nicht online einkaufen, keine digitalen Zahlungsmittel wie Paypal oder Klarna nutzen, sich keinen Netflix- oder Spotify-Account mit ihrer Wohngruppe teilen“, sagt Hennig.

„Es arbeiten in Deutschland mehr als 800.000 Menschen in Pflegeeinrichtungen, und die beschäftigen sich derzeit mit ganz vielen administrativen Aufgaben, wovon ein großer Teil die Bargeldverwaltung ist. Und das, obwohl es in der Sozialwirtschaft einen erheblichen Fachkräftemangel gibt“, so Hennig. Zudem nimmt die Zahl der Pflegebedürftigen zu, ein Trend, der sich auch in den kommenden Jahren fortsetzen dürfte, wie Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen.

Parto: Digitale Bezahllösung für Menschen in Betreuung

Die Lösung für diese Probleme liegt für die Gründer von Parto auf der Hand: eine digitale Bezahllösung für Menschen in Betreuung. „Das funktioniert recht simpel über ein Geschäftskonto und ein Treuhandsammelkonto, die die Einrichtung als unser Kunde bei uns eröffnet“, sagt Roling. „Auf diesem Treuhandsammelkonto gibt es für jeden Klienten der Einrichtung ein eigenes Unterkonto.“

Das Bezahlen funktioniere ganz einfach mit einer Visa Debitkarte. Der Betreuer könne für jeden Einkauf den Klienten auswählen und der Geldbetrag des Unterkontos werde automatisch angepasst, sagt der Gründer. „Die Belege können über unsere App hochgeladen werden, und am Ende wird die Abrechnung noch einmal kontrolliert und, wenn alles stimmt, bestätigt.“ Wie viel Geld pro Konto zur Verfügung stehe und welche Funktionen genutzt werden dürften, könne individuell eingestellt werden, so Roling.

Hamburger Start-up: Team hat viel Erfahrung im Finanzbereich

Das Team des Start-ups hat Erfahrung im Banking- und Fintech-Bereich, arbeitete gemeinsam an der „Taschengeld-App“ Ruuky, einer Neo-Bank für Jugendliche. Der Start von Ruuky war vielversprechend, Hunderttausende nutzen die App. Doch der Aufbau einer Neobank gestaltete sich teurer als gedacht, die Marktlage war schwierig. „Trotz unserer guten Entwicklung haben wir es nicht geschafft, im derzeitigen Marktumfeld neues Kapital einzusammeln“, sagte Hennig damals. Um eine Insolvenz zu vermeiden, wurde die GmbH mitsamt des Teams an Blau direkt verkauft.

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Parto-Geschäftsführer Hennig war zuvor bei Comdirect, der Commerzbank und JP Morgan tätig. Roling arbeitete lange bei Finanzcheck, bevor er bei Hennigs Neobank Ruuky einstieg. An Expertise mangelt es den Gründern also nicht. Und auch der Bedarf für ihre Bezahllösung sei da, sagt Hennig.

Start-up Parto aus Hamburg will mit besonderer Idee Deutschland erobern

„Wir haben viele Gespräche geführt, mit Beschäftigten, Klienten und auch mit den Geschäftsleitungen von Pflegeeinrichtungen. Es war für mich echt bewegend und traurig zu sehen, wie wenig digitale Teilhabe es gibt“, so der Gründer. Eine Bank sei Parto aber nicht, die Konten würden bei einer Volksbank eröffnet, das Start-up liefere nur die Software zwischen Betreuungseinrichtung und der Bank.

Mit der Diakonie Nord-Nord-Ost, die ihren Sitz in Lübeck hat, habe das junge Unternehmen einen ersten Partner gefunden. „Wir sind eine Kooperation eingegangen, die nachhaltigen Nutzen generiert, da hier eine Lösung entstanden ist, die auf konkrete Anforderungen aus dem Alltag eingeht“, sagt Frank Reimer von der Diakonie Nord-Nord-Ost.

„Dank weiterer Entwicklungspartner, die uns jetzt schon Mittel zur Verfügung stellen, müssen wir aktuell keine großen Finanzierungsrunden machen und können trotzdem unser Team bezahlen und das Produkt weiterentwickeln“, sagt Hennig. Anfang 2025 soll Parto an den Start gehen. Wenn es gut läuft, will das Start-up möglichst den gesamtdeutschen Raum mit seiner Bezahllösung bespielen.