Hamburg. Protokolle der Zeugenvernehmungen sind eigentlich geheim – doch jetzt gibt es Ausnahmen. Wen sie betreffen und wie man sie lesen kann.

Die Erinnerungslücken von Olaf Scholz in der Cum-ex-Affäre sind mittlerweile legendär. Wer den Namen des Bundeskanzlers und das Wort „Erinnerung“ googelt, stößt auf Tausende Berichte aus dem ganzen Bundesgebiet, die das Phänomen beschreiben, analysieren – oder sich sogar in Karikaturen oder Memes darüber lustig machen. Es ist ein wenig wie mit der Fußballnationalmannschaft: Gefühlt alle der 82 Millionen Bundesbürgerinnen und -bürger scheinen eine Meinung dazu zu haben.

Tatsächlich verfolgt haben die beiden stundenlangen Vernehmungen vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) der Hamburgischen Bürgerschaft indes nur einige Handvoll Journalisten sowie ein paar Dutzend Zuschauer. Berichte wie die im Abendblatt und in anderen Medien fokussierten sich vor allem auf das, was Scholz nach eigener Aussage nicht mehr wusste, und gingen mehr oder weniger kritisch mit diesen Erinnerungslücken ins Gericht.

Cum-ex-Affäre: Was Olaf Scholz im Wortlaut dazu gesagt hat

Etwas in der Hintergrund trat dabei, was Scholz dennoch alles gesagt hatte – denn das war abseits des konkreten Falles durchaus eine ganze Menge, etwa zu den politischen Abläufen im Rathaus, zum Umgang mit Gästen des Bürgermeisters, zu seinem Verhältnis zu dem Warburg-Bankier Christian Olearius und zu Cum-ex-Geschäften allgemein. Und all das kann nun erstmals im Wortlaut nachgelesen werden.

Denn während die Protokolle von Sitzungen des Untersuchungsausschusses grundsätzlich geheim sind, wird nun eine Ausnahme gemacht: Die Vernehmungen von Olaf Scholz werden ebenso veröffentlicht wie die von Bürgermeister Peter Tschentscher, Finanzsenator Andreas Dressel (alle SPD) und dessen früherem Vorgänger Wolfgang Peiner (CDU).

SPD will mit Protokoll-Veröffentlichung Transparenz herstellen

Zu finden sind sie in der Parlamentsdatenbank der Bürgerschaft: Einfach unter https://www.buergerschaft-hh.de/parldok den Suchbegriff „cum“ eingeben und unter Dokumententyp das Wort „Ausschussprotokoll“ anklicken – dann werden die ersten vier Protokolle angezeigt. Weitere sollen demnächst folgen, sagte der SPD-Obmann im PUA, Milan Pein, dem Abendblatt. „Wir haben das PUA-Gesetz geändert und dann konsequent einen Antrag auf Veröffentlichung dieser wichtigen Zeugenaussagen gestellt“, so Pein. „Damit stellen wir Transparenz her.“

Tatsächlich geht es vor allem der SPD auch darum, der „Waffenungleichheit“, die auch Scholz in seiner Vernehmung kritisiert hatte, etwas entgegenzusetzen. Immer wieder hatten sich die Sozialdemokraten darüber echauffiert, dass geheime Informationen aus dem PUA oder sogar aus der federführenden Staatsanwaltschaft Köln gezielt an Medien weitergegeben worden waren, während die Behörden aufgrund des Steuergeheimnisses nicht konkret darauf eingehen durften.

Cum-ex-Deals waren Milliardenbetrug an den Steuerzahlern

So sei „die Berichterstattung gelenkt“ worden, hieß es im Antrag von SPD und Grünen zur Änderung des PUA-Gesetzes. Von der Veröffentlichung der Protokolle verspreche man sich, „die sachliche Aufklärungsarbeit zu fördern“.

Mithilfe der mittlerweile verbotenen Cum-ex-Deals hatten sich Banken und andere Finanzinstitute Steuern in Milliardenhöhe erstatten lassen, die sie nie gezahlt hatten. Im Hamburger PUA geht es um die Frage, warum die Finanzämter in den Jahren 2016 und 2017 darauf verzichtet hatten, von der Warburg-Bank insgesamt rund 90 Millionen Euro aus solchen Geschäften zurückzufordern, und welche Rolle der damalige Bürgermeister Scholz und Finanzsenator Tschentscher dabei spielten.

Welche Rolle spielten Scholz und Tschentscher bei Cum-ex?

Während CDU, Linke und AfD es als mehr oder weniger erwiesen darstellen, dass die beiden Politiker ihre Finger im Spiel hatten, haben Scholz und Tschentscher dies stets zurückgewiesen. Die SPD verweist darauf, dass es keinerlei Beweise für diese Behauptung gebe und mehr als 50 Zeugen erklärt hätten, dass sie von einer politischen Einflussnahme nichts mitbekommen hätten.

Mit der Veröffentlichung der Protokolle können sich die Bürger nun selbst ein umfassendes Bild von den Vernehmungen machen. Allein der erste Zeugenauftritt von Scholz im April 2021, damals noch als Bundesfinanzminister, nimmt mehr als 50 Seiten ein, der zweite im August 2022 sogar mehr als 60.

Cum ex: 250-mal geht es um Olaf Scholz‘ Erinnerungslücken

Wer will, findet dort reichlich Ansatzpunkte für beide Sichtweisen, die be- und die entlastende. So erklärte Scholz beispielsweise sehr detailliert, wie zurückhaltend er als Bürgermeister grundsätzlich mit allen Gästen umgegangen sei, die etwas von ihm wollten: „Ich gebe keine Zusagen und verspreche nichts.“ So habe er es auch mit den prominenten Bankern gehalten: „Es hat keine Vorzugsbehandlung für Herrn Olearius oder Herrn Warburg gegeben.“ Das gehe aus seiner Sicht auch aus den von Medien veröffentlichten Tagebucheinträgen von Olearius hervor.

Umgekehrt dokumentieren die Protokolle auch im Detail, wie sich Scholz in den Befragungen auf seine Erinnerungslücken zurückzog. Allein in seinem ersten Eingangsstatement kam er von sich aus 19-mal auf das Thema zu sprechen. Insgesamt wurde in beiden Befragungen zusammen an rund 250 Stellen seine Erinnerung thematisiert. Dabei räumt Scholz zwar ein, dass er sich in den betreffenden Jahren dreimal mit den Warburg-Inhabern getroffen und einmal zurückgerufen hat. Doch das wisse er auch nur aus den Berichten über die Tagebücher. Er habe „keinen Grund, an den Angaben von Herrn Olearius zu zweifeln“, so Scholz, „auch wenn ich sie aus eigener Erinnerung nicht bestätigen könnte“.

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An diesem Freitag beschäftigt sich der PUA mit den Cum-ex-Geschäften der HSH Nordbank. Unter anderem sagt der frühere Vorstandsvorsitzende Stefan Ermisch als Zeuge aus.