Hamburg. Sein Brot ist begehrt, sein Auftreten bemerkenswert. Erstmals reden frühere Arbeitgeber über ihre Erfahrungen mit dem schrillen Bäcker.

Der Backwarenladen im Erdgeschoss des Hauses Nummer 53 am Lehmweg in Hoheluft-Ost ist vergleichsweise klein. In der Glasvitrine liegen Franzbrötchen, Kekse und Brotsnacks. Davor stehen zwei Tischchen mit Stühlen für einen schnellen Cappuccino im Sitzen. In den Regalen hinter dem Verkaufstresen und in der Schaufensterauslage liegen Bürli-Brote mit krosser Kruste, Sylter Weißbrot und Ciabatta in diversen Varianten. Es sind Brote, die nach den Rezepten von Jochen Gaues gebacken sind.

Die Verkaufsstelle existiert seit gut fünf Jahren. Ihre Geschichte erzählt zugleich die Geschichte des Geschäftsmodells des Mannes, der lange Kultbäcker Jochen Gaues genannt wurde, aktuell aber überschuldet ist und in einer Privatinsolvenz steckt. Der Bäcker, dessen Brote bisweilen mit fast verbrannter Kruste aus dem Ofen kommen, hinterlässt bei seinen zuletzt sehr schnell wechselnden Arbeitgebern und Kooperationspartnern auch mal verbrannte Erde. Erstmals reden jetzt zwei seiner ehemaligen Chefs über ihre Erfahrungen mit dem schrillen Bäcker.

Hamburger Bäcker: Ex-Chef über Jochen Gaues – „Anfangs war es mit ihm ganz witzig“

Dazu muss man wissen, dass Jochen Gaues keiner dieser Bäcker ist, deren Arme an jedem Arbeitstag schon morgens um 4 Uhr tief im Teig stecken. Sein Kapital sind seine Rezepte, sein Name, seine Geschäftskunden und sein Ruf als Bäcker leckerer Brote. Die Geschäftskunden kaufen Brot am liebsten bei Firmen, die eng mit Gaues verbandelt sind – und wechseln bereitwillig den Lieferanten, sobald der Bäcker mal wieder weitergezogen ist.

Jochen Gaues hat 2002 mal eine Unternehmensinsolvenz hingelegt. Seitdem arbeitet er zumeist als Angestellter. Insbesondere in Hamburg hat er sich trotzdem einen gewissen Ruhm erworben. In einer Branche, in der man auf erfolgshungrige Manager von bundesweit tätigen Bäckereikonzernen ebenso trifft wie auf Investoren mit Renditehoffnungen. Und auf Herren mit mindestens zwielichtiger Milieu-Vergangenheit. Von einem davon wird später noch die Rede sein.

Jochen Gaues – der Bäckermeister ist auch ein Meister des Namedroppings

Zugleich ist Gaues eine schrille Persönlichkeit. Ziemlich laut, ausgeprägter Hang zu Kraftausdrücken, oft abgedreht crazy. Wer sich jemals länger als fünf Minuten mit ihm unterhalten hat, weiß, dass der Bäckermeister auch ein Meister des Namedroppings ist. In den ersten fünf Gesprächsminuten bringt er ungefragt und zuverlässig mindestens Cornelia Poletto, Tim Mälzer, den ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau, diverse Drei-Sterne-Köche und neuerdings Olaf Scholz unter. Der Kanzler hat im September bei einem Fest in Berlin von Gaues Brot genascht.

Seinen Drang zur Selbstdarstellung lebt Gaues in seinem Instagram-Account aus. Die jüngsten Videos und Fotos dort zeigen ihn mit Scholz, CDU-Chef Friedrich Merz und Marius Müller-Westernhagen. Manche seiner Kommentare dazu erschließen sich nur schwer. Jochen Gaues wäre ein idealer Kandidat für das RTL-Dschungelcamp. Und im Berufs- und Geschäftsleben legt er eine gewisse Sprunghaftigkeit an den Tag.

Jochen Gaues entwickelt gerade Rezepte für Tiefkühl-Brötchen

Das Geschäft mit Backwaren dreht sich nur am Rande darum, in wohlhabenden Hamburger Stadtteilen, Brot an Menschen zu verkaufen, die bedenkenlos 19 Euro für ein Kilo Walnuss-Sylter zahlen. Das ist im Grunde nur ein nettes Zubrot. Viel aussichtsreicher ist die Produktion für namhafte Gastronomen und große Handelskunden. Es geht um Ideen wie die, tiefgekühltes Gaues-Brot jenseits des Atlantiks zu verkaufen. Als das Abendblatt ihn vor einigen Tagen am Telefon erreicht, ist er in Bayern und sagt: „Wir entwickeln neue Rezepte für Tiefkühl-Brötchen.“

Doch zurück zum Lehmweg 53. Im ersten Corona-Jahr 2020 eröffnet dort die Bäckereifiliale. Über der Tür steht der Name „Der echte Gaues“, der Laden gehört zur Firma Brotmanufaktur Gaues GmbH. Sie backt in Schenefeld vor den Toren Hamburgs. Jochen Gaues ist ab dem 1. April 2020 angestellt bei dem Unternehmen, das seinen Nachnamen trägt.

Bäckereigeschäft Original 53
Fred Kramer vor dem Backwarenladen am Lehmweg in Hoheluft-Ost, der heute „Original 53“ heißt. Seine Zusammenarbeit mit Jochen Gaues sei „ein Riesenfehler“ gewesen, sagt der Investor. © Heiner Schmidt | Heiner Schmidt

Im Herbst 2021 lernt Fred Kramer Jochen Gaues kennen. „Ein guter Bekannter sagte: Ich kenne da einen Bäcker. Der ist zwar leicht verrückt, aber ganz interessant. Er sucht einen Investor, sprich doch mal mit ihm“, erinnert sich Kramer. Er lebt in Oldenburg und ist bis heute als Geschäftsführer, Mitinhaber, Inhaber von Immobilienunternehmen tätig. Projektentwicklung. Von Brot und Backen hatte Kramer damals keine Ahnung. „Es war ein ganz normales Investment für mich.“

Hunderte Weihnachtsstollen für bekannten Hamburger Gastronomen

Es ist eine günstige Gelegenheit: Die Brotmanufaktur Gaues hat einen Großkunden verprellt, weil sie nicht zuverlässig liefern kann. Der Kunde sucht einen neuen Lieferanten. Er möchte, dass auch dieser Lieferant mit Gaues zusammenarbeitet. Der Bäcker orientiert sich gerade neu, weil sein Arbeitgeber auf die Insolvenz zusteuert, zu der es 2022 tatsächlich kommt.

Kramers Zusammenarbeit mit Gaues lässt sich gut an: Schon im November 2021, der Bäcker ist noch bei der Brotmanufaktur angestellt, werden für ein Tochterunternehmen eines bekannten Hamburger Gastronomen Hunderte Weihnachtsstollen à la Gaues in der Oldenburger Stadtbäckerei produziert. Ab 1. März 2022 sind Jochen Gaues und seine Frau Elisabeth Angestellte von Kramers JG Food GmbH. Der Bäcker sichert der Firma den Vertrag mit dem Großkunden, und Kramer sagt über den Mann, dessen Initialen Teil des Firmennamens sind: „Anfangs war es mit ihm ganz witzig und er hat viele Versprechungen gemacht.“

Nach einem Jahr bekommt Gaues die fristlose Kündigung

Genau ein Jahr später und „nach diversen Abmahnungen unter anderem wegen Störung des Betriebsfriedens“, so Kramer, kündigt die JG Food GmbH Jochen Gaues fristlos. Zwischendurch ist viel passiert: Über dem Laden am Lehmweg steht seit 15. August 2022 „Jochen Gaues Original“, das Brot kommt seit Mitte des Jahres aus der Bäckerei von Dat Backhus an der Billstraße. Im November geben Backhus-Geschäftsführer Barbaros Arslan und Gaues eine gemeinsam mit Kramer eingefädelte Kooperation bekannt. In ausgewählten Filialen der Kette wird seither „Dat Gaues“-Brot angeboten.

Jochen Gaues, der es lustig findet, wenn er als „Prolet unter den Bäckern“ bezeichnet wird, hat sich in dem einen Jahr reichlich Kritiker, Gegner, Feinde geschaffen. Allen voran Fred Kramer. Die Zusammenarbeit mit Gaues sei „ein Riesenfehler“ gewesen, sagt er heute. Man habe oft nicht gewusst, was er eigentlich mache. So habe Gaues Brote aus der Filiale abgeholt und zu Restaurantkunden gebracht, ohne dass später Geld dafür in die Kasse kam. Ein heftiger Vorwurf, den das Abendblatt nicht überprüfen kann. Gaues reagierte nicht auf eine Anfrage dazu.

Das Auftreten gegenüber manchen Kunden und der Umgang mit den Kollegen in der Filiale sei „geradezu unterirdisch“ gewesen, sagt Kramer. „Er begegnet selbst gestandenen Bäckern wie Graf Koks. Schon in der Stadtbäckerei Oldenburg drohten Beschäftigte mit Kündigung, wenn sie weiter mit Gaues zusammenarbeiten müssen.“ Seine Aufgabe dort war, den Kollegen zu zeigen, wie man Brot nach seinen Rezepten backt.

Ex-Chef: Arbeit mit Gaues „anfangs lustig, langfristig herausfordernd“

Barbaros Arslan, bei dem Gaues ab dem 1. April 2023 befristet angestellt war, urteilt milder über seinen Ex-Mitarbeiter. „Mich hat er nicht verarscht und uns keinen Schaden zugefügt. Es gibt kein böses Blut zwischen uns“, sagt der Dat-Backhus-Chef. Die Zusammenarbeit sei „anfangs lustig, langfristig aber herausfordernd“ gewesen, man habe den Bäcker hin und wieder „auf den Pott setzen“ müssen.

Mehr zum Thema

Dann sagt Arslan zwei Sätze über Gaues, die ebenfalls aufhorchen lassen. „Sein Umgang mit Mitarbeitern war mit unserer Unternehmenskultur nicht vereinbar. Wir haben ihn weitgehend von anderen Beschäftigten ferngehalten.“ Das Abendblatt bat Gaues um eine Stellungnahme dazu, bekam aber keine Antwort. Backhus-Chef Arslan sagt, letztlich habe Jochen Gaues der Firma einige neue, gute Kunden gebracht. Der Bäcker arbeitet jetzt – wie vor Jahren schon einmal – mit der Schanzenbäckerei zusammen. Unter anderem.

Einem Ex-Rocker-Boss ist Jochen Gaues sehr nahe

In einer Eidesstattlichen Versicherung vom Mai 2023, die dem Abendblatt vorliegt, erklärt Gaues zudem, dass er mit der Firma XCash UG zusammenarbeitet. In mehreren Unternehmens-Datenbanken wird als Geschäftsführer dieser Firma Frank Hanebuth aus Wedemark bei Hannover genannt. Frank Hanebuth galt früher als Chef der Rockergruppe Hells Angels in Hannover. Dort, wo einst Jochen Gaues‘ Bäckerkarriere begann. Eine Anfrage des Abendblatts zu seinem Kontakt mit der XCash UG beantwortete Gaues nicht.

Fred Kramer sagt, wirtschaftlich sei für ihn die Zusammenarbeit mit Gaues kein Erfolg gewesen. „Aber ich habe viele interessante Leute kennengelernt.“ Doch warum spricht er überhaupt plötzlich öffentlich über seine Sicht auf Geschehnisse, die teils zwei Jahre zurückliegen und bei denen er wohl selbst nicht immer optimale Entscheidungen getroffen hat? „Ich will nicht, dass andere, so wie ich, auf Jochen Gaues hereinfallen.“

Laden am Lehmweg: Erst „Der echte Gaues“, dann „Jochen Gaues Original“, heute „Original 53“

Die JG Food GmbH hat Kramer verkauft. Hinter dem Laden am Lehmweg steht jetzt die O.53 GmbH, über der Ladentür ist „Original 53“ zu lesen. Wenn er Personal finde, könnten in den nächsten sechs Monaten weitere Läden in Hamburg folgen, sagt der Investor aus Oldenburg. In denen werden dann ebenfalls Brote nach Gaues-Rezept verkauft. Aber sonst werde nichts auf ihn hindeuten.