Hamburg. Diesmal geht es um sein Privatvermögen. Er sagt: „Ich musste mir Geld von meiner Mutter leihen. Ich kann es ihr nicht zurückzahlen.“
Der Vorgang trägt das Aktenzeichen 66 IN 100/23 und wird beim Amtsgericht Norderstedt geführt. Dahinter steht ein Verfahren, von dem es in Deutschland im vergangenen Jahr mehr als 65.000 gegeben hat. Sie sind ein Teil der Lebensrealität hierzulande, aber es liegt ein Tabu darauf. Dabei wird der Name jedes Betroffenen im Internet veröffentlicht. Doch geredet wird darüber nur mit gesenkter Stimme oder hinter vorgehaltener Hand. Es gilt als zu persönlich, zu peinlich, als ehrenrührig für die Beteiligten. Das Abendblatt berichtet allenfalls in besonderen Ausnahmefällen. Dies ist ein besonderer Ausnahmefall.
Der Mann, um den es geht, ist bundesweit bekannt, besonders aber in Hamburg. Der Begriff Kultbäcker ist – auch im Abendblatt – über die Jahre praktisch zu einem Bestandteil seines Namens geworden: Kultbäcker Jochen Gaues. Unter dem Aktenzeichen 66 IN 100/23 läuft ein Insolvenzverfahren über sein Privatvermögen. Offiziell heißt das Verbraucherinsolvenz, andere nennen es Privatpleite. „Man hat mir geraten, das zu beantragen“, sagt Gaues dem Abendblatt. Das Gericht hat seinem Antrag entsprochen. Jochen Gaues versucht gerade einen Berg Schulden loszuwerden.
Jochen Gaues überschuldet – neues Insolvenz-Drama um Kultbäcker
Soll man, darf man darüber berichten, dass einem Menschen die Ausgaben und finanziellen Verpflichtungen offenbar so sehr über den Kopf gewachsen sind, dass er nicht mehr alle Rechnungen bezahlen kann, die hereinkommen? Dass der Energieversorger androht, einen Techniker mit dem Auftrag zu schicken, das Gas abzuschalten, wenn die offenen Rechnungen nicht sofort bezahlt werden? Werden dadurch die Persönlichkeitsrechte dieses Menschen verletzt?
„Kommt auf den Einzelfall an“, geben Juristen auf diese Fragen eine typische Juristenantwort. Sicher ist: Jochen Gaues hat sich den Namenszusatz Kultbäcker auch dadurch erworben, dass es ihn immer wieder in die Öffentlichkeit zieht, dass er den Kontakt zu den Medien sucht, um Werbung für sein nächstes Geschäftsprojekt zu machen. Erst im August hat er gegenüber dem Abendblatt angekündigt, dass er gemeinsam mit der Schanzenbäckerei ein Café mit gläserner Backstube am Schulterblatt eröffnen werde. „Dort werde ich Brot backen, und die Gäste können mir zuschauen, während sie Kaffee trinken. Ende Oktober geht es los“, sagt er heute.
Jochen Gaues’ einzige Unternehmensinsolvenz war schon 2002
Gaues hat in der Vergangenheit auch immer wieder über die Insolvenz geredet, die er 2002 mit seinem eigenen Bäckereibetrieb im Raum Hannover hingelegt hat. Seither war er in Firmen, in denen er tätig war und die häufiger mal seinen Namen trugen, zumeist als Angestellter beschäftigt. Nicht als Geschäftsführer oder (Mit-)Inhaber.
„Das geht jetzt seit 22 Jahren so und ist immer noch nicht vorbei. Das ist doch Wahnsinn!“, sagt Gaues über die Folgen der Unternehmensinsolvenz. Er sei damals „einfach zu doof gewesen, eine GmbH zu gründen“. Der Bäcker haftete mit seinem Privatvermögen. „Sie haben mir das Haus verkauft, sie haben mir die Altersversorgung verkauft, sie haben mir den Ferrari verkauft, obwohl das der Wagen meiner Frau war.“
Gleichwohl sind da, so muss man ihn verstehen, immer noch Schulden, auf die er zudem hohe Zinsen zahlen müsse. Wie viel schuldet er den Gläubigern noch? „Milliarden“, sagt er und lacht. Es ist ein typischer Gaues-Spruch. Immer ein bisschen laut, immer ein bisschen drüber. Dann sagt er: „Ich weiß es wirklich nicht.“
Bäcker Jochen Gaues – Insolvenzen pflastern seinen Weg
Es ist Jochen Gaues’ einzige ganz persönliche Unternehmensinsolvenz, jetzt die Privatinsolvenz. Dennoch kann man sagen: Der Weg des Bäckers ist mit Insolvenzen gepflastert. Broterbe Gaues, offiziell von seiner Frau Elisabeth geführt, machte Anfang 2013 pleite. Sechs Jahre später sagte Gaues der „taz“, es seien da noch 880.000 Euro offen. Am 1. Juli 2022 eröffnete das Amtsgericht Hannover das Insolvenzverfahren über die Brot Manufaktur Gaues GmbH, die unter anderem einen Laden namens „Der echte Gaues“ am Lehmweg in Hoheluft-Ost betrieb. Den Laden gibt es immer noch, er heißt heute „Original 53“ und hat einen anderen Betreiber.
Die vorerst letzte Insolvenz in Gaues’ Umfeld wurde am 21. August 2024 registriert. Um 11.55 Uhr setzte das Amtsgericht Gifhorn einen vorläufigen Insolvenzverwalter für die Gastro Innovation GmbH aus Burgdorf bei Hannover ein. Von Gastro Innovation führt eine breite Spur zum Bäckerei-Café Gaues Original in Hannover, auf dessen Homepage ein Impressum nicht zu finden ist. „Damit habe ich nichts zu tun, die Firmen wurden nicht von mir geführt“, sagt Gaues.
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Für seine Privatinsolvenz liege der Grund in einer schwierigen Situation in der Familie, sagt Gaues. „Meine Frau ist schwer krank. Ich kümmere mich um sie und konnte deshalb nicht viel arbeiten.“ Tatsächlich waren wohl auch seine Einkünfte als angestellter Bäcker zuletzt sehr niedrig.
Das Abendblatt hat mit zwei von Gaues’ Arbeitgebern gesprochen, für die der 58-Jährige in den vergangenen Jahren in Hamburg tätig war. Einer von ihnen sagt: „Wir haben ihm 1000 Euro pro Monat gezahlt. Alles darüber hinaus wäre ohnehin weg gewesen, weil ständig Pfändungsbeschlüsse kamen.“ Stattdessen habe die Firma dem Angestellten Gaues ein Auto und ein Handy gestellt und habe die Miete für das Wohnhaus beglichen: „3900 Euro pro Monat für 322 Quadratmeter Wohnfläche.“ Auch Elisabeth Gaues sei angestellt gewesen.
Bäcker Jochen Gaues – das sagen ehemalige Arbeitgeber über ihn
Der andere ehemalige Gaues-Chef sagt, er habe ihm im Zuge eines von vornherein zeitlich eng begrenzten Projekts nur deshalb zusätzlich einen befristeten und mit einigen Hundert Euro im Monat dotierten Angestelltenvertrag gegeben, „damit die Familie krankenversichert ist“.
Gaues sagt über die Sache mit der Miete: „Der ehemalige Geschäftspartner hat sie ein Jahr lang einfach nicht bezahlt. Ich war eine Art Mietnomade, ohne es zu wissen.“ Der ehemalige Arbeitgeber sagt: „Wir haben dann die Mietzahlungen eingestellt, weil sich ein Ende der Zusammenarbeit mit Herrn Gaues bereits nach wenigen Monaten leider abzeichnete.“ Dieser habe die fristlose Kündigung zum 28. Februar des Folgejahres erhalten. Jochen und Elisabeth Gaues leben weiterhin in dem Anwesen in Henstedt-Ulzburg. „Der Vermieter hat zeitweise die halbe Miete akzeptiert, inzwischen ist das alles bereinigt“, sagt der Bäcker.
Jochen Gaues: „Ich musste mir Geld von meiner Mutter leihen“
Was ihm keine Ruhe lässt: „Ich musste mir Geld von meiner Mutter leihen. Sie ist inzwischen gestorben. Ich werde es ihr nicht zurückzahlen können.“
Die vom Amtsgericht Norderstedt eingesetzte Hamburger Insolvenzverwalterin in der Angelegenheit Gaues wollte sich auf Anfrage des Abendblatts dazu nicht äußern. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes. Ein Kontakt zu Jochen Gaues’ Verfahrensbevollmächtigtem, einem Anwalt aus Wedel, kam gar nicht erst zustande. Stattdessen meldete sich Gaues selbst mit der Botschaft, der Anwalt habe ihn gebeten, erneut mit dem Abendblatt zu sprechen.
Im Oktober 2026 könnte Jochen Gaues schuldenfrei sein
Und wie geht es nun weiter im Verbraucherinsolvenzverfahren, das seit knapp einem Jahr läuft? Der übliche Ablauf ist: Der Insolvenzverwalter sammelt die Anmeldungen von Menschen, Firmen, Institutionen ein, die sagen, dass Gaues ihnen Geld schulde, und prüft das. Zugleich verschafft sich der Verwalter einen Überblick über das vorhandene Vermögen sowie die Einkünfte – und versucht, die Forderungen der Gläubiger zu bedienen.
Bis zu drei Jahre dauert die Phase, in der Gaues viel von dem Geld wird abtreten müssen, das bei ihm reinkommt. Dann spricht das Amtsgericht in der Regel eine sogenannte Restschuldbefreiung aus. Jochen Gaues könnte Ende Oktober 2026 schuldenfrei sein – zumindest frei von den Schulden, um die es in seinem Privatinsolvenzverfahren geht.
Jochen Gaues: „Wenn es Champagner sein soll, lasse ich mich einladen“
Muss er aktuell den Gürtel enger schnallen beim Einkauf im Supermarkt? „Unser Brot backe ich zu Hause“, sagt er. Und, lachend: „Wenn es Champagner sein soll, lasse ich mich eben einladen.“ Wieder und trotz allem so ein typischer Spruch von Bäcker Jochen Gaues, den viele den Kultbäcker nennen.