Hamburg. Baugemeinschaften werden massiv unterstützt, sie sollen 4000 Wohnungen schaffen. 38 werden gerade fertig. Was die Bauherren erlebten.
Zugegeben: Wenn Andrea Popp, Tilo Schmidtsdorff und ihre Mitbewohnerinnen und Mitbewohner bald aus ihren Fenstern schauen, wird ihr Blick noch lange auf sandige Brachflächen fallen, später dann auf große Baustellen. Dennoch gibt es für die Mitglieder der Baugemeinschaft Mesterkamp dieser Tage Grund zur Freude und Grund, etwas stolz zu sein: Sie werden in den nächsten Wochen ihre neuen Wohnungen in Barmbek-Süd beziehen – und sie werden dort die Ersten sein.
Während viele größere Bauherren wie die städtischen Unternehmen Saga und Fördern und Wohnen ihre Projekte auf der 2,8 Hektar großen Fläche des früheren Hochbahn-Busbetriebshofs noch nicht einmal gestartet haben, hat die Baugemeinschaft ihres schon so gut wie fertiggestellt. Ganze neun Monate hat sie dank einer innovativen Modulbauweise für ihre 38 Wohnungen in zwei Gebäuden benötigt.
Wohnen in Hamburg: Gemeinsam bauen, gemeinsam wohnen – so funktionieren Baugemeinschaften
Wer meint, die Profis sollten sich ein Vorbild an den Laien nehmen, liegt falsch. Denn zum einen haben viele große Unternehmen ihre Projekte aufgrund der gestiegenen Zinsen und extrem hohen Baukosten erst mal zurückgestellt – eine Option, die es für die Baugemeinschaft Mesterkamp nicht gab. „Wir sind aus unserer persönlichen Wohnungsnot darauf angewiesen, unser Vorhaben schnell umzusetzen“, hatte Initiator Tilo Schmidtsdorff schon zum Projektstart im Herbst betont. 60 Erwachsene und 50 Kinder warten dringend auf diese Wohnungen.
Zum anderen werden Baugemeinschaften in Hamburg so stark von der Stadt unterstützt wie in kaum einem anderen Bundesland. Seit gut 20 Jahren betreibt die Stadtentwicklungsbehörde eine „Agentur für Baugemeinschaften“, die diese von der ersten Idee bis zur Realisierung begleitet. Sie führt auch Wohnungssuchende und Gemeinschaften zusammen, die Mitstreiter suchen.
Baugemeinschaften sollen bis zu 4000 weitere Wohnungen schaffen
Der Ablauf: Wenn sich mindestens drei Haushalte zusammengetan haben, die gemeinsam Wohnraum schaffen wollen, registrieren sie sich bei der Agentur und können dann sich auf städtische Grundstücke bewerben – das sind nicht wenige.
Auf dem Grasbrook oder in Oberbillwerder etwa sollen bis zu 20 Prozent der Flächen an Baugemeinschaften vergeben werden – allein so sollen in den nächsten Jahren etwa 4000 Wohnungen entstehen. Im Baugebiet Fischbeker Reethen sollen etwa 150 Wohneinheiten von Baugemeinschaften errichtet werden.
So kommt man als Baugemeinschaft an ein Grundstück in Hamburg
Wird die Gruppe ausgewählt, bekommt sie das Grundstück für ein Jahr anhandgegeben. In dieser Zeit muss sie die Planung bis zur Baugenehmigung voranbringen und die Finanzierung absichern. Erst dann geht das Grundstück auf die Baugemeinschaft über. In Hamburg ist es Usus, dass die Stadt ein Erbbaurecht bestellt und die Fläche verpachtet.
Da schon diese Phase die meisten Laien überfordern dürfte, ist es Pflicht, ab der Bewerbung um das Grundstück eine professionelle Baubetreuung an der Seite zu haben. Sie steuert den Bauprozess, berät in juristischen und technischen Fragen und moderiert innerhalb der Baugemeinschaft. Tilo Schmidtsdorff und Co. haben die Lawaetz-Stiftung engagiert.
Wohnungen in Barmbek wurden aus 180 Modulen zusammengesetzt
Einen Architekten brauchte die Baugemeinschaft Mesterkamp nicht. Den stellte die Firma Solid.Modulbau. Die Gebäude wurden von ihr aus rund 180 vorgefertigten Modulen aus Holz, Stahl und möglichst wenig Beton zu energiesparenden KfW-40-Häusern zusammengesetzt.
Während die Mitglieder der Gemeinschaft in der Bauphase eine „Gesellschaft bürgerlichen Rechts“ (GbR) bilden, wird daraus nach der Fertigstellung eine Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) oder eine eingetragene Genossenschaft (eG). Der Unterschied: Während in der WEG die Mitglieder Eigentümer nur der eigenen Wohnung werden, bleibt in einer Genossenschaft die gesamte Immobilie im Besitz der Gemeinschaft, die die Wohnungen an ihre Mitglieder vermietet.
Mitglieder von Baugemeinschaften sind Bauherr und Mieter zugleich
Auch das macht die Besonderheit von Baugemeinschaften aus: Die Mitglieder sind Bauherren und gestalten ihr künftiges Zuhause mit, sind im Genossenschaftsmodell später aber gleichzeitig Mieter – bei sich selbst. Für diesen Weg hat sich auch die Baugemeinschaft Mesterkamp entschieden: Ihre 38 Wohnungen sind öffentlich geförderte Mietwohnungen, die zu Quadratmeterpreisen von 7,20 bis 14,40 Euro (kalt) vergeben werden.
Die Gruppe am Mesterkamp erhielt von der städtischen Investitions- und Föderbank zudem Kredite zu 1,5 Prozent Zinsen über 40 Jahre, obwohl sie von den 15,8 Millionen Euro Baukosten nur zehn Prozent durch Eigenkapital abdecken konnte. Normalerweise verlangen Banken für eine Baufinanzierung mindestens 20 bis 30 Prozent Eigenkapital.
Hinsichtlich der Baukosten, die am Mesterkamp bei stolzen 5800 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche liegen, ist es nicht unbedingt günstiger, in Gemeinschaft zu bauen. Doch durch die massive Unterstützung der Stadt können so auch Menschen Wohneigentum schaffen, die sich das sonst womöglich nicht leisten könnten.
Senatorin: Baugemeinschaften haben 3500 Wohnungen geschaffen
Die Bilanz von Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein (SPD): „Seit über 30 Jahren gibt es in Hamburg das Modell der Baugemeinschaften. So sind bereits fast 3500 Wohnungen entstanden.“ Ihre Amtsleiterin Karin Siebeck lobt das Motto der Baugemeinschaft Mesterkamp „autofrei, nachhaltig, generationsübergreifend“. Auch das ist ein Kennzeichen von Baugemeinschaften: Naturgemäß finden sich dort Gleichgesinnte zusammen, die ihre ähnlichen Vorstellungen von Zusammenleben umsetzen wollen.
Andrea Popp sagt, dass sie am Mesterkamp die Aussicht gereizt habe, im Alter in einer Gemeinschaft zu wohnen. Tilo Schmidtsdorff ist der Aspekt Nachhaltigkeit wichtig. Und er hat trotz der großen Unterstützung durch die Stadt keine Scheu, deren Gestaltungsauflagen als zu detailliert zu kritisieren.
Trotz gelegentlicher Dissonanzen: Die Behörde unterstütze solche Projekte „tatkräftig und aus Überzeugung“, sagt Siebeck. Baugemeinschaften würden bezahlbaren Wohnraum schaffen und eine besondere Form von Wohneigentum, die sich oft positiv auf Quartiere auswirke. Für die anvisierten weiteren rund 4000 Wohneinheiten in Baugemeinschaften stünden ausreichend Fördermittel bereit. Aktuell befinden sich nach Angaben der Behörde rund 50 Baugemeinschaften in der Planungs- und Bauphase. Insgesamt wollten diese etwa 1150 Wohneinheiten errichten, davon rund 750 öffentlich geförderte Wohnungen.
Hamburg: Viele Baugemeinschaften suchen noch Mitglieder
„In der Regel haben die Projekte bis zur Fertigstellung immer noch einzelne Wohnungen frei und suchen noch Mitglieder“, so die Behörde. Zudem gebe es regelmäßig neue Grundstücksausschreibungen und Gruppen, die ihr Vorhaben planen. Hierfür wurde unter https://baugemeinschaften.beteiligung.hamburg/#/ das Onlineportal „Baut zusammen!“ eingerichtet – auch Tilo Schmidtsdorff hat über die Kontaktbörse seine Mitstreiter gefunden.