Hamburg. Soziale Vermieter rechnen vor, warum sich Neubau nicht mehr lohnt. Vertreter der Stadt reagiert ungehalten: „Was wollt ihr denn noch?“
Das Hamburger „Bündnis für das Wohnen“ gilt bundesweit als Erfolgsmodell. Nachdem der damalige Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) 2011 Senat, Bezirke, Verbände und Wohnungswirtschaft an einen Tisch geholt hatte, wurde der bis dahin darbende Wohnungsbau massiv angekurbelt. Erst 6000, später sogar mehr als 10.000 Wohnungen wurden Jahr für Jahr fertig – von vergleichbaren Zahlen konnten andere Städte nur träumen.
Die lange erfolgreiche Kooperation hat auch dazu beigetragen, dass die Akteure bis heute sehr offen und wertschätzend miteinander umgehen und sich daher bei Bedarf auch klar die Meinung sagen. Dass sich die Rahmenbedingungen seit einigen Jahren massiv eingetrübt haben – Stichworte Lieferengpässe, explodierende Bau- und Finanzierungskosten, kaum noch Grundstücke, überbordende Bürokratie – und sich Wohnungsbau kaum noch lohne, haben die Unternehmen und Verbände immer wieder kritisiert.
Mieten in Hamburg: 30 Euro pro Quadratmeter – darum wollen Genossenschaften nicht bauen
Doch die Deutlichkeit, mit der die Hamburger Wohnungsbaugenossenschaften die Probleme auf ihrem Neujahrsempfang im Beisein von Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein (SPD) artikulierten, hatte eine neue Qualität. Peter Kay, Vorstand der Baugenossenschaft freier Gewerkschafter (BGFG), rechnete an einem Flipchart kurzerhand vor, warum es sich für jeden verantwortungsbewussten Genossenschaftsvorstand im Prinzip verbiete, noch neue Projekte zu starten.
Die Baukosten seien von 2700 Euro pro Quadratmeter in 2005 auf 5800 Euro in 2023 gestiegen, so Kay, der auch Vorstandsmitglied des Vereins Hamburger Wohnungsbaugenossenschaften ist. 4600 Euro davon würden auf das Gebäude entfallen und 1200 auf das Grundstück. Wenn er auf diese Summe 4,0 Prozent Zinsen zahlen müsse und 2,0 Prozent Tilgung einplane, komme er auf monatliche Kosten von 29 Euro pro Quadratmeter. Inklusive eines Euro pro Quadratmeter für Instandhaltung und 50 Cent für die Verwaltung sei man sogar bei mehr als 30 Euro.
Jedes Projekt muss in sich wirtschaftlich sein, sonst schädigt es die Genossenschaft
Die Durchschnittsmiete bei seiner Genossenschaft BGFG, die in Hamburg rund 7700 Wohnungen anbietet, sei seit 2005 aber nur von 5,24 auf 7,03 Euro gestiegen. 30 Euro pro Quadratmeter könne er keinem Mitglied und auch sonst niemandem zumuten, stellte Kay klar. Sönke Selk, Vorstand der Baugenossenschaft Hamburger Wohnen, ergänzte, dass jedes Projekt in sich wirtschaftlich sein müsse. Sei das nicht darstellbar, müsse man einen Teil des Objektes abschreiben und schädige damit das Genossenschaftsvermögen.
Und das, so stellten es andere Genossenschaftler am Rande des Empfangs klar, werde kein Vorstand riskieren, denn dafür könne er am Ende persönlich haftbar gemacht werden. Nachdem Senatorin Pein die Genossenschaften aufgefordert hatte, wieder mehr zu bauen, konterte Peter Kay: „Wenn die Stadt weiterhin möchte, dass die Baugenossenschaften Baugenossenschaften bleiben, dann muss sich etwas ändern.“
Genossenschaften halten rund 136.000 Wohnungen in Hamburg
Dazu muss man wissen: Die gut 30 Hamburger Genossenschaften halten rund 136.000 Wohnungen, etwa jede fünfte Mietwohnung in der Stadt, und das zu Preisen von durchschnittlich gut sieben Euro pro Quadratmeter. Damit sind sie erheblich günstiger als Wohnungen am freien Markt, die zuletzt eher für zwölf bis 15 Euro neu vermietet wurden. Und sie haben im Bündnis für das Wohnen regelmäßig um die 1000 neue Wohnungen pro Jahr beigesteuert.
Doch diese Zeiten sind bald vorbei. Zwar werden angefangene Projekte überwiegend vollendet, aber kaum noch neue gestartet. Schon 2022 hatten die Genossenschaften nur noch den Bau von 630 Wohnungen begonnen, 2023 sollten es um die 500 sein, Tendenz fallend. „Ich bin vom Unternehmer zum Unterlasser geworden“, sagte Peter Kay.
Matthias Saß: „Die Rahmenbedingungen sind herausfordernder als je zuvor“
Und so manches Neubauprojekt schreckt eher ab: So muss die Genossenschaft Kaifu Nordland für 86 frei finanzierte Wohnungen in Lokstedt wohl 20 Euro pro Quadratmeter nehmen, weil während des quälend-langen Baugenehmigungsprozesses die Baukosten explodiert waren, wie das Abendblatt berichtet hatte.
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„Die Rahmenbedingungen sind herausfordernder als je zuvor“, sagte Matthias Saß, Vorsitzender des Vereins Hamburger Wohnungsbaugenossenschaften, auf dem Neujahrsempfang. Die massiv gestiegenen Baukosten über die Miete zu refinanzieren sei für Genossenschaften praktisch unmöglich: „Wir können und wollen unsere Mitglieder nicht überbelasten.“
Genossenschaften fordern „Mentalitätswechsel“ in den Behörden
Saß, im Hauptberuf Vorstand der Schiffszimmerer-Genossenschaft, lobte die Senatorin zwar für ihren unermüdlichen Einsatz, forderte aber ebenfalls Veränderungen auf städtischer Ebene. So könnten Bau- und Sanierungskosten um zehn bis 15 Prozent gesenkt werden, wenn die Stadt die versprochene Entschlackung der Bauordnung endlich umsetzen würde. Um Baugenehmigungen zu beschleunigen, könnten „Genehmigungskonferenzen“ mit Vertretern aller beteiligten Behörden helfen. Und in den Ämtern brauche es einen Mentalitätswechsel, sodass das Gelingen eines Bauprojekts im Mittelpunkt stehe.
Einer, der der pessimistischen Sichtweise etwas entgegenhielt, war Ralf Sommer, Vorstandschef der städtischen Förderbank IFB. Die Stadt habe die Subventionen für den geförderten Wohnungsbau von 330 auf 740 Millionen Euro im Jahr mehr als verdoppelt, und das „irre schnell“. Zudem biete die IFB günstige Darlehen zu 1,0 Prozent Zinsen für 30 Jahre an. „Das ist eine Menge Holz“, sagte Sommer und fragte etwas provokant: „Was wollt ihr denn noch mehr?“
Tatsächlich schwenken inzwischen etliche Investoren auf Sozialwohnungen um, weil sich ihre Projekte ohne staatliche Förderung nicht lohnen würden. Diese Förderung wolle man auf hohem Niveau halten, versprach Karen Pein. Die Senatorin verwies zudem auf gemeinsam im Bündnis erreichte Erfolge und signalisierte, dass die Kritikpunkte, etwa an den zu langen Baugenehmigungsprozessen, bei ihr angekommen seien.
Mieten in Hamburg: Warum Genossenschaften nicht mehr bauen wollen
„Man muss nicht immer einer Meinung sein, aber muss im Gespräch bleiben“, sagte Pein, die als frühere Chefin der städtischen Projektentwicklungsgesellschaft IBA in der Wohnungswirtschaft einen sehr guten Ruf genießt. Doch Gespräche allein werden den negativen Trend kaum stoppen, und so wird Pein demnächst wohl recht unerfreuliche Zahlen zu den Wohnungsbaugenehmigungen im Jahr 2023 verkünden müssen.
„Die sind deutlich schlechter als im letzten Jahr“, kündigte sie auf dem Empfang bereits an, „aber sie sind noch nennenswert.“ Erwartet wird, dass die Zahl von mehr als 10.000 im Jahr 2022 auf etwa die Hälfte eingebrochen sein dürfte. Wenn nun auch noch die Genossenschaften das Bauen einstellen, steht das Bündnis für das Wohnen vor seiner größten Herausforderung.