Hamburg. Wie Behörden die Errichtung eines kleinen Mehrfamilienhauses für ein Ehepaar zum langen und teuren Albtraum machten.
Wenn Christina und Martin Linnemann vor ihrem neuen Haus am Neuländer Elbdeich stehen, sind sie eigentlich ganz zufrieden. Der dunkelrote Stein fügt sich harmonisch in die dörflich geprägte Gegend im Süden Hamburgs ein, die Wärmepumpe läuft, die Photovoltaikanlage tut ihren Dienst, und die Außenanlagen sind auch fertig. Und das Wichtigste: Die vier Wohnungen in dem Neubau sind alle vermietet. Natürlich sind sie das – in Hamburg ist jede freie Mietwohnung sofort weg, der Leerstand liegt bei unter 0,5 Prozent.
Also alles gut? Mitnichten. Denn was das Ehepaar beim Bau dieses Hauses mit einigen Behörden erlebt hat, war in Teilen so abschreckend, dass beide sagen, sie würden nicht noch einmal in Hamburg bauen. Die Geschichte der Familie Linnemann steht im Kleinen sinnbildlich für vieles, was die Wohnungswirtschaft in Hamburg im Großen immer wieder beklagt – etwa, wenn selbst Projekte von großen Baugenossenschaften wegen Ärger mit den Behörden kostenmäßig aus dem Ruder laufen.
Wohnungsbau: Wie Gesetze und Normen Bauherren in den Wahnsinn treiben
Es sind nicht nur gestiegene Zinsen, gestörte Lieferketten und hohe Baukosten, die derzeit das Geschäft erschweren. Es sind auch die immer weiter steigenden gesetzlichen Anforderungen und DIN-Normen, die Bauherren in den Wahnsinn und die Kosten nach oben treiben, sodass sie kaum noch neue Projekte starten. Und es sind Ämter und Behörden, die trotz des amtlichen Wohnungsmangels in Hamburg diese Regeln mitunter so verbissen durchsetzen, dass sie Wohnungsbau damit verhindern oder zumindest erschweren.
Doch der Reihe nach. Christine Linnemann hat ihre ersten Lebensjahre auf dem Bauernhof ihrer Eltern in Neuland verbracht. Später, als in der Nähe ein Gewerbegebiet entstand und der Hof Flächen abgeben musste, zog die Familie auf einen anderen Hof nach Schleswig-Holstein. Die Flächen in Neuland blieben aber im Famlienbesitz, im Hauptgebäude wurden drei Wohnungen vermietet. Viel investiert wurde dort aber nicht mehr.
Altes Bauernhaus war nicht zu retten, ein Neubau sollte her
Als Christine Linnemann das ganze Areal vor einigen Jahren erbte, war ihr Elternhaus in einem jämmerlichen Zustand. „Das Eternitdach war undicht, die Wände feucht und nicht gedämmt, die Heizung war völlig veraltet, Wasserrohre waren regelmäßig alle sechs Monate verstopft, und der Schornstein war teilweise eingestürzt, sodass sich der Schornsteinfeger geweigert hat, das Haus zu betreten“, erinnert sich ihr Mann Martin und betont: „Dieses Gebäude war nicht zu retten.“
Als dann in den Jahren 2020 und 2021 die Mieter nach und nach auszogen, reifte schnell der Entschluss: Wir reißen ab und bauen neu. Das neue Gebäude einer renommierten Firma aus der Lüneburger Heide sollte vier Wohnungen mit mehr Wohnfläche enthalten, insgesamt 350 statt 280 Quadratmeter, und energetisch auf dem damals neuesten KfW-40-plus-Standard sein. Eigentlich ein Traum aus Sicht einer Stadt, die zum einen händeringend neue Wohnungen benötigt und zum anderen vor der Herausforderung steht, den hohen Energiebedarf der alten Gebäude zu senken.
Bauamt genehmigt Abriss, doch eine andere Abteilung schreitet ein
Das Bauamt des Bezirks Harburg habe den Bauantrag und den separat beantragten Abriss daher auch sehr freundlich und unterstützend begleitet, schildert Christina Linnemann, die noch immer voll des Lobes für den zuständigen Mitarbeiter ist. Nach wenigen Wochen lag im Oktober 2021 die Abrissgenehmigung vor. Was der Startschuss für das Projekt sein sollte, wurde jedoch der Beginn eines Albtraums.
Denn gut vier Wochen später schaltete sich die Abteilung Wohnraumschutz des Bezirksamts ein und beklagte die „Zweckentfremdung von Wohnraum“ am Neuländer Elbdeich. Unter anderem hieß es: „Das Wohnhaus steht seit längerer Zeit leer (mind. 28.11.2019)“ und gehe der Wohnraumnutzung verloren. Doch das war nach Darstellung des Ehepaars Linnemann zum einen schlicht falsch, da die drei Mieter erst viel später ausgezogen seien. Und zum anderen widersprach es aus Sicht der Bauherren dem gesunden Menschenverstand: Denn der Auszug der Mieter war ja gerade der Anlass, Abriss und Neubau anzugehen. „Wir hatten ja eine Genehmigung für den Abriss vom Bauamt und haben dafür 400 Euro Gebühren bezahlt“, so Martin Linnemann.
Behördenmitarbeiter: „Ihnen wird das Lachen noch vergehen.“
Die in dem Schreiben der Abteilung Wohnraumschutz angedrohte „Geldbuße bis zu 500.000 Euro“ ließ ihnen jedoch keine Ruhe. In der sicheren Annahme, dass es sich wohl um ein Missverständnis handeln müsse, rief Christina Linnemann den Sachbearbeiter an und erklärte ihm fröhlich, dass sie Wohnraum schaffen und keinen zweckentfremden wolle. Seine Antwort wird sie nie vergessen: „Ihnen wird das Lachen noch vergehen“, habe der Mann gesagt – und so kam es auch.
Das Ehepaar musste einsehen, dass es einen kleinen Formfehler begangen hatte: Den kurzen zwischenzeitlichen Leerstand der Wohnungen hätte es sich genehmigen lassen müssen – unabhängig davon, dass eine weitere Vermietung des maroden Altbaus aus Sicht der Besitzer unzumutbar gewesen wäre. Also füllten die Linnemanns ein Papier aus, das in schönstem Behördendeutsch „Antrag auf Genehmigung der zweckfremden Nutzung von Wohnraum“ heißt. Problem nun gelöst? Mitnichten.
Behörde droht: 210.000 Euro Strafe, wenn der Neubau nicht in zehn Monaten steht
Diese „Zweckentfremdung von Wohnraum“ wurde am Mitte Dezember 2021 zwar genehmigt, nun aber mit der Auflage, den Neubau bis zum 31. Oktober 2022 zu errichten. Sollte das nicht fristgerecht geschehen, drohe eine „einmalige Ausgleichszahlung“ von 210.000 Euro. Die Linnemanns fielen wieder aus allen Wolken. „Das hat uns völlig verstört und eingeschüchtert“, so Martin Linnemann, „denn diese Frist war für die Errichtung eines Vier-Familienhauses völlig unrealistisch, zumal ja erst noch der Altbau abgerissen werden musste.“
Also beantragten sie eine Fristverlängerung bis Frühjahr 2023, die auch gewährt wurde. Doch auch damit war die Geschichte nicht beendet. Denn nun trudelte der Gebührenbescheid aus dem Bezirksamt ein: 3000 Euro sollte das Paar für die „Genehmigung der Zweckentfremdung von Wohnraum“ berappen. In Relation zu dem siebenstelligen Betrag, den sie in den Neubau investieren wollten, fiel das zwar kaum ins Gewicht, dennoch habe es sie „maßlos“ geärgert, so Christina Linnemann.
„Von Teilen des Bezirksamts wie Spekulanten und Umweltsünder behandelt“
„Es fühlt sich wie eine Strafe an“, sagt die 56-Jährige. „Schließlich wollten wir nur Gutes tun, indem wir ein einsturzgefährdetes, ungedämmtes, feuchtes Gebäude abgerissen und durch ein größeres Energiesparhaus nach neuesten Standards ersetzt haben.“ Sie habe mit dem Neubau auch die über mehrere Jahrhunderte reichende Verbundenheit ihrer Familie mit dem Stadtteil Neuland unterstreichen und Wohnraum für die Bürger schaffen wollen. „Das wurde vom Bauamt des Bezirks ja auch sehr freundlich unterstützt“, so Christina Linnemann. „Dass wir dennoch von anderen Teilen des Bezirksamts wie Spekulanten und Umweltsünder behandelt wurden, kam uns wie Schikane und Willkür vor.“
Denn da war ja noch eine Geschichte – die mit der Kastanie. Der zu Christina Linnemanns Geburt gepflanzte Baum stand dem Neubau im Weg und sollte weichen. Kein Problem, dachte das Paar, nachdem ein Gutachter bescheinigt hatte, dass auch diese Rosskastanie, wie so viele andere, von „Pseudomonas-Befall“ (Bakterien) und Miniermotten geplagt sei und nicht mehr lange leben werde.
Doch auch hier schritt das Bezirksamt ein, diesmal das Naturschutzreferat. Die Mitarbeiterin zeigte sich vom Gutachten des Baumsachverständigen wenig beeindruckt und beharrte darauf, dass die Kastanie noch einige Jahre überleben werde und daher erhalten werden müsse. Der Neubau müsse daher nach hinten versetzt und gedreht werden, damit er die Wurzeln des Baumes nicht beeinträchtige.
Kranke Kastanie muss bleiben – das Haus steht jetzt schräg
Ergebnis aus Sicht der Bauherren: Planänderung, ein Monat Verzögerung, zusätzliche Kosten – und heute ein Neubau, der ungewöhnlicherweise schräg zum Deich steht. Für Christina Linnemann auch das ein Stück aus dem Tollhaus: „Dass wir die Kastanie nicht fällen durften, obwohl hier in der Gegend alle Kastanien im Straßenbereich mit Bakterienbefall gefällt werden, und wir auf dem Grundstück etliche neue Bäume gepflanzt haben, ist für uns unverständlich.“
Auch im Bezirksamt soll es Mitarbeiter geben, die den Ärger der Linnemanns gut nachvollziehen konnten. Offiziell wird das Verhalten der Verwaltung aber verteidigt. Der Abbruch von Wohnraum und das Leerstehen von Wohnraum über einen Zeitraum länger als vier Monate gelte laut Gesetz nun mal als Zweckentfremdung: „Diese Tatbestandsvoraussetzungen waren hier erfüllt“, teilte eine Sprecherin auf Abendblatt-Anfrage mit.
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Der Leerstand hätte nur genehmigt werden können, wenn „eine Zwischennutzung bis zum Beginn der Baumaßnahmen unzumutbar“ gewesen wäre. Genau das war aus Sicht der Linnemanns der Fall, da sie den feuchten, maroden Altbau niemandem mehr zumuten wollten. Das Amt sah das anders. Auch die Erhebung einer Gebühr sei zwingend gewesen und wäre ohnehin erfolgt, normalerweise nur als Teil der Gebühr für den Baubescheid. „Ein ,Verzicht‘ auf die Gebühr wäre nicht zulässig gewesen“, so das Bezirksamt.
Behörde: Verzögerungen und Kostensteigerung „keine unzumutbaren Nachteile“
Im Fall der Kastanie betont die Behörde, dass der Baum trotz der gutachterlich beschrieben Schäden „eine gute Vitalität“ aufgewiesen habe: „Es bestand demnach kein Grund, den geschützten und ortsbildprägenden Baum zu fällen. Erfahrungen mit Rosskastanien zeigen, dass befallene Bäume auch nach Jahren oft nicht absterben und der Erhalt einer vorschnellen Fällung vorzuziehen ist.“
Das Bauvorhaben sei zudem „keineswegs naturschutzrechtlich gänzlich abgelehnt“ worden, man habe sogar die Fällung von zwei anderen Bäumen genehmigt: „Es war lediglich eine leichte Verschiebung und Drehung sowie eine angepasste Baustelleneinrichtung erforderlich.“ Dass aus diesem „lediglich“ eine erhebliche Zeitverzögerung, zusätzliche Planungskosten und ein schräg stehendes Gebäude resultierten, sieht man im Bezirksamt als „keine unzumutbaren Nachteile“.
„Bauen in Hamburg können wir niemandem empfehlen.“
Folglich fällt auch das Fazit höchst unterschiedlich aus. Auf die Frage, ob solche Vorgänge Bauwillige möglicherweise abschrecken könnten, Wohnraum zu schaffen, verweist das Bezirksamt auf einen Zwiespalt: „Natürlich“ sei es ein Anliegen, Bauherren „darin zu unterstützen, geeignete Wohnungsbauprojekte im Bezirk umzusetzen und diesen auch beratend zur Seite zu stehen“. Gleichwohl gelte: „Wir sind in unserem Handeln an die rechtlichen Vorgaben gebunden.“
Manchmal, so schwingt es etwas verklausuliert mit, steht das eine dem anderen halt im Weg. Das Fazit von Christina und Martin Linnemann fällt klarer aus: Sie sind froh, dass ihr Haus nun steht, aber ein weiteres wollen sie nicht mehr bauen: „Aufgrund unserer Erfahrungen müssen wir leider sagen: Bauen in Hamburg können wir unter diesen Voraussetzungen niemandem empfehlen.“